Wahlkampfauftakt in der Slowakei
22. August 2002Köln, 22.8.2002, SME, PRAGER ZEITUNG
SME, 22.8.2002, slowak.
In der Slowakei hat gestern (21.8.) der offizielle Wahlkampf für die für den 21. und 22. September anberaumten Parlamentswahlen begonnen. Welche der insgesamt 26 registrierten Parteien in das künftige Parlament gelangen werden, kann sich erst im letzten Augenblick entscheiden. Viele Wähler, laut Schätzungen sogar eine halbe Million, sind immer noch unentschlossen.
"Aktuelle Umfragen zeigen, dass mehrheitlich zwei Parteien favorisiert werden und dass die Wähler abwarten. Wenn es zu einer Skandalgeschichte im Falle des einen oder des anderen Parteichefs kommen sollte, wird nicht seine, sondern die andere Partei gewählt," sagt der Soziologe Ivan Dianiska.
Laut letzten Umfragen würden den Sprung ins Parlament sieben Parteien schaffen: Die Bewegung für eine demokratische Slowakei (HZDS), Smer (Richtung), die Allianz des neuen Bürgers (ANO), die Bewegung für Demokratie (HZD), die Slowakische Demokratische und Christliche Union (SDKU) und die Christdemokratische Bewegung (KDH).
Man geht davon aus, dass die wichtigsten Wahlschlachten in zwei Lagern stattfinden werden: einerseits zwischen der SDKU (von Mikulas Dzurinda - MD), der Smer (von Robert Fico - MD) und der ANO (von Pavel Rusko – MD), andererseits zwischen der HZDS (von Vladimir Meciar – MD) und der HZD (von Ivan Gasparovic). (...) (ykk)
SME, 22.8.2002, slowak.
Zum Thema "Wahlkampfauftakt" führen wir ein Interview mit dem Soziologen Ivan Dianiska von der Agentur Focus.
Frage:
Das Interesse der Bürger für die Politik schrumpft. Wird sich das auch auf die Wahlbeteiligung auswirken?Antwort:
Die Wahlbeteiligung wird bestimmt etwas niedriger sein als bei den letzten Wahlen vor vier Jahren. Das Wahlinteresse wird jedoch immer größer. Deswegen vermute ich keine dramatischen Rückgänge. Die Wahlbeteiligung wird, schätze ich, bei 70 Prozent liegen. (...)Frage:
Sind die Parteien in diesem Wahlkampf kreativer als 1998?Antwort:
(...) Es scheint mir, dass sie schon ein bisschen kreativer sind. Denn es gibt Fortschritte bei der Professionalisierung des Wahlkampfes.Frage:
In der Slowakei wird vor den Wahlen schon fast traditionell eine "mediale Bombe" erwartet. Haben die Wahlstrategen auch jetzt einen Grund, sie zu fabrizieren?Antwort:
Die Lage hat sich gravierend geändert. Mit ihrem Prozentsatz kann sich keine der Parteien sicher sein. Deshalb wird es zweifellos auch Versuche geben, die Rivalen zu diskreditieren.Frage:
Eine Überraschung stellt bislang der Erfolg der neugegründeten Bewegung für Demokratie (HZD) von Ivan Gasparovic dar. Woher, außer der HZDS, kommen ihre Stimmen?Antwort:
Bislang scheint es so, dass die HZD ihre Stimmen ausschließlich bei der HZDS holt.Frage:
Könnte es in der Wählergunst noch zu dramatischen Verschiebungen kommen?Antwort:
Die Lage hat sich unerwartet nach der Gründung der Bewegung für Demokratie (HZD) geändert.(...) Die jüngsten Meinungsumfragen signalisieren uns, dass es viele Wähler gibt, die sich erst in der letzten Woche vor den Wahlen entscheiden werden. Eventuelle Verschiebungen sind somit nicht auszuschließen. (...) (ykk)PRAGER ZEITUNG, 21.8.2002, deutsch, Lubos Palata
Noch vor einigen Wochen schien der Ausgang der Parlamentswahlen in der Slowakei schon im vorhinein festzustehen. Die Bewegung für eine demokratische Slowakei (HZDS) des ehemaligen Premierministers Vladimir Meciar war klarer Favorit. Wahlvorhersagen siedelten sie bei 25 bis 30 Prozent an. Die zweitstärkste Partei Smer (Richtung) des populärsten slowakischen Politikers, Robert Fico, blieb dahinter um rund zehn Prozent zurück. Neuerlich zeichnete sich ab, dass zu einem HZDS-Kabinett unter Meciar keine andere Alternative besteht als eine breite Parteienkoalition.
Aus dem Westen, vor allem aus den Vereinigten Staaten, kamen klare Signale: sowohl NATO- als auch EU-Mitgliedschaft rücken in weite Ferne, wenn sich Meciar mit seiner Partei am kommenden Kabinett beteiligen wird. Der Grund: Immer noch sind die Methoden der HZDS-Regierung aus den Jahren 1994 bis 1998 in guter Erinnerung, als wiederholt gegen Grundregeln der Demokratie verstoßen wurde und sich zahlreiche Leute aus der Umgebung Meciars bei der Privatisierung bedienten.
Gravierendstes Beispiel war die Entführung des Sohnes des damaligen slowakischen Präsidenten Michal Kovac, durchgeführt von Agenten des slowakischen Sicherheitsdienstes (SIS). Die Initiative ging wohl auf Meciar zurück. Hinzu kamen die Ermordung sowie gewaltsame Angriffe auf Journalisten und das vereitelte Referendum über den NATO-Beitritt. Das alles brachte dem Land den Ruf ein, die politischen Kriterien von Kopenhagen nicht zu erfüllen. Die Slowakei, ursprünglich ein klarer EU- und NATO-Kandidat, rückte deshalb sogar noch hinter Rumänien.
Gasparovic kontra Meciar
Das alles tat der Popularität des umstrittenen Politikers Meciar im Land keinen Abbruch. Er blieb unumstrittener Favorit der Parlamentswahlen, die im September stattfinden. Doch Meciar unterlief Anfang Sommer ein Kardinalfehler. Bei der Nominierung der Kandidaten für ein Abgeordnetenmandat überging er einen der beliebtesten Politiker der Partei, den früheren Parlamentsvorsitzenden Ivan Gasparovic. Der aber hat in der Partei starken Rückhalt. Der enttäuschte Gasparovic zog die Konsequenz und gründete mit Unterstützung bedeutender slowakischer Unternehmer der Meciar-Ära in Rekordzeit eine eigene Partei. Im letzten Moment ließ er diese für die Wahlen registrieren. Das Kürzel HZD (Bewegung für Demokratie) erinnert eindeutig an die Verbindung mit der HZDS (Bewegung für eine demokratische Slowakei).
Der Politiker hat damit eine Marktlücke entdeckt und gefüllt. Denn alles deutet darauf hin, dass die Slowakei auf eine "HZDS ohne Meciar" gewartet hat. Auch das Ausland reagierte postwendend. Gasparovic wurde demonstrativ von den Botschaftern der wichtigsten westlichen Staaten und der Visegrad-Staaten empfangen. Der Vorsitzende der HZD verkündet seitdem, dass seine Partei für den Westen akzeptabel sei. Akzeptabel ist die Partei auch für die meisten anderen slowakischen Parteien. Robert Fico, Chef der zweitstärksten Gruppierung, der Smer, hatte bereits im Winter auf dem Parteitag der HZDS erklärt, er könne sich eine Zusammenarbeit mit dieser Partei vorstellen, aber ohne Vladimir Meciar. Und dem entspricht die HZD von Gasparovic.
Auch die Wähler haben schon reagiert: Laut jüngsten Meinungsumfragen kommt die HZD auf Anhieb auf zehn Prozent. Und noch eines zeigt sich: Die zehn Prozent Wähler stammen von der HZDS Meciars. Denn die verlor genau zehn Prozent und fiel zum ersten Mal in zehn Jahren unter die 20-Prozent-Marke. Meciars Vorsprung vor dem Zweiten, Robert Fico, ist demnach auf weniger als zwei Prozent gesunken. Die Karten werden in der Slowakei neu verteilt und das Ergebnis der Wahlen im September ist wieder offen. (ykk)