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"Der Fliegenpalast"

26. Mai 2009

Der österreichische Schriftsteller und frischgekürte Büchner-Preisträger Walter Kappacher ist ein leiser Einzelgänger, dessen Werk erst spät wahrgenommen wurde. Held seines neuen Romans ist ein alternder Schriftsteller.

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Walter KappacherBild: Lukas Beck

"Der Fliegenpalast", der neue Roman des siebzigjährigen Walter Kappacher, ist ein Buch über die letzten Jahre des Schriftstellers Hugo von Hofmannsthal. Das könnte etwas trocken werden, denkt man vielleicht zuerst, aber der Österreicher Kappacher, der in seiner Heimat nicht unbekannt ist, aber in Deutschland bisher eher wenig beachtet wurde, macht etwas Exemplarisches daraus. Er schreibt im Grunde eine Geschichte über den alternden Künstler schlechthin, vielleicht sogar über den alternden Menschen generell.

Hofmannsthal ist zwar in diesem Buch, das im Sommer 1924 spielt, erst gerade 50 geworden, aber er wirkt schon wie ein Greis. Fünf Jahre später wird er sterben, an einem Nervenschlag, als er sich gerade zum Begräbnis seines ältesten Sohnes begeben will, der sich 1929 das Leben nimmt. Ein Schicksalsschlag, von dem sich der Dichter nicht mehr erholte. Im Roman sehen wir ihn im Sommer 1924 allein in der Sommerfrische von Bad Fusch. Er arbeitet an verschiedenen Projekten, aber mit keinem kommt er voran.

Strom der Empfindungen

Es ist das Drama der allzu großen Ansprechbarkeit auf Reize, die bei ihm im Alter immer schlimmer wird, obwohl es ein Leben lang sein Problem war: alles, was er sieht und hört, löst einen solchen Schwall von Empfindungen, Ideen, Assoziationen aus, dass er, völlig zentrifugal, immer mehr vom Kern seiner Beschäftigungen abkommt. Ein junger Arzt, der im selben Hotel abgestiegen ist, beschäftigt ihn, desgleichen eine ältere adelige Dame samt Tochter. Dann die Erinnerungen an Kindheit und Jugend, denn er hat viele Sommer hier verbracht. Schließlich die Lesefrüchte. Und die Briefe, die er erhält. Auch die Nachrichten aus Wien, wo man sechs Jahre nach dem verlorenen Krieg noch immer (wie in Deutschland) mühsam dahinkrebst. All das dringt auf den Autor ein, nimmt ihn gefangen, ängstigt ihn. Und als Leser steht man ebenfalls unter der Einwirkung vieler Reize und Informationen.

Charakterstudie eines alten Mannes

Buchcover Der Fliegenplast von Walter Kappacher

Doch alles in allem schafft Kappacher keinen "nervösen" Roman. Er gibt vielmehr ein elegisches Bild der Nervosität eines anderen, das er in ruhiger Sprache und diskreten Sätzen vor uns ausrollt. Das ist ein Buch für kulturgschichtlich interessierte Leser, aber auch für solche, die sich für die feinen Verästelungen der Gedanken und Gefühle interessieren. Denn im Grunde ist das Buch eine Charakterstudie, die Studie eines alternden Mannes in der Krise, der seine Lebensfunktionen nicht mehr bündeln und instrumentalisieren kann. Ein melancholisches Buch also auch. Ein Buch des Abschiednehmens.

Rezensent: Tilman Krause
Redaktion: Gabriela Schaaf