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Warum israelische Serien boomen

Scott Roxborough fs
28. März 2019

Israels Filmemacher brechen gesellschaftliche Tabus und geben Einblicke in Welten, die sonst verschlossen bleiben würden. Das Land ist zu einer echten Größe im internationalen TV-Geschäft avanciert.

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Film Shtisel
Bild: Ohad Romano

Seit Jahren schielt Hollywood auf Israels TV-Szene. "Homeland",  die mehrfach ausgezeichnete Politthriller-Serie mit Claire Danes als CIA-Agentin Carrie Mathison, ist eine US-Adaption der israelischen Serie "Prisoners of War". Und auch die HBO-Serie "In Treatment", in der Gabriel Byrne einen von Selbstzweifeln geplagten Psychotherapeuten spielt, basiert beinahe eins zu eins auf dem israelischen Original "BeTipul".

Mittlerweile setzen Streamingdienste wie Netflix und Amazon allerdings mehr und mehr auf das Original in hebräischer Sprache. Ob "False Flag", "Fauda" oder "Shitsel": Serienjunkies auf der ganzen Welt scheinen Geschichten aus Israel zu gefallen.

Große Serien mit kleinem Budget

Da stellt sich die Frage: Was macht die Serien aus dem Land im Nahen Osten so besonders? Großzügige Budgets sind es jedenfalls nicht - so merkte Gideon Raff, Erfinder und Regisseur von "Prisoners of War", an, eine einzige Folge von "Homeland" habe soviel gekostet wie die Produktion der gesamten ersten Staffel des Originals. Es sind vielmehr die Geschichten, die israelische Serien erzählen – und die Art, wie sie sie erzählen.

Ein Mann mit Gebetskappe, der von zwei Männern angeschaut wird
"Prisoners of War" diente als Vorlage für die Erfolgsserie "Homeland"Bild: Keshet International

Geschichten mit Konfliktpotential: "Fauda"

"Fauda" ist dafür ein gutes Beispiel. In der fesselnden Drama-Serie jagt eine israelische Undercover-Einheit palästinensische Terroristen in der Westbank. "Fauda", was auf Arabisch soviel wie "Chaos" bedeutet, zeigt, wie grauenhaft und moralisch hochkomplex der israelisch-palästinensische Konflikt ist. Und das keinesfalls nur einseitig, wie man vielleicht vermuten könnte. Israels "Helden" bedienen sich durchaus auch der Folter, während die palästinensischen "Bösewichte" auch als freundlich und liebevoll dargestellt werden.

Kein Wunder, dass gegen die Serie von beiden Seiten geschossen wird: In Israel kritisieren Ultrarechte sie dafür, Terroristen zu "humanisieren". Gleichzeitig bezeichnet die pro-palästinensische "Boycott, Divestment and Sanctions"- Bewegung (BDS) sie als "rassistische Propaganda" und rief Netflix dazu auf, die Serie aus dem Programm zu nehmen.

Drei bewaffnete Männer und eine bewaffnete Frau im Vordergrund vor einer orientalischen Stadtkulisse
Höchst umstritten und sehr erfolgreich: "Fauda"Bild: Ohad Romano

"Niemand hat an die Serie geglaubt, nicht einmal in Israel. Jeder hatte Angst vor ihr. Die Leute dachten, sie könnte zu sehr den echten Nachrichten ähneln", sagt Leora Kamenetzky, Drehbuchautorin für die erste Staffel von "Fauda". "Außerdem  dachten sie, niemand in Israel würde soviel Arabisch hören wollen."

Doch es kam anders. Die ersten beiden Staffeln von "Fauda" waren ein Riesenerfolg und wurden mit Preisen überhäuft. Eine dritte Staffel ist bereits in Arbeit.

Keine Angst vor Tabus

Ein Hauptgrund für den Erfolg israelischer Serien ist, dass ihre Macher Themen ansprechen, die in ihrem Heimatland lieber unter den Teppich gekehrt werden. Gideon Raff nahm reale Geschichten aus den Nachrichten zum Anlass für seine Serie "Prisoners of War". Sie startet mit der Rückkehr israelischer Soldaten nach Jahren der Gefangenschaft in der Hand von Terroristen. "Wir alle wussten von diesen Kriegsgefangenen, aber niemand hat darüber gesprochen", sagt Raff.

Plakat von der Serie Homeland mit gelbem Schriftzug und den Gesichtern der beiden Hauptdarsteller
Auch in der ersten Staffel von "Homeland" kehrt ein Soldat nach langer Gefangenschaft zurückBild: Getty Images/D. Boczarski

Lior Raz, der "Fauda" zusammen mit dem israelischen Journalisten Avi Issacharoff erdacht hat und selbst die Hauptrolle Doron Kavilli spielt, war einst selbst Teil eines Undercover-Kommandos, das Terroristen aufspürte. Seine Freundin wurde bei einem Anschlag in Jerusalem getötet.

Auch "False Flag" ist von realen Begebenheiten inspiriert, handelt von politischer Verschwörung und Spionage. Fünf scheinbar ganz normale Israelis mit doppelter Staatsbürgerschaft sehen sich aus dem Nichts mit Terrorismusvorwürfen konfrontiert. Ihre Namen und Gesichter sind in allen Zeitungen und Nachrichtensendungen zu sehen, ihr Leben gerät völlig aus den Fugen. Momentan läuft die zweite Staffel bei Sky.

"In Israel ist die Realität so heftig, das es sich fast surreal anfühlt", sagt Leora Kamenetzky, die neben "Fauda" auch für "False Flag" schreibt. "Manchmal fühlt es sich so an, als müsste man sie ein wenig abschwächen, um sie dem TV-Publikum glaubhaft zu machen", so die TV-Autorin.

"Yellow Peppers" sensibilisiert für Autismus

Aber wer meint, Politik sei der einzige Stoff aus dem israelische Serien gestrickt sind, hat weit gefehlt. Regisseurin Keren Margalit schöpft aus ihrer eigenen Lebenserfahrung als Mutter eines autistischen Sohnes. Ihre Serie "Yellow Peppers" zeigt, wie es ist, ein autistisches Kind in einem Land aufzuziehen, in dem das Thema geistige Behinderung kaum in der Öffentlichkeit thematisiert wird und es noch weniger Unterstützung gibt.

Als erste fremdsprachige Produktion überhaupt adaptierte die BBC die Serie unter dem Namen "The A Word". Auch für das US-amerikanische, griechische und niederländische Fernsehen wird sie gerade produziert.

Den enormen Erfolg israelischer Serien führt Margalit auf das begrenzte Budget zurück: "Wir haben so gut wie gar keine Mittel zur Verfügung", so die Regisseurin. "Wenn du also nicht äußerlich mit Spezialeffekten und Explosionen auftrumpfen kannst, musst du mehr in die Tiefe gehen. Da finden sich dann die wahren Charaktere."

Tatsächlich sind TV-Studios in dem kleinen Land rar gesät. Deshalb werden die meisten Serien an realen Orten gedreht, was ihnen einen authentischen Charakter verleiht.

Breite Debatte über Umgang mit geistig Behinderten

"Yellow Peppers" wurde fast ausschließlich in Israels Hinterland gedreht. Die Serie spielt in einem kleinen Dorf, weit entfernt von jeglichen Therapieangeboten für autistische Kinder. In einer der bewegendsten Szenen läuft der autistische Junge, gespielt von Michael Zapesotsky, durch die staubige Landschaft seiner Heimat. Auf dem Rücken trägt er einen gelben Rucksack, auf den Ohren dicke Kopfhörer. Kurz vor dem Purim-Fest, an dem sich Juden traditionell verkleiden, feierte die Serie im israelischen Fernsehen Premiere.

"An Purim habe ich mindestens 12 Leute gesehen, die als der Junge aus der Serie verkleidet waren – mit gelbem  Rucksack und Kopfhörern" erzählt Margalit. "Ich musste fast weinen, weil ich dachte: Kinder in Israel denken tatsächlich, dass es supercool ist, dieser autistische Junge zu sein. Da sieht man, welche Kraft Fernsehen haben kann."

Zwei Männer und eine Frau sitzen mit Pizza und Pommes auf einer Ledercouch
"On the Spectrum": Drei Autisten wollen ein selbstständiges Leben führenBild: Ohad Romano

"Yellow Peppers" hat eine breite Diskussion über den Umgang mit geistig Behinderten in Israel ausgelöst – und dazu geführt, dass noch weitere Sender das Thema aufgegriffen haben. So zum Beispiel "On The Spectrum", der große Gewinner des diesjährigen israelischen Fernsehpreises. Darin versuchen drei Autisten, ihr Leben alleine in die Hand zu nehmen. Danna Stern, eine der Produzentinnen der Serie, sagt, Firmen würden seit dem Start der Serie vermehrt autistische Mitarbeiter einstellen wollen. "Die Serie hat wirklich einen gesellschaftlichen Wandel angestoßen. Sie unterhält nicht nur, sie will auch etwas vermitteln", so Stern.

Serien über Orthodoxe liegen im Trend

Der letzte große Schrei im israelischen TV sind Serien über die orthodoxen Juden des Landes. Und auch beim internationalen Publikum scheint das Interesse groß. Jedenfalls haben Netflix und Amazon bereits zwei von ihnen im Programm. "Shitsel" (Netflix) erzählt die rührende Liebesgeschichte zwischen einem Ultraorthodoxen und einer geschiedenen Frau – ein Tabuthema unter den streng Religiösen.

"Srugim" (Amazon) ist quasi das orthodoxe "Friends". In der Comedy-Serie sind sechs orthodoxe Singles hin- und hergerissen zwischen dem modernen Alltag Israels und der Tradition der orthodoxen Gemeinschaft.

TV Serie Srugim. Drei Frauen sitzen mit zwei Männern mit Kippa am Tisch und essen zu Abend
Blick in eine verschlossene Welt: "Srugim"Bild: Amazon Prime

"Für die Nicht-Orthodoxen öffnet das den Vorhang und gibt einen Einblick in das Leben der Menschen, die zwar ihre Nachbarn sind, die sie aber nicht wirklich kennen", sagt Karni Ziv vom führenden israelischen Privatsender Keshet Broadcasting.

"Orthodoxe sind Teil der israelischen Gesellschaft, aber lange hatten wir keine Autoren, die aus dieser Schicht kamen. Jetzt haben wir welche und endlich werden ihre Geschichten erzählt. Es ist als hätten wir damit eine Tür geöffnet. Plötzlich reden wir darüber. Da kann man sehen, welch einen großen Effekt Fernsehen auf unsere Gesellschaft haben kann", so Ziv.