München statt New York: Christoph Heusgen
18. Februar 2022Christoph Heusgen, der seit über 40 Jahren in der Außenpolitik tätig ist, hat als Diplomat mit manchem kantigen Wort für Aufsehen gesorgt, etwa bei den Vereinten Nationen. Künftig steht der 66-Jährige an der Spitze der Münchner Sicherheitskonferenz (MSC), eines weltweit angesehenen Dialogforums für Außen- und Sicherheitspolitik. Seit Monaten mahnt er, nicht nur angesichts des Ukraine-Konflikts, zu einer einigen Gemeinschaft von Staaten, "die das internationale Recht durchsetzt".
Heusgen gilt als einer der erfahrensten Diplomaten Deutschlands, obwohl er erst spät formell als Botschafter tätig war. Er ist in Europa und den USA tätig gewesen, allerdings nie in Afrika, Asien oder Lateinamerika.
Über Brüssel ins Kanzleramt
Früh wurde CDU-Mitglied Heusgen an außenpolitischen Schaltstellen tätig. So arbeitete er von 1993 bis 1997 als stellvertretender Leiter des Ministerbüros dem damaligen deutschen Chefdiplomaten Klaus Kinkel (FDP) zu. Von 1999 bis 2005 leitete er in Brüssel Büro und Politischen Stab von Javier Solana, damals Hoher Vertreter für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der EU.
Nach dem Wahlsieg von Angela Merkel bei der Bundestagswahl 2005 holte die neue Kanzlerin den rheinischen Katholiken als außenpolitischen Berater ins Kanzleramt. Er war bei den Auslandsreisen der Kanzlerin an ihrer Seite und ist entsprechend gut vernetzt.
Gelegentlich reiste er auch ohne Merkel, aber für sie: Als 2013 bekannt wurde, dass US-Geheimdienste neben anderen internationalen Spitzenpolitikern auch Kanzlerin Merkel abgehört hatten und das transatlantische Verhältnis abkühlte, gehörte Heusgen zur deutschen Delegation, die sich in Washington um Klärung bemühte. Denn, wie hatte seine Chefin gesagt: "Abhören unter Freunden - das geht gar nicht".
Von Berlin nach New York
Vor der Bundestagswahl 2017 wechselte Heusgen aus dem Kanzleramt zu den UN. Der Diplomat, der in den 1980er Jahren in den USA studiert hatte und nach 1983 im deutschen Generalkonsulat in Chicago tätig war, wurde Botschafter. Für vier Jahre war er Ständiger Vertreter der Bundesrepublik bei den Vereinten Nationen am New Yorker East River.
Zwei Monate, im April 2019 und Juli 2020, leitete er in dieser Zeit als Präsident die Sitzungen des UN-Sicherheitsrats, dem Deutschland nicht ständig angehört, in dem es aber mitreden will. Da kam es auch mal vor, dass er die Blockadehaltung Russlands und Chinas gegen UN-Hilfslieferungen in das vom Krieg erschütterte Syrien laut und deutlich als "zynisch" bezeichnete. Beide reagierten gereizt auf die deutsche Haltung.
Aber Heusgens Urteil war klar: Der UN-Sicherheitsrat habe die Menschen in Syrien "fallen gelassen". Unkonventionell agierte Heusgen bei einer Debatte des Spitzengremiums zur Lage in Gaza. Da forderte er die Vertreter Israels und der Palästinenser auf, ihre vorbereiteten Redetexte beiseite zu legen und konkret und konstruktiv Vorschläge zur Beilegung der Gaza-Krise zu unterbreiten.
Weil Deutschland in einem Jahr neun Mal für anti-israelische Vorlagen gestimmt habe, warf das Simon-Wiesenthal-Zentrum Heusgen 2019 Antisemitismus vor. Der Diplomat habe auch Raketenangriffe der radikalen palästinensischen Hamas mit der Praxis der israelischen Armee gleichgesetzt, die Häuser palästinensischer "Terroristen" abzureißen. Nicht nur die Bundesregierung, auch der israelische Botschafter in Berlin wies den Antisemitismus-Vorwurf zurück.
Heusgen scheut deutliche Worte wohl weniger als viele andere Botschafter. Vielleicht äußert er sich zum aktuellen Ukraine-Konflikt auch deshalb so deutlich, weil er selbst involviert war in die schwierigen Verhandlungen des Minsker Abkommens, das die Ukraine, Russland und die Separatisten zwar zusammenbrachte, aber doch immer gefährdet blieb.
Schon bald nach Beginn der russischen Aggression preschte er mit dem Vorschlag vor, Spitzenbeamte der neu gewählten Führungen der Separatistengebiete um Donezk und Luhansk mit EU-Einreiseverboten zu belegen, und warb für eine Liste mit Visaverboten.
Streiter für "das internationale Recht"
Auch jetzt, gut sieben Jahre später, habe Berlin eine wichtige Rolle zu spielen, betonte Diplomat Heusgen in einem Interview der Deutschen Welle: "Das haben wir schon beim letzten Mal getan, als nach dem Einmarsch Russlands in die Ukraine Bundeskanzlerin Merkel zusammen mit Präsident Hollande den ukrainischen Präsidenten Poroschenko und Putin an einen Tisch gebracht hat." Man spricht vom "Normandie-Format".
Vielleicht sorgt auch der aktuelle Konflikt dafür, dass der künftige MSC-Chef in einer Reihe von Interviews vor der Münchner Konferenz seine Grundforderungen sehr deutlich machte: eine einige Gemeinschaft von Staaten, "die sich für das internationale Recht einsetzt", Sanktionen und Dialog. "Was wir diesmal wollen, ist, dass eine sehr starke, massive Reaktion ins Schaufenster gestellt wird", sagte Heusgen der DW. Russland müsse genau wissen, was passiert, sollte Putin tatsächlich die Ukraine angreifen.
Nun folgt Heusgen bald auf Wolfgang Ischinger (75), der zu seinen Zeiten gleichfalls einer der erfahrensten Diplomaten Deutschlands war, als Chef der Münchner Sicherheitskonferenz. Ischinger leitet sie in diesen Tagen zum letzten Mal.
Im nächsten Jahr wird Heusgen das Treffen zum 60-jährigen MSC-Jubiläum ausrichten. Zugleich bleibt der Diplomat in diesem Jahr "Adenauer Fellow" der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung in Berlin. Und wenn Heusgen mal nicht in München oder Berlin ist, kehrt er zumindest für ein Wochenende Ende August zurück in die Heimat.
Botschafter-Besuch beim Schützenfest
Zum Schützenfest im heimischen Neuss reist er seit Jahrzehnten an, kam auch aus New York, schaffte es meist auch aus dem Kanzleramt. Verbundenheit mit der Heimat. Dann zieht Heusgen beim größten Schützenfest am Rhein mit tausenden Schützen, einer Mischung aus Tradition und viel Volksfest, im Schützenlustzug "Nur So" durch die Straßen der Stadt.
Hier ist Heusgen ganz Rheinländer. Und bleibt doch ein Diplomat. In den vergangenen zehn Jahren kamen mal der US-Botschafter in Berlin, mal der britische, der französische, der chinesische Botschafter zum Volksfest am Rhein. Vielleicht kommen sie demnächst zum Oktoberfest nach München.