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PolitikNahost

Waffenruhe zwischen Israel und Hamas auf der Zielgeraden

Veröffentlicht 15. Januar 2025Zuletzt aktualisiert 16. Januar 2025

Die Kämpfe im Gazastreifen sollen beendet werden - vorläufig. Auch für die Freilassung der Hamas-Geiseln wurde eine Lösung ausgehandelt. In dem Küstenstreifen wird schon gefeiert, doch die Angriffe gehen vorerst weiter.

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Angehörige und Freunde von Geiseln demonstrieren vor dem israelischen Verteidigungsministerium in Tel Aviv dafür, die Einigung zu akzeptieren
Angehörige und Freunde von Geiseln demonstrieren vor dem israelischen Verteidigungsministerium in Tel Aviv dafür, die Einigung zu akzeptieren Bild: Jack Guez/AFP

Nach 15 Monaten Krieg haben sich Israel und die islamistische Hamas auf eine Waffenruhe im palästinensischen Gazastreifen geeinigt. Die Vereinbarung, die unter Federführung des katarischen Außenministeriums erzielt wurde, schließt auch die Freilassung der von der Hamas entführten Geiseln im Austausch für palästinensische Häftlinge ein. Das Abkommen werde am 19. Januar in Kraft treten, erklärte der katarische Ministerpräsident Scheich Mohammed Al-Thani.

Israel und die Hamas, die von den USA, der EU und weiteren Staaten als Terrororganisation eingestuft wird, hatten in Doha ausschließlich indirekt verhandelt. Die nun getroffene Übereinkunft sieht eine anfänglich sechswöchige Waffenruhe vor. In dieser Zeit soll sich das israelische Militär schrittweise aus dem Gazastreifen zurückziehen.

Frauen und Kinder zuerst

33 israelische Geiseln sollen zunächst aus dem Gazastreifen freikommen. Darunter alle festgehaltenen Frauen, Kinder und Männer über 50. Die Hamas wird der Vereinbarung zufolge zuerst weibliche Geiseln - Zivilistinnen und Soldatinnen - und Minderjährige unter 19 Jahren freilassen, anschließend Männer über 50 Jahre. Israel entlässt für jede zivile Geisel 30 palästinensische Gefangene aus israelischer Haft. Für jede israelische Soldatin, die in der Gewalt der Hamas sei, kommen 50 palästinensische Gefangene frei. Insgesamt halten die Extremisten noch 94 Geiseln im Gazastreifen fest.

Der Premierminister und Außenminister von Katar, Mohammed bin Abdulrahman Al Thani
Der Premierminister und Außenminister von Katar, Mohammed bin Abdulrahman Al Thani Bild: Nathan Howard/REUTERS

Pro Tag sollen außerdem 600 Lkw-Ladungen mit Hilfsgütern in den Gazastreifen gebracht werden. 300 Lkw sind für den Norden des Gazastreifens vorgesehen. Auch Treibstoff soll in den weitgehend zerstörten Küstenstreifen gebracht werden.

Zweite Verhandlungsphase geplant

Die Vereinbarung sieht auch weitere Verhandlungen über eine zweite Phase der Waffenruhe vor. Damit soll am 16. Tag der ersten Phase begonnen werden. Es sei zu erwarten, dass dann alle verbliebenen Geiseln freikommen, heißt es. Dazu zählen auch israelische Soldaten - Soldatinnen sollen wie alle Frauen bereits in der ersten Phase freigelassen werden.

Plakate erinnern an die von der Hamas verschleppten Menschen
Für die Freilassung der Geiseln haben die Angehörigen unermüdlich gekämpftBild: DW

Auch ein dauerhafter Waffenstillstand und der komplette Abzug des israelischen Militärs aus dem Gazastreifen werden dann voraussichtlich vereinbart. In einer dritten Phase sollten alle sterblichen Überreste übergeben und der Wiederaufbau des weitgehend zerstörten Gazastreifens begonnen werden.

Die Nachricht über das Abkommen löste im gesamten Gazastreifen Jubel aus. Tausende Menschen versammelten sich zum Feiern auf den Straßen in dem Palästinensergebiet. Die Menschen tanzten, umarmten einander und fotografierten sich, um den besonderen Moment festzuhalten.

Freude bei den Bewohnern von Deir al-Balah im Gazastreifen über die Aussicht auf eine Feuerpause
Freude bei den Bewohnern des Gazastreifens - wie hier in Deir al-Balah - über die Aussicht auf eine Feuerpause Bild: Youssef Alzanoun/Middle East Images/AFP/Getty Images

Israel will noch einzelne Punkte geklärt wissen

Von der israelischen Regierung hieß es zunächst, dass noch einzelne Punkte geklärt werden müssten. Das Büro von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu erklärte, "mehrere Klauseln des Rahmens" seien noch offen. Laut israelischen Medien will das Kabinett voraussichtlich an diesem Donnerstag über das Abkommen abstimmen.

Zwei von Netanjahus Ministern haben sich bereits öffentlich gegen die Einigung ausgesprochen. Der rechtsextreme Finanzminister Bezalel Smotrich sprach von einem "schlechten und gefährlichen Abkommen für die Sicherheit des Staates Israel", auch der rechtsextreme israelische Sicherheitsminister Itamar Ben Gvir stellte sich gegen das "katastrophale Abkommen".

Trump und Biden reklamieren den Erfolg jeweils für sich

Noch vor dem amtierenden US-Präsidenten meldete sich dessen Nachfolger zu Wort. "Wir haben eine Einigung für die Geiseln im Nahen Osten", schrieb Donald Trump auf seinem Online-Sprachrohr Truth Social. Diese "epische Vereinbarung" sei nur durch seinen "historischen Wahlsieg im November" zustande gekommen.

Trump hatte der Hamas in den vergangenen Wochen damit gedroht, dass im "Nahen Osten die Hölle losbrechen " werde, wenn die entführten Geiseln nicht bis zu seiner Amtseinführung am kommenden Montag zurück seien.

Der scheidende Präsident Joe Biden führt die Einigung jedoch maßgeblich auf seinen Einsatz und den seiner Regierung zurück. Der 82-Jährige sprach im Weißen Haus von den "härtesten Verhandlungen", die er je erlebt habe. "Der Weg zu diesem Abkommen war nicht einfach. Ich bin seit Jahrzehnten in der Außenpolitik tätig." Er sei nun "zutiefst zufrieden", dass eine Einigung erreicht wurde.

Die Bedingungen des Deals würden aber größtenteils von der kommenden Regierung unter dem künftigen US-Präsidenten Donald Trump umgesetzt, fügte Biden hinzu. "In den vergangenen Tagen haben wir als ein Team gesprochen, denn das ist es, was amerikanische Präsidenten tun."

Der Bundeskanzler reagiert erleichtert

"Jetzt muss die Einigung konsequent umgesetzt werden ", schrieb der deutsche Kanzler Olaf Scholz auf der Plattform X. Alle Geiseln müssten nun freigelassen und die sterblichen Überreste toter Geiseln den Familien für einen würdevollen Abschied übergeben werden. "Der Waffenstillstand bietet die Chance für ein dauerhaftes Kriegsende und die Verbesserung der schlechten humanitären Lage im Gazastreifen. Dafür setzen wir uns weiter ein."

Attacken dauern weiter an

Trotz der verkündeten Einigung griff Israels Armee nach palästinensischen Angaben weiter im Gazastreifen an. Laut einem Sprecher des von der Hamas kontrollierten Zivilschutzes kamen seit der Mitteilung über die Vereinbarung mehr als 70 Palästinenser bei israelischen Attacken im gesamten Küstengebiet ums Leben. 230 Menschen seien verletzt worden. Die Angaben ließen sich nicht unabhängig überprüfen. Israels Armee sagte auf Anfrage zu, den Berichten nachzugehen. Zugleich wurde nach israelischen Militärangaben am Morgen erneut ein Geschoss aus dem Gazastreifen Richtung Israel abgefeuert. Es sei auf offenem Gelände eingeschlagen, Berichte über Verletzte gibt es bisher nicht.

Durch israelische Luftangriffe zerstörte Häuser im Grenzgebiet des Gazastreifens
Kein Platz für Sieger: zerstörte Häuser im GazastreifenBild: Tsafrir Abayov/AP/picture alliance

Der Israel-Hamas-Krieg im Gazastreifen war durch den beispiellosen Großangriff der Hamas und mit ihr verbündeter Gruppen auf Israel am 7. Oktober 2023 ausgelöst worden. Dabei wurden israelischen Angaben zufolge 1210 Menschen getötet und 251 Geiseln in den Gazastreifen verschleppt. 94 Geiseln sollen sich nach wie vor im Gazastreifen befinden, 34 von ihnen sind laut der israelischen Armee bereits tot.

sti/rb/stu/se/ust (afp, dpa, rtr)