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Warum Deutschland sich ein Entwicklungsministerium leistet

22. August 2024

Als einzige der westlichen Industrienationen hat Deutschland ein eigenes Ministerium für Entwicklungshilfe. Die liberale Regierungspartei FDP will es abschaffen.

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Blick auf das Gebäude des Entwicklungsministeriums in Bonn: in der Dämmerung sind die Fenster eines zweigeschossigen Gebäudes hell erleuchtet, davor ist eine Skulptur zu sehen
Dienstsitz Bonn: Das Entwicklungsministerium beschäftigt etwa 1300 MitarbeitendeBild: Ute Grabowsky/photothek/picture alliance

Fast 34 Milliarden Euro hat Deutschland im vergangenen Jahr für Entwicklungshilfe ausgegeben. Damit belegt die Bundesrepublik Platz vier beim Anteil der offiziellen Entwicklungshilfe am staatlichen Gesamteinkommen. Nur Norwegen, Luxemburg und Schweden geben einen größeren Teil ihres Staatseinkommens an ärmere Länder. Im Kreis der wichtigsten westlichen Industrienationen G7 steht Deutschland sogar ganz vorne.

Doch angesichts einer lahmenden Wirtschaft sind die öffentlichen Gelder in Deutschland knapp. Seit Monaten streiten die Regierungsparteien SPD, Grüne und FDP um einen neuen Haushaltsplan. Laut Entwurf kürzen sie die Entwicklungshilfe im nächsten Jahr um 940 Millionen Euro.

Muss Svenja Schulze, Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, sich deshalb Sorgen machen um die deutsche Entwicklungspolitik? "Nein, ich habe keine Sorge, dass das unter die Räder kommt", sagt die SPD-Politikerin am Rand einer Pakistan-Reise.

In der Hauptstadt Islamabad versprach sie lokalen Zulieferbetrieben Beratung bei der Einhaltung von Sozial- und Umweltstandards. Die schreibt das deutsche Lieferkettengesetz vor. Deutschland sei eine Exportnation, die deutsche Wirtschaft deshalb abhängig von guten Partnerschaften und langfristigen Beziehungen, sagt Schulze: "Und das leisten wir über die Entwicklungszusammenarbeit.

Blick in eine Textilfabrik in Pakistan, zwei Frauen laufen durch einen Gang mit vielen Textilmaschinen
Besuch in einer Textilfabrik: In Pakistan verteidigt Svenja Schulze die Entwicklungspolitik - und ihr MinisteriumBild: Thomas Imo/BMZ/photothek.de/picture alliance

Armut bekämpfen, Demokratie und Menschenrechte stärken - das sind Leitlinien der deutschen Entwicklungszusammenarbeit, wie Schulze sie beschreibt. "Dass Kinder zur Schule gehen können und nicht arbeiten müssen, dass die Wirtschaft vorankommt, dass die Umwelt geschützt wird, dass Klimaschutz vorangebracht wird: Das sind alles Dinge, die sind nicht nur für die Länder jeweils wichtig, sondern auch für uns in Deutschland."

Zuletzt wurden jedoch immer wieder Stimmen laut, die das deutsche Engagement im Ausland kritisieren. Etwa, dass Schulzes Ministerium den Bau von Radwegen in Peru finanziert. 315 Millionen Euro gebe Deutschland dafür, behaupteten Oppositionspolitiker. Das Ministerium korrigierte: man zahle 44 Millionen Euro - und fördere damit Klimaschutz und Nachhaltigkeit.

Nicht nur einzelne Projekte der deutschen Entwicklungszusammenarbeit werden zuletzt immer stärker in Frage gestellt. Einige Politiker fordern, das BMZ, das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, gleich ganz abzuschaffen. Das BMZ solle ins Auswärtige Amt eingegliedert werden, fordert die liberale FDP, selbst Teil der Regierung von Bundeskanzler Olaf Scholz.

Blick auf einen breiten Radweg in Peru am Rande einer Straße, im Hintergrund sind hohe Häuser zu sehen
Klimaschutz, der mit deutschem Geld gefördert wird: Radweg in der peruanischen Hauptstadt LimaBild: Stefan Zeitz/Geisler-Fotopress/picture alliance

"Es steht bei uns auch im Wahlprogramm, es ist kein Geheimnis, es ist immer schon eine Forderung gewesen", sagt Knut Gerschau, Obmann der FDP im Entwicklungs-Ausschuss des Bundestages. Er ist Teil der Delegation, die Ministerin Schulze auf ihrer Reise zu pakistanischen Textilfabriken begleitet. In keinem anderen europäischen Land gebe es ein eigenes Entwicklungsministerium, betont Gerschau im DW-Interview.

Auch die anderen großen Industrienationen wie Japan oder die USA leisten sich kein eigenes Ministerium. "Dort sind diese Aufgaben auch in anderen Ministerien eingelagert. Aber es ist mit Sicherheit ein eher langfristiges Ziel." Gerschau erhofft sich von einer Abschaffung mehr Effizienz. Es gebe viele Dopplungen, Stellen könnten abgebaut werden.

Auf jeden Fall brauche es ein eigenes Ministerium, sagt dagegen Ministerin Schulze. "Wir haben das in Großbritannien gesehen. Als die ihr eigenes Ministerium abgeschafft haben, waren sie auf der internationalen Bühne nicht mehr präsent." Es sei aber wichtig, die eigenen Interessen und Werte auf der internationalen Ebene zu vertreten. "Dafür braucht es Leute mit Kompetenz, und dafür braucht es auch die Vertretung. Das kann nicht alles in einem Wirtschafts-, in einem Außenministerium oder in einem Finanzministerium einfach angedockt werden."

Entwicklungszusammenarbeit und humanitäre Hilfe seien in angespannten Zeiten besonders wichtig, betont Jürgen Kretz von den Grünen. Der Bundestagsabgeordnete begleitet Schulze ebenfalls auf ihrer Pakistan-Reise.

"In einer sich anspannenden Weltlage, wo Akteure wie China und Russland uns im internationalen Mächtespiel gegenüberstehen, da ist es wichtig, mit Partnerländern weiter im Gespräch zu bleiben, in der Kooperation zu bleiben und nicht dort das Feld anderen zu überlassen," sagt Kretz der DW. Ein starkes, eigenständiges Entwicklungsministerium sei im Interesse Deutschlands, "weil wir dadurch eine stabile, gut funktionierende, sichere Weltordnung unterstützen können."

Entwicklungshilfe mal anders

Deutschland war das erste Land Europas, das die Entwicklungspolitik an den Kabinettstisch holte. Bereits seit 1961 gibt es das Entwicklungsministerium. Ein treibender Faktor für die Bundesregierung damals: Sie hatte nach dem Krieg mit dem Marshallplan selbst Hilfe in Milliardenhöhe aus den USA erhalten. Diese Unterstützung gilt als Grundlage für den wirtschaftlichen Aufschwung Deutschlands.