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PolitikVietnam

Vietnams Generalsekretär Nguyen Phu Trong ist tot

19. Juli 2024

Der mächtigste Generalsekretär seit Jahrzehnten ist im Alter von 80 Jahren gestorben. Er hinterlässt eine gestärkte Kommunistische Partei im aufstrebenden Vietnam, in dem die Bürgerrechte stark eingeschränkt sind.

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Vietnam | Amtseid Präsident Nguyen Phu Trong
War von 2018 bis 2019 auch Präsident von Vietnam: Nguyen Phu Trong (bei seinem Amtseid am 23. Oktober 2018)Bild: VNA/Xinhua/picture alliance

Nguyen Phu Trong war ein überzeugter Leninist, für den die Ein-Parteien-Herrschaft in Vietnam immer an erster Stelle stand. Er prägte das Land in drei Amtszeiten als Generalsekretär (2011-2016, 2016-2021 und 2021 bis zu seinem Tod) und in einer 18-monatigen Phase als Präsident (2018/19). Der Generalsekretär der Kommunistischen Partei hat in dem südostasiatischen Staat das einflussreichste politische Amt.

Der australische Vietnam-Experte Carl Thayer ist überzeugt, dass Trong die Sicherung des Machtmonopols der Kommunistischen Partei Vietnams unter anderem mit einer rigorosen Anti-Korruptionskampagne verfolgte. Für diese werde der Generalsekretär lange in Erinnerung bleiben, sagte der Politologe von der Universität New-South Wales der DW: "Die Anti-Korruptionskampagne nahm Parteifunktionäre auf allen Ebenen ins Visier - einschließlich des Politbüros und der bis dahin unantastbaren Ministerien für öffentlichen Sicherheit Verteidigung."

Allerdings ist Korruption in Vietnam immer noch sehr weit verbreitet. Auf dem aktuellen Index von Transparency International steht das Land nur auf dem 77. von 180 Plätzen weltweit. Zwei Drittel aller Vietnamesen halten Korruption für ein "großes Problem".

Die Anti-Korruptionskampagne, während der Nguyen Phu Trong das Image eines eher bescheidenen "Onkels" pflegte, machte den Generalsekretär der Kommunistischen Partei dennoch bei der Bevölkerung beliebt, sagt Carl Thayer. Die Bezeichnung Onkel (bác) ist im Vietnamesischen eine respektvolle Familienbezeichnung.

Machtpolitisches Meisterstück

Um die Macht der Partei zu erhalten, ging Trong außerdem rigoros gegen den wachsenden Einfluss der Staatsunternehmen und der Staatsbanken vor, die im Zuge der wirtschaftlichen Öffnung seit 1989 an Einfluss gewonnen hatten. Auch führte er ein striktes Auswahlprogramm sogenannter "strategischer Kandidaten" für Parteiämter ein. Damit sollte garantiert werden, dass nur überzeugte Leninisten an die Schalthebel der Macht gelangen.

Sein machtpolitisches Meisterstück legte Trong 2016 auf dem 12. Parteitag der Kommunistischen Partei Vietnams ab. Damals kam es zu einem Machtkampf zwischen der Partei - verkörpert durch Trong - und der Regierung, angeführt von Premierminister Nguyen Tan Dung.

Vietnam Nguyen Tan Dung und Nguyen Phu Trong
Nguyen Phu Trong (vorne) gewann 2016 den Machtkampf gegen Nguyen Tan Dung (links)Bild: Luong Thai Linh/AP Photo/picture alliance

Dung strebte das Amt des Generalsekretärs an. Während seiner Regierung hatte die Korruption stark zugenommen, auch er selbst galt als bestechlich. Dennoch war er unter anderem mit einer China-kritischen Haltung sehr mächtig geworden. Doch durch Trongs "Fähigkeit zur Manipulation von Parteidirektiven, Resolutionen und Regeln", so Vietnam-Experte Thayer, gelang es ihm, seinen Gegner Dung von der Liste der Parteidelegierten zu streichen und damit politisch kaltzustellen.

Ideologie und Bambusdiplomatie

Die Partei war von jeher Trongs Herzensangelegenheit. 1944 in Hanoi geboren, trat Trong 1968 der Kommunistischen Partei Vietnams bei. Es war das Jahr der Tet-Offensive, die den Anfang vom Ende des US-Militäreisatzes im Vietnamkrieg bedeutete.

Trong machte Karriere in der Partei, ging von 1981 bis 1983 nach Moskau, wo er Russisch studierte und eine Doktorarbeit über den Aufbau der Partei an der Sowjetischen Akademie für Sozialwissenschaften abschloss. In seinen späteren Funktionen als stellvertretender Sekretär des Parteikomitees Hanoi, als Mitglied des Politbüros oder als Vorsitzender der Nationalversammlung waren Partei und Ideologie die großen politischen Themen Nguyen Phu Trongs.

Das galt, so Carl Thayer, allerdings nicht für die Außenpolitik: Trong habe akzeptiert, dass "nationale Interessen und nicht die sozialistische Ideologie die Außenpolitik bestimmen sollten." Der pragmatische Ansatz spiegelt sich auch in den jüngsten politischen Entwicklungen. Im November 2023 hat Vietnam eine umfassende strategische Partnerschaft mit dem einstigen Feind USA abgeschlossen. Zwei Monate später kam Chinas Präsident Xi Jinping zu Besuch, um die Nähe von China und Vietnam zu unterstreichen und drei Dutzend Abkommen zu unterzeichnen.

US-Präsident Joe Biden besucht Vietnam
Pragmatische "Bambus-Diplomatie": US-Präsident Joe Biden (Mitte links) besuchte am 10.09.2023 Vietnam und traf Nguyen Phu TrongBild: Luong Thai Linh/AP/picture alliance

Ein gelungenes Beispiel für Vietnams sogenannte Bambusdiplomatie, die Trong Ende 2021 einmal so beschrieb: "Wie Bambus mit starken Wurzeln, soliden Stämmen und biegsamen Ästen ist die vietnamesische Diplomatie weich und klug, aber dennoch beharrlich und entschlossen." Ziel dieser Diplomatie ist, die Unabhängigkeit des eigenen Landes zu sichern, und zwar durch die Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit jedem, ohne aber eine Allianz gegen jemand anderen einzugehen.

Wirtschaftliche Diversifizierung

Auch wirtschaftlich hat Vietnam eine ähnliche Strategie verfolgt. Mit Ausnahme Singapurs hat kein anderes Land Südostasiens so viele Freihandelsabkommen abgeschlossen wie Vietnam (insgesamt 15). Darunter sind Abkommen mit dem Verband südostasiatischer Staaten (ASEAN) und China, Japan und Südkorea und seit 2020 auch die Europäische Union. Diese haben ihren Anteil am wirtschaftlichen Boom der vergangenen Jahrzehnte, den die exportorientierte Wirtschaft Vietnams hingelegt hat. Das Land konnte - mit Ausnahme der Corona-Jahre - seit 2000 jedes Jahr ein Wirtschaftswachstum zwischen fünf und acht Prozent verzeichnen.

Vietnam | Fabrikarbeit in Ho Chi Minh City
Vietnam hat viele Freihandelsabkommen: Fabrikarbeit in Ho Chi Minh CityBild: Thomas Imo/photothek/picture alliance

Allerdings sind sich viele Experten einig, dass Trong wirtschaftspolitisch nur wenige Impulse gesetzt hat. Börje Ljunggren, ehemals schwedischer Botschafter in Vietnam und Associate des Asienzentrums von Harvard, schrieb zuletzt in einer Analyse über den vietnamesischen Staat: "Trong steht für den Aufbau der Partei und nicht für Reformen, er konzentrierte sich auf die Stärkung der Legitimität der Partei und des Parteienstaates."

Ein-Parteien-Staat

Die Folgen von Trongs erfolgreicher Stärkung des leninistischen Ein-Parteien-Staats sind die Schwächung der Bürger- und Freiheitsrechte. Statt von Herrschaft des Rechts muss man in Vietnam eher von Herrschaft durch Gesetze sprechen, wie Ljunggren schreibt. Anders gesagt, nutzt die Kommunistische Partei Vietnams das Recht, um ihren Herrschaftsanspruch zu sichern.

Das "88 Project" aus den USA dokumentiert die Inhaftierung von Aktivisten in Vietnam. Anfang 2024 zählte die Organisation 178 verhaftete, darunter Anwälte und Journalisten. Im Presseindex von Reporter ohne Grenzen belegte Vietnam 2023 Platz 175 von insgesamt 180 Plätzen.

Vietnam I Sicherheitsmaßnahmen für den Nationalkongress der Kommunistischen Partei in Hanoi im Januar 2021
Unangefochtene Führung: Poster für Nationalkongress der Kommunistischen Partei Vietnams im Jahr 2021Bild: Kham/REUTERS

"Kontrolle von Gedanken und Wissensproduktion sind wichtige Eigenschaften von Parteienstaaten", schreibt Ex-Botschafter Ljunggren. Auch für die Führung in Hanoi sei dieses Vorgehen in Vietnam fundamental wichtig.

Trotz seiner großen Machtfülle war Trong nicht wie Chinas Präsident Xi der uneingeschränkte Herrscher auf Lebenszeit. Das betonen sowohl Ljunggren als auch Thayer. "Vietnams Ein-Parteien-System ist immer noch geprägt durch kollektive Führung, in der der Generalsekretär der erste unter Gleichen ist." Anders gesagt bestimmen die obersten Organe der Partei und keine einzelne Person.

Das zeigte sich auch daran, dass Trong es auf dem 13. Parteitag 2021 nicht gelang, seinen Wunschkandidaten als Nachfolger durchzusetzen. Stattdessen übernahm er selbst noch einmal den Posten des Generalsekretärs, womit er die Begrenzung auf zwei Amtszeiten verletzte.

Seine dritte Amtszeit konnte er nicht zu Ende bringen. Er hinterlässt eine gestärkte Partei, deren oberstes Ziel die Aufrechterhaltung der Ein-Parteien-Herrschaft ist.

Nguyen Phu Trong starb am 19.7.2024 in Hanoi "aufgrund seines hohen Alters und einer schweren Krankheit", wie die Kommunistische Partei auf ihrer Internetseite erklärte. Er wurde 80 Jahre alt.

Rodion Ebbinghausen DW Mitarbeiterfoto
Rodion Ebbighausen Redakteur der Programs for Asia