Warum dauert ein Regierungswechsel in den USA so lange?
8. November 2024Die Präsidentschaftswahl in den USA findet am 5. November statt, doch die Amtseinführung folgt erst am 20. Januar. Warum diese Wartezeit von elf Wochen? Der ungewöhnliche Zeitplan für den Machtwechsel liegt in der Geschichte der USA begründet. Michael Berkman, Professor für Politikwissenschaft an der Pennsylvania State University spricht von einem "historischen Artefakt".
Mehr als ein Jahrhundert lang traten neue Präsidenten in den USA ihr Amt erst im März an. Wurde eine Regierung also abgewählt, führte sie die Geschäfte noch vier Monate lang weiter. Das änderte sich 1933, als auf dem Höhepunkt der Weltwirtschaftskrise mit der Ratifizierung des 20. Zusatzartikels zur US-Verfassung der Tag des Amtsantritts auf den 20. Januar festgelegt wurde.
Die Arbeitslosigkeit hatte damals 25 Prozent erreicht und war damit so hoch wie noch nie zuvor in der Geschichte der USA. Der neu gewählte Präsident Franklin D. Roosevelt wartete darauf, sein Amt anzutreten, während Amtsinhaber Herbert Hoover aus dem Weißen Haus "schon so gut wie ausgezogen" war, erklärt Matt Dallek von der George Washington University gegenüber der DW. Durch die Verschiebung sollte die Gefahr von "Chaos, Instabilität und einer führungslosen Regierung" vermieden werden, erklärt der Historiker.
Vor der Änderung hatte der Amtseintritt im März auch logistische Gründe. "Es nahm viel Zeit in Anspruch, aus einem der ursprünglich 13 Staaten für die Amtseinführung nach New York zu reisen", erklärt Berkman mit Verweis auf die 13 Gründerstaaten, die die Vereinigten Staaten bildeten, als die Verfassung 1789 in Kraft trat.
Die Reisezeiten zum Regierungszentrum der USA, das sich damals noch in New York City befand, hätten einen großen Einfluss darauf gehabt, wie die Regierungsbildung und die mit ihr verknüpften Verfahren gestaltet wurden, so Berkman.
Bestätigung der Wahlergebnisse
Anders als in Ländern mit einer zentralen Wahlkommission sind in den USA die 50 Bundesstaaten dafür zuständig, die Wahl und die Auszählung durchzuführen. Dadurch kommt es zu vielen verschiedenen Regelungen und Auszählprozessen. Und das wiederum führt dazu, dass in einigen Bundesstaaten Ergebnisse sehr viel schneller feststehen als in anderen.
Nach der Wahlnacht beginnen die einzelnen Staaten mit der Zertifizierung der Wahlergebnisse. Dazu gehört das Überprüfen von Stimmzetteln, die von den Wahlautomaten zurückgewiesen wurden, das Auszählen von Stimmzetteln, die nach der offiziellen Wahl eingingen - zum Beispiel von im Ausland lebenden US-Bürgern - und die Beilegung von Streitfällen, die bei der Auszählung der Stimmen im Bundesstaat oder den ihm zugehörigen Gemeinden auftraten.
Im Jahr 2000, als sich Al Gore und der spätere Präsident George W. Bush um das Amt bewarben, kam es zum Beispiel zu einem solchen Streitfall. Das Wahlkampfteam des demokratischen Kandidaten Gore beantragte eine Neuauszählung der Stimmen in Florida. Nach zahlreichen Gerichtsverfahren auf Ebene des Bundesstaats entschied der Oberste Gerichtshof schließlich am 9. Dezember 2000 gegen den Antrag.
Bei der Präsidentschaftswahl 2020 strengte das Team von Donald Trump eine Vielzahl von Beschwerden an, die sich nach eingehender Überprüfung als gegenstandslos erwiesen. Trotzdem: Damit genau solche Fälle gründlich geprüft werden können, braucht es die lange Zeit zwischen Wahl und Amtsantritt.
Das US-Wahlkollegium
Sind alle Streitfälle beigelegt und die Stimmen gezählt, wird das Ergebnis an die Regierung des Bundesstaates gesendet und vom Gouverneur oder der Gouverneurin bestätigt.
Im Gegensatz zu den meisten anderen Ländern werden Präsidenten in den USA nicht direkt vom Volk gewählt, sondern durch die Wahlleute oder Delegierten des Wahlkollegiums, des Electoral College.
Die Wähler und Wählerinnen in den USA stimmen also nicht für einen Präsidentschaftskandidaten, sondern sie bestimmen, für welchen Kandidaten sich die Wahlleute ihres Staates aussprechen sollen. Jeder Staat hat eine unterschiedliche Anzahl an Wahlleuten, abhängig von der Größe seiner Bevölkerung. Landesweit benötigt ein Kandidat die Stimmen von mindestens 270 Wahlleuten, um die Wahl zu gewinnen. Die Wahlleute versammeln sich Mitte Dezember, um ihre Delegiertenstimmen abzugeben. Das Ergebnis wird dann an den Kongress weitergeleitet.
Stimmauszählung im Kongress
Der Kongress tritt am 6. Januar zusammen, um die Delegiertenstimmen, die er aus den 50 Bundesstaaten und aus Washington, D.C. erhalten hat, auszuzählen. Den Vorsitz führt der Vizepräsident, der auch das Ergebnis verkündet. Kamala Harris musste also die Zertifizierung ihrer eigenen Niederlage beaufsichtigen.
Wenn ein amtierender Präsident eine Niederlage erleidet oder nicht zur Wahl angetreten war, werden die zweieinhalb Monate zwischen der Wahl und der Amtseinführung manchmal als "lame-duck"-Periode bezeichnet - also eine Zeit, in der der amtierende Präsident als "lahme Ente" keine großen Projekte mehr anschieben kann.
In diesen Monaten sollen der scheidende und der neue Präsident zusammenarbeiten, um eine friedliche Machtübergabe zu gewährleisten - eine Konvention, gegen die Trump vor vier Jahren verstieß, als er die Unruhen vom 6. Januar anzettelte.
Ist Joe Biden eine lahme Ente?
Es ist auch die letzte Chance für einen Präsidenten, die finalen Maßnahmen seiner Amtszeit umzusetzen. Während seiner Lame-Duck-Periode hat Joe Biden eine Reihe von Begnadigungen ausgesprochen (darunter auch die seines eigenen Sohnes) und die letzten zivilen Auszeichnungen verliehen.
Biden hat in den letzten Wochen seiner Amtszeit außerdem noch einige politische Initiativen ergriffen. Er belegte beispielsweise eine Fläche von fast einer Million Quadratmeilen vor der Küste der USA mit einem Verbot von Öl- und Gasbohrungen. Das dürfte ein Stein des Anstoßes für Trump sein, zu dessen Wahlversprechen der Slogan "drill, drill, drill" gehörte, also "bohren, bohren, bohren".