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War die EM 2024 ein Erfolg - auch abseits des Rasens?

Mark Meadows | Andreas Sten-Ziemons
12. Juli 2024

Bei der EURO 2024 in Deutschland gab es zwar Probleme mit dem Zugverkehr, teilweise heftige Unwetter und einige Ausbrüche von Nationalismus, aber auch eine friedliche Party-Stimmung und viele zufriedene Gäste.

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Fans aus Rumänien und den Niederlanden feiern gemeinsam in der Münchener Fanzone
"United by football" war das Motto der EM - hier feiern Fans aus Rumänien und den Niederlanden gemeinsamBild: Stefan Puchner/dpa/picture alliance

Züge lassen Deutschland im Stich

Deutschlands größter Bahnbetreiber, die Deutsche Bahn, ist massiv kritisiert worden, nachdem man den zusätzlichen Andrang an Fahrgästen zur Fußball-Europameisterschaft nicht bewältigen konnte. Wer in Deutschland lebt, wusste allerdings bereits vorher, dass Verspätungen und Zugausfälle zum Alltag gehören - auch unabhängig von der Europameisterschaft. Viele ausländische Gäste waren dagegen regelrecht schockiert, dass das angeblich pünktliche und effiziente Deutschland keinen Zugverkehr mehr hat, auf den man stolz sein und sich verlassen kann.

Die ärgerlichsten Vorfälle für die Deutsche Bahn waren, als Turnierdirektor Phillip Lahm zu einem Spiel zu spät kam, weil er mit der Bahn anreiste und dass die Niederlande für das Halbfinale gegen England einen Bus und ein Flugzeug nach Dortmund nehmen mussten. Ihr Zug fiel kurzfristig aus, weil er auf der Strecke mit einem Tier kollidiert war. So verpasste Bondscoach Ronald Koeman die Pressekonferenz vor dem Spiel, obwohl das niederländische EM-Quartier in Wolfsburg weniger als 300 Kilometer vom Spielort Dortmund entfernt lag.

Wo war die Sonne?

Die Fußballweltmeisterschaft 2006 in Deutschland ist den Deutschen als "Sommermärchen" in Erinnerung geblieben, auch weil es damals ein herrlich warmer Sommer war, in dem die Fans bei bestem Wetter in den Fanzonen abhingen, tranken und fröhlich waren. Bei der EM gab es zwar ausverkaufte Fanfeste, aber mehrfach mussten die Fanzonen auch kurzfristig geschlossen werden, weil sintflutartige Unwetter niedergingen, teilweise mit Blitz und Hagel.

Dortmund war wohl am schlimmsten betroffen: Erst ergoss sich ein Unwetter über der Vorrunden-Partie Türkei gegen Georgien, dann musste Deutschlands Achtelfinalsieg gegen Dänemark in der ersten Halbzeit wegen eines Gewitters für 30 Minuten unterbrochen werden.

Und auch vor dem letzten Spiel im Dortmunder Stadion, dem Halbfinale Niederlande gegen England, gab es einen Regenguss, der für die mittlerweile fast schon berühmten "Wasserfälle" vom Stadiondach auf die vorderen Tribünenreihen sorgte. Man muss den Dortmunder Platzwarten aber zugutehalten, dass der Rasen den Wetterbedingungen erstaunlich gut standhielt.

Dennoch gab es Spott auf Social Media, vor allem aus dem arabischen Raum, wo man den Deutschen offenbar nach wie vor sehr übel nimmt, wie kritisch sie sich vor anderthalb Jahren über die WM in Katar geäußert hatten.

Kaum Hooligans, aber jede Menge Flitzer

Einige gewalttätige Ausschreitungen gab es auch, aber sie waren glücklicherweise selten: ein paar Schlägereien außerhalb der Stadien, niederländische und englische Fans, die vor dem Halbfinale in der Dortmunder Innenstadt aneinandergerieten, Italiener, die albanischen Zuschauern auflauerten, und ein paar Engländer, die die Deutschen nach dem Ausscheiden der Gastgeber anpöbelten. Im Allgemeinen verhielten sich die Anhänger und Besucher der EM-Spiele aber ruhig. Eine Ausnahme blieben die Ermittlungen der deutschen Staatsanwaltschaft wegen eines Vergewaltigungsvorwurfs gegen einen Betreuer der albanischen Nationalmannschaft. Er soll eine 18-jährige Hotelangestellte bedrängt und sexuell missbraucht haben. Der Mann wurde vom Verband suspendiert, durfte aber nach Albanien ausreisen.

Auch in den Stadien kam es zu vereinzelten Handgreiflichkeiten. Die Hauptprobleme waren aber illegale Pyrotechnik, Plastikbecher, die - zum Beispiel bei Eckstößen - in Massen auf den Rasen geworfen wurden, und einige kontroverse Gesänge (siehe unten). Ein Mann auf dem Stadiondach in Dortmund, den man für eine potentielle Gefahr hielt, war letztlich nichts weiter als ein übereifriger Fotograf.

Beim Verfolgen eines Flitzers mit Smartphone rutscht ein Steward aus und kollidiert mit Spaniens Alvaro Morata
Ordner stellen einen Flitzer und einer der Stewards rutscht aus Versehen in die Beine von Spaniens Alvaro MorataBild: MIS/IMAGO

Außerdem entpuppte sich das Turnier in Deutschland als eine Art Paradies für sogenannte "Flitzer". Häufig sprangen Fans unerlaubt über die Bande und sprinteten mit dem Smartphone im Anschlag über den Rasen, um ein Selfie mit einem der Superstars zu schießen. Gefährlich wurde das vor allem deswegen, weil die Ordner die Verfolgung mit zu glattem Schuhwerk aufnahmen. Mehr als einmal rutschten die Sicherheitskräfte am Ende in unbeteiligte Spieler hinein und grätschten sie unfreiwillig um. Nur mit Glück kam es nicht zu schwereren Verletzungen.

Die Zeit, die der Einlass in die Stadien angesichts der vielen Sicherheitskontrollen in Anspruch nahm, war schon zu Beginn des Turniers ein Ärgernis für die Fans. Einige berichteten, sie hätten drei Stunden lang Schlange gestanden. Gelsenkirchen wurde besonders kritisiert, auch weil nach dem Spiel die Abreise von dort mit der Bahn nicht wirklich funktionierte. Im weiteren Verlauf der Europameisterschaft wurde die Situation aber besser.

Zu viel Politik?

Die Sperre von zwei Spielen gegen den türkischen Verteidiger Merih Demiral wegen des umstrittenen Wolfsgrußes, der nach Ansicht von Kritikern ein rechtsextremes Symbol ist und sich gegen ethnische Minderheiten in und um die Türkei richtet, beherrschte tagelang die Nachrichten. Im Nachgang wurde ein großer Fanmarsch in Berlin gestoppt, weil türkische Anhänger die Geste dort ebenfalls zeigten. Die Türkei erklärte, dass der Gruß lediglich das "Türkentum" zelebriere, und reagierte wütend auf das Verbot, auch Präsident Recep Tayyip Erdogan äußerte sich.

Merih Demiral von der Türkei jubelt  im Spiel gegen Österreich und zeigt mit beiden Händen den umstrittenen Wolfsgruß
Merih Demiral zeigte im Spiel gegen Österreich den umstrittenen "Wolfsgruß" und wurde von der UEFA gesperrtBild: Sebastian Christoph Gollnow/dpa/picture alliance

"Um ehrlich zu sein, hat die UEFA mit ihrer Zwei-Spiele-Sperre für Merih einen schweren Schatten auf die Meisterschaft geworfen. Es ist unerklärlich, es ist eine rein politische Entscheidung", sagte Erdogan, als die Türkei in der Runde der letzten Acht gegen die Niederländer ausschied. Demiral hatte beim Achtelfinalsieg gegen Österreich zwei Tore erzielt und mit seinen Fingern vor den Fans den Wolf geformt.

Frankreichs Kapitän Kylian Mbappe nutzte das Turnier dagegen, um die französischen Wähler aufzufordern, ihre Stimme nicht den Rechtsextremen der Partei Rassemblement National um Marine Le Pen zu geben.

Unterdessen drohte Serbien kurzzeitig mit dem Ausstieg aus dem Turnier, nachdem es beim Spiel zwischen Kroatien und Albanien zu anti-serbischen Gesängen beider Fanlager gekommen war. Der albanische Stürmer Mirlind Daku wurde für zwei EM-Spiele gesperrt, weil er nach dem Spiel mit einem Megafon in der Hand nationalistische Gesänge gegen Serbien und Nordmazedonien angestimmt hatte.

Ein friedliches Fußballfest

Unter dem Strich überwiegen beim Rückblick auf das EM-Turnier aber die positiven Eindrücke. Die deutschen Fans verliebten sich nach bleiernen Jahren des sportlichen Misserfolgs wieder in ihre Nationalmannschaft. Die meisten Spiele hatten ein gutes Niveau, besonders zu Anfang fielen zahlreiche wunderschöne Weitschuss-Tore. Mit dem erst 16-jährigen Lamine Yamal haben die Zuschauer den Durchbruch eines kommenden Superstars miterlebt.

Und auch neben dem Platz und außerhalb der Stadien war die EURO ein Turnier, wie man es sich nur wünschen kann: Die orangefarbene "Invasion" der niederländischen Fans mit ihren riesigen Fanmärschen und ihrem "Naar-links-naar-rechts"-Tanz waren ein Highlight. Auch die schottischen Fans trugen mit Dudelsäcken, Kilts und ihrem Humor zur friedlichen Partystimmung bei - auch wenn sie nach der Gruppenphase schon draußen waren.

Zudem zeigten sich die Deutschen als gute Gastgeber und ernteten - wie schon bei der WM 2006 - viel Lob von den ausländischen Fans. Und dass auch Deutsche "völlig losgelöst" feiern können, bewies nicht zuletzt Musiker André Schnura, der mit seinem Saxophon auf den Straßen ganze Menschenmassen dazu brachte, ausgelassen zu tanzen. 

War es also wieder ein "Sommermärchen"? Genauso oder besser als 2006? Das ist schwer zu sagen, weil beide Turniere nicht wirklich miteinander vergleichbar sind. Allerdings ist Folgendes sehr gut vorstellbar: Wenn der EM-Sommer vorbei und der Alltag wieder eingekehrt ist, wird mancher Fan auf das Turnier zurückblicken und sich wünschen: "Ach, wäre doch noch Europameisterschaft!"

Der Text wurde teilweise aus dem Englischen adaptiert.