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Völkermord-Prozess gegen Serbien eröffnet

Belma Fazlagic / stu27. Februar 2006

Der Internationale Gerichtshof hat einen Prozess gegen Serbien-Montenegro wegen des Vorwurfs des Völkermords im Bosnien-Krieg eröffnet. Die bosnische Klage ist höchst umstritten.

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Die bosnische Stadt Sarajevo im Sommer 1999Bild: AP

Vor dem internationalen Gerichtshof (ICJ) in Den Haag begann am Montag (27.2.2006) der Prozess gegen Serbien-Montenegro wegen Völkermordes. Es ist das erste Mal, dass das Oberste Gericht der Vereinten Nationen (UN) wegen dieser Anschuldigung gegen einen Staat verhandelt. Eingereicht wurde die Klage bereits am 20. März 1993. Bosnien-Herzegowina verlangt von Serbien-Montenegro Kriegsentschädigung. Die Belgrader Regierung weist das entschieden zurück - mit dem Argument, die angeklagte ehemalige Sozialistische Republik Jugoslawien (SRJ) sei zu diesem Zeitpunkt kein Mitglied der Vereinten Nationen gewesen und könne daher nicht von diesem Gerichtshof zur Verantwortung gezogen werden. Denn nur UN-Mitglieder sind dazu verpflichtet, vor internationalen Gerichtshöfen Rechenschaft abzulegen.

"In die Hölle geschickt"

"Die Gewalt, die unser Land wie ein von Menschen gemachter Tsunami überrollt hat, hat den Charakter von Bosnien und Herzegowina zerstört und hat ganz sicher einen wesentlichen Teil seiner nicht-serbischen Bevölkerung ausgelöscht", erklärte Sakib Softic, der juristische Vertreter Bosnien-Herzegowinas vor dem Gericht. Die Behörden in Belgrad hätten die Nicht-Serben von Bosnien-Herzegowina gezielt in die Hölle geschickt. Dieser Weg sei "mit Leichen, zerbrochenen Familien, verlorenen Kindheiten, Zukunftslosigkeit sowie zerstörten kulturellen und religiösen Stätten" gepflastert. In der Klage heißt es, jugoslawisch-serbische Truppen hätten die Verfolgung "in einem Umfang praktiziert, der alles seit der Nazi-Zeit in Europa in den Schatten stellt".

Schlechtere Beziehungen drohen

Seit der politischen Wende in Serbien im Herbst 2000 bemühen sich die neuen Belgrader Behörden vergeblich darum, Bosnien-Herzegowina dazu zu bewegen, seine Klage gegen Serbien-Montenegro zurückzuziehen. Denn, so ihr Argument, das Festhalten daran werde nur zu einer drastischen Verschlechterung der Beziehungen sowie zur Behinderung des Annäherungsprozesses zwischen beiden Nachbarstaaten führen.

"Wir werden uns mit einem schwierigen Prozess vor dem Internationalem Gerichtshof auseinender setzen müssen, in dem Serbien wegen Völkermord angeklagt ist. Serbien steht vor einer großen Gefahr und darf auf keinen Fall zulassen, dass ein solches Urteil sich auf die künftigen Generationen überträgt, die unter unserem Namen weiter leben sollen", sagt der jetzige serbische Präsident Boris Tadic.

"Die anderen haben es auch getan"

Der designierte Ministerpräsident in der kleineren bosnischen Entität Republik Srpska, Milorad Dodik, ging vor kurzem in einem Interview mit einem serbischen Fernsehsender noch weiter: "Wenn ein Urteil gegen Serbien und Montenegro gefällt wird, werden ich oder die Regierung das Volk aufrufen, dieses Urteil nicht zu akzeptieren, weil das nicht korrekt ist. Serbien hat zwar der serbischen Bevölkerung in Bosnien-Herzegowina damals Hilfe geleistet - aber die anderen haben es auch getan."

Der Krieg als tragische Konfrontation

Bisher haben sich alle Institutionen der bosnischen Serben-Republik und die Vertreter der serbischen Bevölkerung in der Regierung von Bosnien-Herzegowina gegen die Klageschrift ausgesprochen. Sie widerspreche den Vereinbarungen im Dayton-Friedensabkommen, argumentieren sie, weil sie Worte wie "Aggression" und "Aggressor" benutze. Und das, obwohl darin gleichzeitig der Krieg als tragische Konfrontation in der Region beschrieben werde.

Das bosniakische Mitglied des Staatspräsidiums von Bosnien-Herzegowina, Sulejman Tihic, sieht das jedoch anders. Er will an der Klageschrift festhalten: "Die Klage ist legal. Die Mehrheitsentscheidung des Präsidiums ist verfassungskonform. Und es ist egal, ob die Entscheidung einstimmig von allen drei Präsidiumsmitgliedern getragen wird oder - wie in diesem Fall - im Verhältnis zwei zu eins."

Der Prozess als Chance?

Der ehemalige bosnische Ministerpräsident Zlatko Lagumdzija meint, der Prozess könne auch als Chance betrachtet werden: "Wenn der Prozess zu Ende geht, hoffe ich, dass dies dazu beitragen wird, dauerhaften Frieden in der Region zu schaffen. Genauso hoffe ich, dass dadurch die Voraussetzungen dafür geschaffen werden, dass wir nicht erneut die Ereignisse der jüngsten Vergangenheit erleben müssen."

Die Anhörung zur Klage Bosnien-Herzegowinas wegen Völkermordes und Aggression gegen Serbien-Montenegro, wird bis zum 9. Mai 2006 andauern.