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Interview Almut Wieland-Karimi, Waffenruhe Afghanistan

7. Juni 2011

Der Krieg in Afghanistan ist im zehnten Jahr. Die Taliban-Bewegung setzt auf spektakuläre Anschläge, das westliche Bündnis bereitet den Rückzug vor. Die Orientalistin Almut Wieland-Karimi plädiert für eine Waffenruhe.

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Dr. Almut Wieland-Karimi, Direktorin des Zentrums für Internationale Friedenseinsätze in Berlin (Foto: zif)
Dr. Almut Wieland-Karimi, Direktorin des Zentrums für Internationale FriedenseinsätzeBild: zif

DW-WORLD.DE: Osama bin Laden war nach dem 11. September 2001 der Hauptgrund für die US-geführte Intervention in Afghanistan. Welchen Einfluss hat sein Tod durch den Einsatz eines US-Spezialkommandos am 2. Mai in Pakistan auf die Region?

Almut Wieland Karimi: Einen durchaus unterschiedlichen. In Pakistan läuft ein Spalt durch die Gesellschaft. Dort gibt es in der Bevölkerung eine große Frustration darüber, wie die eigene Regierung mit der Situation umgegangen ist. Aber der Einsatz hat auch starke Empörung bei vielen Pakistanis hervorgerufen, weil es von afghanischem Boden startend einen US-Einsatz in ihrem Land gegeben hat, ohne dass die eigene Regierung einbezogen worden ist. Es gibt also eine Mischung aus Frustration über die USA und Frustration über die eigene Regierung.

In Afghanistan kann man eher von einer gewissen Erleichterung sprechen. Auch Präsident Hamid Karsai hat ja sehr schnell betont, dass seine Regierung immer gesagt habe, dass Osama Bin Laden sich nicht in Afghanistan aufhält. Die Afghanen konnten zeigen, dass Osama Bin Laden und Al Kaida ein Thema sind und die Taliban in Afghanistan ein anderes.

Für wie eng halten Sie die Beziehung zwischen den afghanischen Taliban und Al Kaida?

Ich glaube tatsächlich, dass die nie so eng gewesen sind, wie man vermeintlich bei uns angenommen hat. Man kann sich das ja auch historisch angucken. Tatsächlich hat es viel mit dem Thema Gastfreundschaft zu tun. Osama bin Laden ist nach Afghanistan gekommen, ohne eingeladen worden zu sein und die Taliban haben ihn als Gast aufgenommen. In dieser Frühphase suchten sie politische Anerkennung.

Bei den Taliban handelt es sich jedoch sehr stark um eine traditionelle Bewegung, die aus der Region kommt, während Al Kaida schon immer ganz klar eine internationale, moderne Ausrichtung hatte und auf einer sehr hohen ideologischen Ebene arbeitet. Die Taliban streben sehr viel stärker nach der Macht im eigenen Land. Das ist ihr Mittelpunkt. In der jetzigen Phase sind sie froh über eine Distanz zu Al Kaida.

Wir wissen, dass mit deutscher Hilfe diskrete Gespräche mit Vertretern der afghanischen Taliban laufen. Wir erleben gleichzeitig in diesem Frühjahr eine starke Zunahme von Anschlägen. Diese Anschläge sind präzise und professionell geplant und richten sich zunehmend auch gegen stark gesicherte Orte und wichtige Persönlichkeiten - gerade auch im Einsatzgebiet der Bundeswehr in Nordafghanistan. Was wollen die Taliban erreichen?

Sie wollen als Verhandlungspartner ernst genommen werden und ihre Anhänger weiter gegen die aus ihrer Sicht unrechtmäßige Regierung Hamid Karsais und gegen die internationale Gemeinschaft mobilisieren. Die Taliban setzen sich aus ihrer Sicht für die Einheit ihres Landes ein. Es geht ihnen jetzt ganz klar um die Verbesserung der eigenen Verhandlungsposition, da klar geworden ist, dass sich die internationale Seite zurückziehen wird. Es geht darum zu zeigen, dass man in der Lage ist, zurückzuschlagen.

Das ist eine ganz schwierige Gemengelage. Auch die afghanische Regierung und die internationale Gemeinschaft schicken immer wieder zwei parallele Signale, die sich nicht vertragen. Zum einen wollen wir gegen die Taliban und die Gegner des afghanischen Friedensprozesses kämpfen, und zum anderen wollen wir sie zu Verhandlungen einladen. Ich glaube, das funktioniert so nicht. Man kann nicht eine doppelte Botschaft schicken.

Archivbild: drei bewaffnete Taliban-Kämpfer mit verhüllten Gesichtern (Foto: DW)
"Die doppelte Botschaft an die Taliban funktioniert nicht".Bild: DW

Was wäre die Alternative?

Man müsste erst einmal dazu kommen, einen Waffenstillstand zu vereinbaren. Das ist wahnsinnig schwierig, weil es sich um eine heterogene Gruppe von Aufständischen handelt. Es geht ja nicht nur um die Taliban und Mullah Omar. Es gibt viele andere Gruppen wie das Haqqani-Netzwerk und die Hezb-e-Islami von Gulbuddin Hekmatyar.

Dazu gibt es noch andere islamistische Gruppen, die wiederum auch untereinander gespalten sind. Es gibt diejenigen, die starke Unterstützung aus dem Ausland erhalten, zum Beispiel durch Saudi-Arabien und die zentralasiatischen Republiken. Es gibt also nicht diese eine Person, mit der man sprechen kann, und das macht die Sache sehr komplex.

Trotzdem glaube ich, dass wenn man ein Gesprächsangebot machen will, dass man dann zunächst auch mal ein Angebot für eine Waffenruhe machen sollte. Und das ist in der Form nicht erfolgt. Jedenfalls ist dies Signal nicht angekommen.

Auch in Pakistan gibt es eine sehr starke Taliban-Bewegung, die auch hochrangige Ziele erfolgreich angreift. Was bedeutet dieses instabile Pakistan für diese Region?

Pakistan birgt ein viel größeres Sicherheitsrisiko in sich für die Instabilität der ganzen Region. Die Dinge hängen sehr eng zusammen. Wir kennen alle die Sicherheitsrisiken, die von Pakistan ausgehen können, über das Nuklearwaffenarsenal, den Drogenschmuggel, den Terrorismus, den schwelenden Konflikt mit Indien.

Das sind hohe Herausforderungen auf der einen Seite, und auf der anderen Seite steht eine internationale Gemeinschaft, die letztendlich schon mit Afghanistan überfordert ist. Entsprechend groß ist die Zurückhaltung, sich auch in Pakistan stärker einmischen zu wollen. Gleichzeitig wächst der Frust, weil das Problem nicht mit finanzieller Unterstützung für das pakistanische Militär zu lösen ist, so wie es bis jetzt geschehen ist, vor allem von Seiten der USA.

Wie wichtig ist Pakistan für den Frieden in Afghanistan?

Es ist ein Schlüsselpartner, wie eigentlich die ganze Region. Ich glaube tatsächlich, dass ein Frieden in Afghanistan nicht zu schließen ist, wenn die pakistanische Regierung nicht mit an Bord ist, mit einbezogen wird und ihre Interessen mit berücksichtigt fühlt. Insofern finde ich es richtig, schon jetzt perspektivisch über die Afghanistan-Konferenz zu sprechen, die im Dezember in Deutschland stattfinden soll. Es ist ein ganz wichtiger Strang im Vorfeld, möglichst viele der regionalen Partner oder der Regionalmächte mit an den Tisch zu bekommen.

Es hat ja immer eine starke Partnerschaft zwischen Pakistan und China gegeben. Die Chinesen gehören sicherlich auch zu denjenigen, die den Schlüssel mit in der Hand haben. Sie haben stark in Pakistan und auch in Afghanistan investiert. Sie haben Interesse an Handelswegen, an Ressourcen und an der Stabilität der Region. Deswegen geht es um die Frage, wie man eine größere Partnerschaft hinkriegt, nicht nur mit Pakistan, sondern auch mit China, mit Indien, mit Iran und anderen.

Ich glaube, da sind sich alle einig: Frieden in den afghanischen Grenzen ist nicht zu schließen ohne die Regionalmächte, weil Afghanistan immer ein Spielball in der Region gewesen ist.

Luftaufnahme des Petersbergs in Königswinter bei Bonn (Foto: dpa)
Auf dem Petersberg bei Bonn geht es wieder um die Zukunft AfghanistansBild: presse

Sie haben mit der geplanten Bonner Afghanistan-Konferenz im Dezember schon ein ganz wichtiges Datum angesprochen. Das andere wichtige Datum ist der Abzug der westlichen Kampftruppen bis 2014. Halten Sie das für den richtigen Weg?

Zunächst sei noch einmal daran erinnert, dass unser Engagement der Friedenswahrung und Entwicklung in Afghanistan galt, erst später wurden wir in Kampfhandlungen verwickelt. Das ursprüngliche Ziel ist weiterhin richtig und gültig. Ich glaube, dass es auf der einen Seite eine sehr große Angst gibt in Afghanistan, dass das Land wieder allein gelassen wird.

Da wirken die Erfahrungen nach dem Abzug der Sowjets traumatisch nach. Damals wurde sehr schnell jede Hilfe eingestellt, was in einem schlimmen Bürgerkrieg geendet ist in den 1990er Jahren. Das ist tatsächlich ein traumatisches Erlebnis gewesen, und viele Afghanen haben Angst davor, dass sich das wiederholen könnte.

Auf der anderen Seite ist es aber eine schwierige Botschaft, verhandeln zu wollen und gleichzeitig weiter Krieg zu führen. Es gibt immer wieder so viele Opfer unter der Zivilbevölkerung, dass auch bei den Regierungsanhängern der Widerstand gegen die internationalen Truppen wächst. Also ist es wohl tatsächlich so, so schrecklich das auch klingen mag, dass der Abzug mittelfristig zu mehr Stabilität führen könnte – wenn denn ein Plan zur Stabilität in der Region für die Zeit nach 2014 erarbeitet wird. Ich glaube, der Fokus muss sein, sich auf die Ausbildung der afghanischen Partner zu konzentrieren, weniger auf die Kriegshandlung.

Die Orientalistin Dr. Almut Wieland-Karimi ist die Direktorin des Zentrums für Internationale Friedenseinsätze (zif) in Berlin. Von 2003 bis 2005 leitete sie das Büro der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) in Kabul, danach übernahm sie die Leitung des FES-Büros in Washington (2006-2009).

Das Interview führte Sandra Petersmann
Redaktion: Ana Lehmann