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Politik

Warum Lettland den russischen Sender "TV Rain" stoppt

Maria Katamadze
8. Dezember 2022

Der regierungskritische russische Sender "TV Rain" ("Doschd") sendete zuletzt aus dem lettischen Exil. Doch jetzt haben die dortigen Behörden "Doschd" die Sendelizenz entzogen. Was ist passiert?

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Das Büro des Fernsehsenders "Doschd" in Moskau, August 2021
TV-Studio von "Doschd"Bild: Denis Kaminev/REUTERS

Ab dem 8. Dezember muss der unabhängige russische Fernsehsender "Doschd" (TV Rain) die Ausstrahlung in Lettland einstellen, nachdem ihm die lettischen Behörden die Sendelizenz entzogen haben. Grund sei "eine Bedrohung der nationalen Sicherheit und der öffentlichen Ordnung", so der Leiter des Nationalen Rates für elektronische Medien Lettlands (NEPLP), Ivars Abolins.

Einige Tage zuvor hatte der Moderator Alexej Korosteljow in einer Live-Sendung gesagt, er hoffe, dem TV-Kanal sei es gelungen, die Situation der mobilisierten Russen an der Front zu verbessern. Wenige Stunden später wurde Korosteljow entlassen, und der lettische Staatssicherheitsdienst leitete Ermittlungen wegen des Verdachts ein, "russischen Besatzungstruppen" zu helfen. Der Sender hält die Vorwürfe für "unfair und absurd". Politologen, mit denen die DW gesprochen hat, meinen, dass der Hintergrund dieser überraschend anmutenden Empathie mit russischen Soldaten darin begründet liegen könnte, dass Doschd versucht, Zuschauergruppen in Russland anzusprechen, die den regierungskritischen Sender sonst nicht einschalten würden.

Protest und Solidarität

Wenige Stunden nach dem Live-Bericht von Alexej Korosteljow auf "Doschd", in dem er dazu aufrief, Probleme zu melden, mit denen russische Soldaten während der Mobilmachung zu kämpfen haben, stellte der TV-Sender die Zusammenarbeit mit dem Journalisten ein. Das teilte die Moderatorin Jekaterina Kotrikadse mit. Sie betonte, die Entscheidung sei "schwierig, aber die einzig mögliche". Aus Protest und Solidarität mit Korosteljew kündigten "Doschd" auch einige seiner Kollegen.

Journalisten von "Doschd", zu Deutsch "Regen", noch in ihren Redaktionsräumen in Moskau
Journalisten von "Doschd", zu Deutsch "Regen", noch in ihren Redaktionsräumen in MoskauBild: Sergei Chirikov/epa/dpa/picture alliance

Unterdessen forderte der lettische Verteidigungsminister Artis Pabriks in sozialen Netzwerken, die Visa der "Doschd"-Journalisten zu annullieren. Er erklärte, dass man "mit der Geduld am Ende" sei. Dem fügte Lettlands Außenminister Edgars Rinkevics in einem Interview mit der Lokalzeitung "Neatkariga" hinzu: "Auch wenn jemand sagt, man helfe den Mobilisierten moralisch, dann ist auch das eine Unterstützung des Krieges. Es gibt eine Grenze zwischen Meinungsfreiheit und Unterstützung für den Krieg."

Nicht die erste Bestrafung

Wie viele andere unabhängige Medien in Russland wurde "Doschd" kurz nach dem Anfang der russischen Aggression gegen die Ukraine blockiert und musste die Sendung einstellen. Im Juli teilten die Verantwortlichen mit, dass man die Arbeit in Lettland aufnehme, nachdem die lettischen Behörden die Lizenz erteilt hatten.      

Obwohl der Sender wiederholt deutlich gemacht hat, Russlands Krieg gegen die Ukraine abzulehnen, forderten einige lettische Beobachter "Doschd" auf, zur eigenen Berichterstattung über die mobilisierten Russen und die Zustände in der russischen Armee unmissverständlich Stellung zu beziehen. Die Beanstandungen der lettischen Behörden beschränken sich nicht nur auf die Aussage von Alexej Korosteljow.

Einige Tage zuvor war "Doschd" zu einer Geldstrafe von 10.000 Euro verurteilt worden, weil in einer Sendung die russische Armee als "unsere" bezeichnet wurde. Zudem wurde eine Karte der Russischen Föderation einschließlich der annektierten ukrainischen Halbinsel Krim gezeigt. Vorher bereits hatte man - lettischen Behörden zufolge - "Doschd" erstmals verwarnt, weil der Kanal ohne Untertitel in lettischer Sprache auf Sendung war.

Aufrufe zur Schließung

Forderungen, "Doschd" zu schließen, wurden laut, nachdem die Moderatorin Jekaterina Kotrikadse in einem Gespräch mit dem Bürgermeister von Riga, Martins Stakis, die Zerstörung von Denkmälern aus der Sowjetzeit in Lettland zum Thema gemacht hatte. Stakis selbst bezeichnete jenes Interview jedoch als "korrekt". Aber Beobachter sind sich einig, dass die Unzufriedenheit in Riga mit "Doschd" genau mit diesem Interview begann. Doch formale Gründe für Beanstandungen habe es zu dem Zeitpunkt noch nicht gegeben. In diesem Zusammenhang meint der lettische Politologe Kristians Rozenvalds, dass ein Teil der lettischen Gesellschaft befürchtet, der Sender könnte sich in die lettische Politik einmischen.

Portrait der Journalistin von "Doschd" Jekaterina Kotrikadse
Jekaterina Kotrikadse - hier in einem Gespräch mit der DW - führte ein umstrittenes Interview mit dem Bürgermeister von RigaBild: DW

Der lettische Politologe Philip Raevsky weist hingegen darauf hin, dass sich die journalistische Kultur in Russland und Lettland grundlegend unterscheidet. "Wir können niemandem die Schuld dafür geben, dass der Sender anders arbeitet als wir. Natürlich ist ´Doschd´ aggressiver als die lokalen Medien. Das ist Geschmacks- und Traditionssache. Als schmerzhaft haben das Interview mit dem Bürgermeister eher diejenigen empfunden, die wenig Verständnis dafür haben, wie Journalisten arbeiten", glaubt Raevsky.

Gunta Sloga vom Baltic Center for Media Excellence sagte der DW, das Sendeverbot für "Doschd" werfe ein umfassenderes Thema auf, und zwar die Meinungsfreiheit in Lettland. " ´Doschd' hat Fehler gemacht, aber es schockiert mich, wie leicht die Lizenz entzogen wurde. Wenn eine Instanz einfach eine Entscheidung treffen kann, ohne vorher mit den Medien zu sprechen, wie im Fall von "Doschd". Morgen könnten es lettische Medien treffen", meint Sloga und findet, die Verfolgung von "Doschd" habe mehrere Monate gedauert, was für ein demokratisches Land nicht normal sei.

Starke emotionale Hintergründe

Kurz nach der russischen Invasion in der Ukraine und der Verabschiedung eines Gesetzes in der Russischen Föderation, das eine rechtliche Verantwortung für "Fake-Berichte" über die russische Armee vorsieht, wurde der Zugang zur Website von "Doschd" auf Ersuchen der Generalstaatsanwaltschaft von den russischen Behörden gesperrt. Wegen drohender Strafverfolgung musste die Redaktion Russland verlassen.

Im Juni wurde bekannt, dass "Doschd" eine Sendelizenz in Lettland erhielt, woraufhin der Sender rechtlich gesehen zu einem lettischen Medienunternehmen wurde, das den örtlichen Gesetzen unterliegt. "Ein lettischer Sender kann die russische Armee nicht als 'unsere' bezeichnen und den Invasoren, die am Völkermord an der Zivilbevölkerung beteiligt sind, sein Mitgefühl ausdrücken", stellt Raevsky klar. Das lettische Parlament hat den Krieg gegen die Ukraine als Völkermord eingestuft.

Neben der nationalen Gesetzgebung muss man Raevsky zufolge auch auf die historischen Umstände Lettlands sowie die emotionalen Hintergründe in den baltischen Ländern achten, was den Krieg in der Ukraine angeht. Es herrsche eine Angst, alle Russen, einschließlich Journalisten der Opposition, könnten Putin-Agenten sein. Die lettische Öffentlichkeit sieht dem Politologen zufolge eigene historische Parallelen im Leid des ukrainischen Volkes: "Ähnliches hat die lettische Nation erlebt. Das war 1940, als die Rote Armee Lettland besetzte, und 1949, als Letten massenweise nach Sibirien deportiert wurden."

Ein Mittel im Kampf gegen Putin?

Der Politikexperte Abbas Galljamow erklärt die Akzente, die "Doschd" in seiner Berichterstattung über die Mobilmachung in Russland setzt, damit, dass die russische Opposition "nicht in der Lage sein wird, das Regime zu besiegen, solange sie nicht eine kritische Masse an Stimmen von Wechselwählern für sich gewinnt".

Portrait von Abbas Galljamow
Abbas Galljamow meint, die Stimmung von Wechselwählern müsse berücksichtigt werdenBild: DW

Galljamow zufolge müssen die Stimmungen dieser Menschen berücksichtigt werden, um sie für sich zu gewinnen. Die Narrative bei "Doschd" über die mobilisierten Russen seien ein Versuch, ein neues Publikum aufzutun. "Strategisch entspricht der Fernsehsender den Interessen der russischen liberalen Bewegung, die das Ende des Putin-Regimes und des Krieges in der Ukraine will", glaubt der Experte.

Philip Raevsky wiederum findet, dass sich die lettische Regierung der politischen Bedeutung der Informationen bewusst ist, die "Doschd" dem russischen Publikum anbietet. "Aber in Lettland ist man der Meinung, dass man das Putin-Regime nicht mit einer empathischen Haltung gegenüber der Armee wird schwächen können, die Zivilisten in der Ukraine tötet", so Raevsky.

Adaption aus dem Russischen: Markian Ostaptschuk

 

DW-Korrespondentin Maria Katamadze in Goris, Armenien
Maria Katamadze DW-Korrespondentin, Studio Riga