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PolitikBulgarien

Wahl in Bulgarien: Endlich Europa, endlich Stabilität?

1. April 2023

Bulgarien wählt schon wieder. Die meisten Menschen im Land wünschen sich vor allem eines: mehr politische Stabilität. Auch für Europa ist der Wahlausgang entscheidend.

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Bulgarien Wahlkampf Parlamentswahl 2023 | GERB-Partei - mit Boyko Borissov
Bulgarien steht vor der fünften Wahl in zwei Jahren. Hier im Bild: Ex-Regierungschef Bojko Borissow. Hinter ihm die Aufschrift: "Wieder für ein stabiles Bulgarien"Bild: BGNES

An diesem Sonntag (2.04.2023) steht in Bulgarien erneut eine vorgezogene Parlamentswahl an - es ist das fünfte Mal innerhalb von nur zwei Jahren. Das Land ist politisch so instabil wie kaum ein anderes in der Europäischen Union. Bei keiner Wahl der vergangenen beiden Jahre kam eine tragfähige Regierungsmehrheit zustande. Inzwischen zeigen die Bürgerinnen und Bürger Anzeichen einer tiefen Wahlmüdigkeit, während das Land weiterhin von Korruption und wachsender Inflation geplagt wird.

Laut Umfragen wird auch diesmal keine Partei eine eigene Mehrheit bekommen. Kann es dennoch gelingen, endlich eine stabile Regierungsmehrheit zu organisieren? Und: Wie wird sich das Wahlergebnis auf Bulgariens Engagement als Mitglied der EU und NATO vor dem Hintergrund des Ukraine-Kriegs auswirken? Das sind die großen Fragen vor und nach der Wahl, die sich viele Beobachter stellen.

"Russlandfreundlicher Spoiler oder verlässlicher Partner in äußerst schwierigen Zeiten" - darauf spitzt es die Münchener Politologin und langjährige Bulgarien-Kennerin Johanna Deimel zu. "Die euroatlantische Ausrichtung Bulgariens ist nicht nur für die Zukunft des Landes, sondern auch für Gesamteuropa enorm wichtig. Denn die Stärke der EU und der NATO liegt in der Geschlossenheit."

Korruption, Filz, Gängelung der Justiz

Als proeuropäisch und euroatlantisch orientiert gelten in Bulgarien die zwei zurzeit stärksten politischen Kräfte: das Wahlbündnis PP-DB und die Partei GERB des Langzeit-Ministerpräsidenten Bojko Borissow, der von 2009 bis 2021 fast ununterbrochen amtierte.

Porträtaufnahme von Bojko Borissow, ehemaliger Ministerpräsident von Bulgarien, aufgenommen beim Verlassen des Wahllokals am 2.10.2022
Bojko Borissow, ehemaliger Ministerpräsident von BulgarienBild: Visar Kryeziu/AP/dpa/picture alliance

PP steht für "Wir setzen den Wandel fort", eine liberale Partei, deren Vorsitzender Kiril Petkow 2022 für einige Monate Ministerpräsident war - auch damals in enger Partnerschaft mit DB ("Demokratisches Bulgarien") - einer Partei, die sich in erster Linie für eine Justizreform und für die Korruptionsbekämpfung einsetzt. Diese Regierung wurde aber durch ein Misstrauensvotum gestürzt, und zwar mit den entscheidenden Stimmen von Borissows GERB.

GERB, zu deutsch "Bürger für eine europäische Entwicklung Bulgariens", ist nominell eine konservative, proeuropäisch ausgerichtete Partei und Mitglied in der Europäischen Volkspartei (EVP). Doch seit Jahren werfen ihr Kritiker tiefe Korruption, Filz, Angriffe auf die Rechtsstaatlichkeit und eine Gängelung des Justizwesens vor. Sie sehen Borissow als einen der Hauptverantwortlichen für die innenpolitische Misere Bulgariens.

Staatspräsident als Akteur

Auch einem anderen Politiker wird vorgeworfen, entscheidend zur tiefen Spaltung Bulgariens beigetragen zu haben: dem Staatspräsidenten Rumen Radew, der den wendekommunistischen Sozialisten der Bulgarischen Sozialistischen Partei (BSP) nahesteht. Nominell hat er überwiegend nur repräsentative Aufgaben. Im häufigen Machtvakuum der vergangenen Jahre wurde er jedoch zunehmend zum politischen Akteur.

Der bulgarische Präsident Rumen Radew spricht zu Reportern
Präsident Rumen RadewBild: Nikolay Doychinov/AFP/Getty Images

Radew konnte sich zu einer vorbehaltlosen Verurteilung des russischen Krieges gegen die Ukraine bisher nicht durchringen und äußerte auch ein "Nein" zu Waffenlieferungen für Kiew - wohl aus Rücksicht auf die traditionelle Russlandfreundlichkeit vieler Bulgaren, wie ein gespaltenes Meinungsbild über die Unterstützung für die Ukraine immer wieder zeigt. Davon profitieren explizit prorussische Parteien wie Wazraschdane (Wiedergeburt), die Meinungsumfragen zufolge als dritt- oder viertstärkste Partei - neben der Bewegung für Rechte und Freiheiten (DPS), die offiziell die Interessen der türkischen Minderheit vertritt - ins neue Parlament einziehen wird.

Wahlkampfthema Ukraine

Abgesehen von Ungarn, ist die Frage der militärischen Unterstützung für die Ukraine in kaum einеm anderen EU-Land so umstritten wie in Bulgarien. Wie umstritten, zeigten die Reaktionen auf eine Recherche der Tageszeitung "Die Welt", die noch Wochen nach ihrer Veröffentlichung im Januar 2023 für heftige Diskussionen und Polemiken im Land sorgt. Unter dem Titel "Bulgarien: Das Land, das heimlich die Ukraine rettete" hatte das Blatt aufgezeigt, wie die Petkow-Regierung die Ukraine stillschweigend und auf verschlungenen Wegen militärisch unterstützte.

Proukrainische Demonstranten tragen bei einer Solidaritätskundgebung ein Jahr nach Beginn des Ukraine-Kriegs blau gelbe Luftballons und eine große ukrainische Fahne durch die Straßen von Sofia
Nicht nur militärisch unterstützt Bulgarien die Ukraine: Solidaritätskundgebung in Sofia im Februar 2023Bild: Alexandar Detev

Für den Autor Philip Volkmann-Schluck liegt es im Interesse Europas, dass Bulgarien aus der Wahl mit einer stabilen Regierung hervorgeht. "Spätestens seit Putins Angriff auf die Ukraine dürfte klar geworden sein, dass Bulgarien innerhalb der EU eine bedeutende Rolle einnimmt - als Unterstützer der Ukraine mit Waffen und Munition, durch seine strategische Lage am Schwarzen Meer, aber auch als Drehkreuz zur Versorgung der EU mit Energie."

Wessela Tschernewa, Direktorin des European Council of Foreign Relations in Sofia, beobachtet mit Sorge, wie das Thema der militärischen Unterstützung für die Ukraine den Wahlkampf beherrscht. "Parteien wie Wazraschdane mit ihrer Kampagne gegen Waffenlieferungen an die Ukraine oder auch die Euro-Einführung haben das antiwestliche Narrativ in Bulgarien gesellschaftsfähig gemacht. Interessanterweise widersprechen Parteien der Mitte wie GERB dieser Rhetorik zumindest derzeit nicht." Tschernewa glaubt allerdings, dass die bulgarische Gesellschaft großenteils reifer ist als die politische Elite: "Sie ist ein verlässlicher Teil des EU-Konsens."

Stolperstein Borissow

Ob das zu einem klareren Wahlergebnis als bei den vergangenen Wahlen führen wird, ist offen. PP-DB und GERB liefern sich zurzeit in Umfragen ein Kopf-an-Kopf-Rennen. Auf Grund der - von GERB mindestens verbal abgegebenen - klaren proeuroatlantischen Aussagen und einer scharfen Verurteilung der russischen Invasion in der Ukraine scheint eine Regierungskoalition beider Parteien naheliegend. Der Stolperstein heißt aber Bojko Borissow. Die Korruptionsvorwürfe gegen die von ihm geführten Regierungen wurden jüngst auch aus Übersee zumindest teilweise gestärkt: Borissows ehemaliger Finanzminister Wladislaw Goranow steht auf der sogenannten "Magnitski-Sanktionsliste" der USA. Deshalb würde PP-DB keine Koalition mit einer von Borissow geführten GERB-Partei eingehen.

Politiker der Koalition "Wir setzen den Wandel fort" treten auf einer Bühne vor einem Wahlplakat auf
Die Koalition "Wir setzen den Wandel fort" im Wahlkampf Bild: BGNES

Der Politikwissenschaftler Daniel Smilow sieht vor diesem Hintergrund zwei Optionen: entweder eine PP-DB-Minderheitsregierung, geduldet von GERB, oder eine Koalitionsregierung mit GERB und ohne Borissow. Die Aussagen der Parteien aus den letzten Tagen zeigen allerdings, dass beide Optionen unrealistisch sind.

Mehr Ordnung im Haus

Die Bulgaren aber haben mit den zwei Jahren politischer Instabilität bittere Erfahrungen gesammelt. Daher hofft Smilow nach der jetzigen Wahl auf einen Durchbruch: "Weder die Politiker noch die Wähler wollen dieselbe Instabilität von Neuem. Deswegen wird der Druck zur Bildung einer regulären Regierung sehr stark sein. Besonders im Hinblick auf die Position des Staatspräsidenten Radew gegenüber der Ukraine - eine Position, die die meisten Parteien nicht teilen."

Fest steht: Die Regierungsbildung nach der Wahl am 2. April wird sehr kompliziert werden. Und fest steht auch: Mit einem Krieg vor der Haustür, mit einer wachsenden Inflation, mit der gesellschaftlichen Zersplitterung und mit einem Ersatz-Kabinett in den Händen des Staatspräsidenten brauchen die Bulgarinnen und Bulgaren dringend mehr Ordnung im Haus und eine tatkräftige, demokratisch legitimierte Regierung. Zumindest in diesem Punkt sind sich alle Beobachter einig.