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Wahlerfolg für neue Partei von Sahra Wagenknecht

10. Juni 2024

Zustimmung für die Partei von Sahra Wagenknecht bei der Europawahl. Das neue Bündnis BSW ist vor allem in Ostdeutschland erfolgreich und könnte die Parteienlandschaft verändern.

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Die BSW-Parteivorsitzende fröhlich, hält am EU-Wahlabend eine Ansprache vor Anhängern
Freut sich über das gute Wahlergebnis für ihr Bündnis - Sahra Wagenknecht am WahlabendBild: Bernd von Jutrczenka/dpa/picture alliance

Jubel beim Wahlbündnis Sahra Wagenknecht am Abend der Europawahl. Die Parteigründerin hat allen Grund sich zu freuen: 6,2 Prozent der Wählerstimmen. "Ich glaube, das gab es überhaupt noch nie in der bundesdeutschen Geschichte", sagt die Parteivorsitzende am Wahlabend. Sie meint damit, dass eine Partei auf Anhieb und erst kurz nach ihrer Gründung ein so gutes Ergebnis einfährt.

Sahra Wagenknecht ist in Deutschland bekannt. Einst war sie das Gesicht der Partei Die Linke. Sie ist im vergangenen Jahr ausgetreten und führt seit Januar eine neue Partei im Aufbau an. Der Name ist gleichzeitig Programm: Bündnis Sahra Wagenknecht – Für Vernunft und Gerechtigkeit (BSW). Die Partei, in der sie groß geworden ist, hat sie hinter sich gelassen, auch bei den Wahlergebnissen. Die Linke erreicht lediglich 2,7 Prozent. Sieg also für eine Frau, die sich anschickt, die deutsche Parteilandschaft zu verändern mit einem politischen Ansatz, der immer noch diffus ist. Und mit einem Parteiapparat, der nur über sehr wenige Mitarbeiter und Parteimitglieder verfügt.

"Wir werden in Deutschland die Politik verändern", rief Wagenknecht ihren jubelnden Anhängern in Berlin zu. Besonders im Osten von Deutschland hat das BSW viel Anklang gefunden. Dort kommt die Parteineugründung auf mehr als 13 Prozent der Stimmen und belegt damit insgesamt Platz drei.

Welche Politik will die neue Wagenknecht-Partei BSW machen?

Die Ein-Frau-Partei

"Das BSW hat eine Leerstelle besetzt: eine links gerichtete Sozialpolitik und eine rechts gerichtete gesellschaftliche Politik" sagt der Politikwissenschaftler Jan Philipp Thomeczek, der sich wissenschaftlich mit dem BSW befasst hat, der Deutschen Presse-Agentur. Zum Beispiel streitet das BSW für höhere Renten in Deutschland und einen höheren Mindestlohn, bremst aber beim Klimaschutz und der Aufnahme von Geflüchteten.

Die lange in Deutschland praktizierte Willkommenskultur für Flüchtlinge, 2015 von der damaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) initiiert, hält Sahra Wagenknecht für "hochproblematisch". Nicht, weil man diesen Menschen kein besseres Leben gönne, wie sie betont. "Sondern weil unser Land dadurch einfach überfordert wird."  Diese Mischung sei für Deutschland neu, ergänzt der Forscher. Hinzu komme der populistische Ansatz. Wagenknechts Rhetorik gegen "Die da oben" mache sie zu einer "Anwältin der kleinen Leute". Sie nenne die regierenden Parteien offen gefährlich, dumm, verlogen oder heuchlerisch. Am Tag nach der Wahl sagt Wagenknecht: "Wir sind da für die Menschen, die den Glauben an die Demokratie verloren haben." Ein Partei für "Verzweifelte", ergänzt die Politikerin.

Karneval: Motivwagen beim Umzug in Mainz - Wladimir Putin mit Blut an den Händen steuert mit dem Lenkrad die Politikerinnen Alice Weidel (AfD) und Sarah Wagenknecht (BSW)
Putin als Lenker der beiden Politikerinnen Sahra Wagenknecht (r.) und der AfD-Vorsitzenden Alice Weidel beim Mainzer KarnevalszugBild: Michael Probst/AP/picture alliance

Eine Koalition mit der rechtspopulistischen AfD lehnt Wagenknecht zwar ab. Aber in einem sind sich AfD und BSW sehr nah; nämlich in der Russlandpolitik. So hat sich das BSW gegen Waffenexporte in die Ukraine ausgesprochen und auch gegen Sanktionen. Eine diplomatische Lösung für den Konflikt solle gefunden werden. Solche Ansichten sind in Ostdeutschland populär.

Beispiellos ist aus Sicht des Forschers Thomeczek auch die Personalisierung der neuen Partei. "Sahra Wagenknecht kennt jeder, das ist ungewöhnlich", sagt der Wissenschaftler. "Sie polarisiert, sie hat viele Kritiker, aber eben auch viele Fans."

Früher war Sahra Wagenknecht Kommunistin

Die junge Sahra Wagenknecht war Kommunistin. Das blieb auch noch eine Weile so, als sie älter wurde und die DDR-Diktatur im lange Zeit geteilten Deutschland längst Geschichte war. Ab 2007 prägte die aus Jena im Bundesland Thüringen stammende Politikerin für viele Jahre das Bild der Partei Die Linke - meistens im Streit um den vermeintlich richtigen Kurs. 

Bei der Wahlparty des BSW - Sahra Wagenknecht im blauen Blazer mit ihrem Ehemann Oskar Lafontaine im Anzug
Das Polit-Paar - Sahra Wagenknecht und ihr Ehemann Oskar Lafontaine am WahlabendBild: Bernd von Jutrczenka/dpa/picture alliance

Der Ehemann von Sahra Wagenknecht ist der ehemalige Vorsitzende der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD), Oskar Lafontaine. Er verließ die Partei im Streit, ging zu Die Linke und unterstützte von Anfang an die Neugründung der Partei seiner Frau Sahra Wagenknecht; das BSW.

Kaum Wechselwähler von der AfD

Wahlforscher hatten vorhergesagt, dass das BSW besonders wegen einiger Überschneidungen in der Programmatik Wählerstimmen von der AfD erhalten werde. Aber die Analysen des Instituts Infratest Dimap belegen das nicht. Von den bisherigen AfD-Wählern stimmten lediglich 160.000 für die Wagenknecht-Partei. Das Versprechen des BSW, frustrierte AfD-Wähler aufzufangen, jedenfalls ging nicht auf. Hingegen gingen rund 520.000 SPD-Stimmen an das BSW. Und auch aus der Linken, der Wagenknecht zuvor angehörte, kamen 410.000 Stimmen.

Nach den Wahlen ist vor den Wahlen

Das Bündnis von Sahra Wagenknecht macht sich nun Hoffnung, auch bei den anstehenden Wahlen in den ostdeutschen Bundesländern Thüringen, Sachsen und Brandenburg im Herbst ein Machtfaktor zu werden. Dort werden neue Landtage gewählt. In Umfragen erreicht das BSW in allen drei Ländern über 10 Prozent; und kann sich sogar Hoffnung auf eine Regierungsbeteiligung machen. Fernziel ist ein gutes Ergebnis bei den nächsten Wahlen zum Deutschen Bundestag, die voraussichtlich im Herbst 2025 stattfinden.

Resümierend sagte die Parteivorsitzende Sahra Wagenknecht am Montag bei einer Pressekonferenz in Berlin: "Die erste Bewährungsprobe haben wir bestanden."

Volker Witting
Volker Witting Politischer Korrespondent für DW-TV und Online