1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Volkswirte wettern gegen EU-Gipfel-Beschlüsse

5. Juli 2012

Die Eurozone werde immer mehr zur Haftungsunion, fürchten anerkannte Ökonomen. Gewinner der jüngsten EU-Gipfel Beschlüsse seien die Banken und ihre Gläubiger. Verlierer seien die Deutschen und der europäische Gedanke.

https://p.dw.com/p/15RZV
ARCHIV - Hans-Werner Sinn, Praesident des ifo Instituts fuer Wirtschaftsforschung, spricht am 11. Dezember 2008, in Muenchen waehrend einer Pressekonferenz zur Konjunkturprognose 2009. Ifo-Chef Hans-Werner Sinn hat den "Dinosaurier des Jahres 2009" fuer eine rueckstaendige Haltung zum Umweltschutz erhalten. Der Naturschutzbund Deutschland (NABU) warf dem 61-Jaehrigen am Dienstag, 29. Dezember 2009, in Berlin "besonders nachhaltige Dummheit" bei dem Thema vor. Sinn sei ein "Dampfplauderer mit egoistischem Sendungsbewusstsein", der dem Ansehen und den Verdiensten des Naturschutzes nachhaltig schade, hiess es. Sinn nahm den Preis nicht persoenlich entgegen. (AP Photo/Matthias Schrader, Archiv) ** zu APD0617 ** --- FILE - Hans-Werner Sinn, president of the ifo Institute for Economic Research, speaks during a news conference of the Institute in Munich, southern Germany, Thursday, Dec. 11, 2008. (AP Photo/Matthias Schrader, File)
Bild: AP

160 deutschsprachige Top-Ökonomen laufen Sturm gegen die jüngsten Gipfel-Beschlüsse zur Überwindung der Staatsschuldenkrise. In einem öffentlichen Brief an die "lieben Mitbürger" rufen die Wirtschaftsprofessoren um Ifo-Chef Hans-Werner Sinn die Bevölkerung auf, die aus ihrer Sicht falschen Beschlüsse nicht mitzutragen: "Die Entscheidungen, zu denen sich die Kanzlerin auf dem Gipfeltreffen der EU-Länder gezwungen sah, waren falsch. Wir (...) sehen den Schritt in die Bankenunion, die eine kollektive Haftung für die Schulden der Banken des Eurosystems bedeutet, mit großer Sorge", heißt es in dem Appell, den das Online-Portal der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" am Donnerstag vorab veröffentlichte.

Die Staats- und Regierungschefs wollen, dass der dauerhafte Krisenfonds ESM - und damit der Steuerzahler - künftig Banken direkt unterstützen kann. Bislang muss das Geld an die Regierung des jeweiligen Landes überwiesen werden. Zudem ist eine gemeinsame Einlagensicherung geplant.

Europäischer Gedanke beschädigt

Die Ökonomen warnen, Deutschland könne sich überheben. Die Bankschulden seien fast dreimal so groß wie die Staatsschulden: "Die Steuerzahler, Rentner und Sparer der bislang noch soliden Länder Europas dürfen für die Absicherung dieser Schulden nicht in Haftung genommen werden." Deutschland und die soliden Länder würden gedrängt, ihre Haftungssummen immer weiter auszudehnen: "Streit und Zwietracht mit den Nachbarn sind dann vorprogrammiert. Weder der Euro noch der europäische Gedanke als solcher werden durch die Erweiterung der Haftung auf die Banken gerettet", warnen die Ökonomen.

"Banken müssen scheitern dürfen"

Wie das Blatt berichtet, ist der Dortmunder Wirtschaftsstatistiker Walter Krämer Initiator des Protestbriefes. Er habe den Aufruf zusammen mit Sinn verfasst, der seit längerem zu den scharfen Kritikern der Euro-Rettungspolitik zählt. Ziel sei es, Bürger und Politik für die drohenden Gefahren zu sensibilisieren. In dem offenen Brief werfen die Ökonomen Europas Spitzenpolitikern Naivität vor: "Die Politiker mögen hoffen, die Haftungssummen begrenzen und den Missbrauch durch eine gemeinsame Bankenaufsicht verhindern zu können. Das wird ihnen aber kaum gelingen, solange die Schuldnerländer über die strukturelle Mehrheit im Euroraum verfügen."

Wenn die soliden Länder der Vergemeinschaftung der Haftung für die Bankschulden erst einmal grundsätzlich zustimmten, würden sie immer wieder großem Druck ausgesetzt, die Haftungssummen zu vergrößern oder die Voraussetzungen für den Haftungsfall aufzuweichen. Mit den jüngsten Beschlüssen werde nicht der Euro gerettet. Vielmehr würden sie den Gläubigern der Krisenbanken helfen, schreiben die Ökonomen. Das sei der falsche Weg: "Banken müssen scheitern dürfen." Wenn die Schuldner nicht zurückzahlen könnten, müssten die Gläubiger die Lasten eben tragen: Schließlich seien sie das Investitionsrisiko bewusst eingegangen. Von den Gipfelbeschlüssen profitierten daher vor allem Investoren an Finanzplätzen wie der Wall Street oder der Londoner City sowie marode Banken.

iw/uh (dpa, dpad)