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Von Genscher bis Gaddafi

9. Oktober 2002

- Analyse der Archive des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Bulgariens

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Köln, 9.10.2002, DW-radio / Bulgarisch, Nikolay Tsekov

In den letzten 11 Jahren wurden im Rahmen eines internationalen historischen Projekts über den Kalten Krieg die Archive der ehemaligen Ostblockstaaten geöffnet und analysiert. Initiator des Projekts ist das US-amerikanische Woodrow-Wilson-Zentrum. Die ersten Ergebnisse der vierjährigen Arbeit in Bulgarien sind in diesen Tagen in Sofia vorgestellt worden.

Die vorgelegte Dokumentation ist 300 Seiten dick. Sie enthält Informationen aus den Archiven des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Bulgariens sowie aus dem Privatarchiv des ehemaligen bulgarischen Staats- und Parteichefs Todor Schiwkow. In den Unterlagen - so betonen die Herausgeber - finden sich neue Erkenntnisse über eine Reihe von Konflikten während des Kalten Krieges. Sie enthalten zudem Schiwkows Reden und seine persönliche Korrespondenz mit Leonid Breschnev, Richard Nixon, Helmut Kohl, Hans-Dietrich Genscher, Nicolae Ceausescu, Saddam Hussein, Deng Xiaoping und anderen internationalen Spitzenpolitikern.

Bulgarien war als Satellitenstaat der Sowjetunion ganz auf Moskauer Linie - und das betraf alle Fragen in der fast 40-ährigen Ost-West-Konfrontation. In einigen Analysen aus der Zeit des Kalten Krieges wird das besonders deutlich. So heißt es beispielsweise in einem Bericht des US-State Departments vom August 1970 wörtlich: "So lange die Bulgaren Moskau dienen, dienen sie auch sich selbst. Obwohl Sofia bedeutende sowjetische Wirtschaftshilfe erhalten hat, benötigen die Bulgaren auch wirtschaftliche und technologische Unterstützung aus dem Westen - und sie haben sie auch bekommen. Eine Rückkehr zu der 'nationalistischen Politik', wie sie Mitte der 60-er Jahre vor den Ereignissen in der Tschechoslowakei betrieben wurde, würde den Weg der zögerlichen innenpolitischen Experimente mit einer eigenständigeren Außenpolitik Bulgariens verbinden."

Die enge Verbundenheit Bulgariens mit der Sowjetunion ist auch aus der Statistik der Schiwkow-Besuche im Kreml ersichtlich. Während seiner 33jährigen Amtszeit ist er 67 Mal - also durchschnittlich zwei Mal pro Jahr - in Moskau gewesen. Eine ständige Forderung während dieser Besuche war Hilfe für die krisengeschüttelte sozialistische Wirtschaft. Der Verzicht auf eine eigenständige Außenpolitik im Tausch gegen Rubel funktionierte erfolgreich, bis Michail Gorbatschow im Jahre 1985 in Moskau die Führung übernahm.

Die Sowjets vertrauten ihren treuen Verbündeten in Sofia politische Aufgaben an: So wurde Schiwkow mehrmals aufgefordert, auf den hysterischen Ceausescu einzuwirken, dass der seine - den Osten wie den Westen irritierende - Außenpolitik korrigieren solle. Moskau war vor allem über die Distanzierung Rumäniens vom Warschauer Pakt sowie die rumänischen Kontakte mit westlichen Spitzenpolitikern erzürnt.

Der deutsche Außenminister Hans-Dietrich Genscher sowie Bundeskanzler Helmut Kohl sind zweifellos die in den Archiven am häufigsten genannten West-Politiker aus der Zeit des Kalten Krieges. Genscher hat Schiwkow neun Mal besucht. Vor allem in den 80er Jahren, als der damalige US-Präsident Ronald Reagan gegen das "Reich des Bösen" wetterte, spielte der deutsche Außenminister eine wichtige Rolle bei Vermittlungsmissionen. Im Protokoll eines Treffens zwischen Schiwkow und Genscher im Jahre 1984 hatte der bulgarische Staatschef seinem deutschen Gast vorgeworfen, dass Bonn keine eigenständige Außenpolitik betreibe. Schiwkow sagte auch, dass in der DDR ein "anderes Volk" entstanden sei, das den Kommunismus als sein Glaubensbekenntnis angenommen habe.

Nachdenklich stimmen die Geheimbeschlüsse des Zentralkomitees in Sofia über Waffenverkäufe an Kuba und prosowjetische Regime in Asien und Afrika. So erhielten beispielsweise laut einem Geheimbeschluss vom Juli 1976 Kommunisten im Libanon, in Laos, Angola, Mozambique und Süd-Jemen leichte Waffen, Minenwerfer, Munition, Kommunikationstechnik, Nahrungsmittel und Kleidung. Eine Lieferung im Werte von damals umgerechnet zwölf Millionen Dollar.

Im selben Jahr erklärte sich Todor Schiwkow in einem persönlichen Gespräch mit Muammar el Gaddafi bereit, sich in Moskau für die Interessen des libyschen Regimes und den Export von dessen "Revolution" in die arabische Welt einzusetzen. Dabei gab er zu verstehen, welchen Preis er für dieses Entgegenkommen erwarte: Kredite unter "Bedingungen, die unter Freunden gelten". Gaddafi stimmte zu und erklärte: "Ohne die UdSSR sind wir verloren".

Schiwkow verlangte im November 1974 auch eine finanzielle Anleihe von Schah Mohammed Reza Pahlavi in Höhe von 160 Millionen US-Dollar. Der bulgarische Staatschef unterrichtete das Politbüro, er habe dem Schah gesagt: "Wir werden den Sozialismus aufbauen - egal ob ihr uns Geld gebt oder nicht. In die Geschichte wird jedoch eingehen, dass ein Kaiser den Aufbau einer fortschrittlichen sozialistischen Gesellschaft in Bulgarien finanziert hat." (fp)