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Vom Hofbaumeister der Formel 1

Ina Rottscheidt25. September 2004

Die Formel-1-Rennstrecke für den "Großen Preis von China" in Schanghai ist die zweite neue Strecke des Jahres 2004. Auch hinter diesem 240-Millionen-Euro-Projekt steckt Rennarchitekt Hermann Tilke aus Aachen.

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Entstanden am Zeichenbrett des "Herrn der Ringe" Hermann TilkeBild: Tilke
Architekt Hermann Tilke
Der Herr der Kurven und Schikanen.Bild: dpa

"Herr der Ringe" oder "Kreativdirektor der Asphalt-Branche" witzeln die Kollegen, das fahrende Personal nennt ihn den "Herren der Schikanen". Hermann Tilke ist derzeit der gefragteste Rennarchitekt der Welt. Wo immer Michael Schumacher und Kollegen mit Tempo 300 über die Pisten dröhnen, hat der Aachener seine Finger im Spiel. Erst im Frühjahr stellte er die prestigeträchtige Rennanlage im Golfstaat Bahrain fertig. Im Juni berscherte er der "Königsklasse" eine futuristische Megaanlage in Schanghai, in der rund 200.000 Zuschauer Platz finden.

Auf Sumpf und Styropor

Formel 1 Michael Schumacher in Schanghai
Schumi in ShanghaiBild: AP

Innerhalb von 18 Monaten zogen Tilke und seine 120 Mitarbeiter das Projekt inmitten des 300 Meter tiefen Sumpfgeländes im Jangtsekiang-Delta hoch. "Anfangs haben wir einen Schrecken bekommen", gibt er zu. "Darauf eine Strecke zu bauen, über die die Rennwagen mit 300 km/h fahren, das war ein Herausforderung." Die Lösung des Problems ist außergewöhnlich: Die Strecke wurde auf 40.000 Pfähle gesetzt, die Erhöhungen konstruierte Tilke aus Styropor, damit das Gewicht nicht zu hoch wird. "Wir haben für anderthalb Jahre den chinesischen Styropormarkt leer gekauft", erzählt der Architekt.

Große Erwartungen

Chinesischer Polo für Australien
Polo auf chinesischBild: AP

Im Vorfeld hatte sich vor allem die Autoindustrie für die Formel 1 in Shanghai stark gemacht, denn sie wittert Potenzial: Von den 1,3 Milliarden Chinesen besitzt erst jeder 80. ein Auto. Volkswagen, Mercedes und BMW bauen bereits Werkhallen unweit der Rennstrecke, die Region hat Ambitionen: Zu einem "Detroit des Ostens" will man werden. Aber auch andere Branchen hoffen auf ein großes Stück vom Kuchen. Rund 1000 direkte Arbeitsplätze schaffe die Formel 1, wie Steffen Hezinger, einer der Initiatoren, erklärt. Schon Wochen vor dem Rennen seien alle Hotels und Flüge ausgebucht gewesen. "Der Imageeffekt ist unübertroffen. Vor allem als Gegenpol zu den kommenden Olympischen Spielen in Peking", sagt er. Nicht zuletzt die Fernsehübertragung verspreche hohe Quoten, denn allein in der Region leben 56 Millionen Menschen.

Kleine Gemeinheiten

Den Zuschauern ein spannendes Rennen zu bieten, ist Tilkes Ehrgeiz: "Durch den richtigen Bau einer Strecke kann man ein spektakuläres Rennen zwar nicht garantieren, aber durch einen schlechten Bau kann es verhindern." Es sei etwa wichtig, nach Start und Ziel Kurvenkombinationen einzubauen, die das Feld zusammenstauchen, "sonst ist gleich in der ersten Runde die Spannung raus". Außerdem will Tilke mit seinen Kurven die Rennfahrer zu Fahrfehlern verführen: "Bei bestimmten Erhöhungen wird die Vorderachse entlastet, das Lenken erschwert und das Auto fängt an, zu untersteuern. Wenn man dann eine falsche Linie hat oder zu schnell in die Kurve, schlingert der Wagen."

Galerie Tilke Schanghai Architektur
Im Schatten der LotusblütenBild: Tilke

Aber auch optisch hat der "Shanghai International Circuit" einiges zu bieten: Die anfangs störenden Kanäle und Wasserflächen hat Tilke letztlich in die Anlage integriert, über den Zuschauertribünen recken sich Dachkonstruktionen in Form überdimensionaler Lotusblüten. Dass allerdings eine Kurvenkombination dem chinesischen Schriftzeichen für "Shang" ähnelt, sei Zufall, wie Tilke zugibt. Immerhin: Es bedeutet nichts Geringeres als "großartig".

Schon das nächste Projekt im Auge

Und während die PS-Karawane noch über Tilkes Pisten donnert, ist der schon längst mit dem nächsten Großprojekt, dem Grand Prix in Istanbul 2005, beschäftigt. Die Kehrseite: Immer, wenn er irgendwo in der Wüste, dem Urwald oder in einem Flussdelta baut, muss eine andere Rennstrecke geschlossen werden, denn die Zahl der Formel 1-Rennen ist auf 17 pro Jahr begrenzt. Sorgen um seine Zukunft macht er sich jedoch nicht: "Es gibt immer Strecken, die saniert werden müssen und auch Geld für neue Projekte. Auch in wirtschaftlich schlechten Zeiten werden neue Sportanlagen finanziert".