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PolitikAsien

Videos belegen Misshandlung in Teherans Evin-Gefängnis

1. September 2021

Mit angeblicher Strafverfolgung will Teheran die aufgedeckten Misshandlungen im Evin-Gefängnis abhaken. Nicht so schnell, fordern Menschenrechtler.

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Iran Evin-Gefängnis in Teheran
Bild: The Justice of Ali/AP Photo/picture alliance

Die iranische Justiz will den Skandal möglichst schnell abhaken. "Der Fall wurde untersucht. Die Verantwortlichen wurden zur Rechenschaft gezogen", meldete das staatliche iranische Fernsehen am Sonntag. Zuvor hatten die Behörden tagelang bestritten, was auf Videos klar zu erkennen ist: Die Misshandlung von Insassen im Teheraner Evin-Gefängnis. Nachdem zwischenzeitlich sogar behauptet worden war, Israel stecke dahinter und hätte die Szenen mit Schauspielern gedreht, mussten die Justizbehörden schließlich zugeben: Die geleakten Videos stammen tatsächlich von den Überwachungskameras im Evin-Gefängnis in Teheran, das bereits 1971 während der Regierungszeit des Schahs gebaut wurde. 

In der vergangenen Woche begann eine Hackergruppe namens "Edalat-e Ali" ("Alis Gerechtigkeit") mit der Veröffentlichung dieser Videos. Die Gruppe behauptet, das Überwachungssystem des Gefängnisses gehackt und Hunderte von Gigabyte an Daten erbeutet zu haben. 

Iran Evin-Gefängnis in Teheran
Der Wachmann im Kontrollraum schreckt aufBild: The Justice of Ali/AP Photo/picture alliance

"Beschwerden wurden nie ernst genommen"

In den bislang im Netz veröffentlichten Videos ist beispielsweise zu sehen, wie ein Gefangener von mehreren Gefängniswärtern getreten und heftig auf den Kopf und ins Gesicht geschlagen wird. In einem anderen Video sind Sicherheitskräfte des Gefängnisses zu sehen, die sich mit voller Ausrüstung auf den Einsatz in einer Zelle vorbereiten. "Um vor allem den politischen Gefangenen eine Lehre zu erteilen, stürmen sie plötzlich in eine Zelle und verprügeln die Gefangenen, bis sie leblos am Boden liegen", berichteten in der Vergangenheit wiederholt Häftlinge nach ihrer Freilassung. 

"Wir wissen, dass zahlreiche Gefangene während der Haft oder nach ihrer Freilassung bei der Justiz Beschwerde wegen Misshandlungen eingelegt haben. Ihre Fälle wurden nie ernst genommen", sagt Tara Sepehri Far, Iran-Expertin der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW). Für Organisationen wie HRW zeigen die geleakten Videos lediglich die Spitze eines Eisberges. Ihnen liegen zahlreiche Berichte über systematische Misshandlungen von Gefangenen im Iran vor, zum Beispiel der 35-jährigen Niloufar Bayani.

Exemplarischer Fall Niloufar Bayani 

Bayani, eine international anerkannte Umweltaktivistin, arbeitete bis 2017 als Beraterin im Bereich Umwelt-Krisenmanagement bei den Vereinten Nationen in Genf. Im Juni 2017 kehrte sie in den Iran zurück, um für die Umweltorganisation "Persian Wildlife Heritage Foundation" (PWHF) zu arbeiten. Gemeinsam mit ihren Kollegen wurde sie 2018 wegen angeblicher Spionage verhaftet und landete im Evin-Gefängnis. Beweise gegen sie oder ihre Kollegen wurden nie vorgelegt. Trotzdem wurden sie 2019 zu zehn Jahren Haft verurteilt wegen "Kontakten zum feindlichen Staat USA" und wegen "Erlangung illegitimer Einkünfte", gemeint sind ihre UN-Bezüge. 

In einem Brief aus dem Gefängnis schilderte Niloufar Bayani im Februar 2020, wie sie täglich neun bis zwölf Stunden verhört sowie körperlich und psychisch gefoltert wurde. Beamte hätten ihr unter anderem damit gedroht, ihr halluzinogene Drogen zu injizieren und Familienangehörige zu verhaften oder zu töten. Im Oktober 2020 wurde sie erneut angeklagt, diesmal wegen angeblicher "Veröffentlichung falscher Informationen", weil sie den Brief geschrieben hatte.

Alarm im Kontrollraum

Wie die politischen Gefangenen behandelt werden, ist im Kontrollraum des Gefängnisses nicht zu sehen. Darauf haben mehrere ehemalige politische Gefangene hingewiesen, nachdem die Hackergruppe ein Video dieses Kontrollraums veröffentlicht hatte. 

In diesem Video sieht man, wie über die zahlreichen Bildschirme die Aufnahmen der Überwachungskameras flimmern. Dann beginnen die Bildschirme plötzlich, rot zu blinken. Während der zuständige Wachmann alarmiert aufspringt, erscheint auf den Monitoren folgender Text: "Cyberangriff: Das Evin-Gefängnis ist ein Schandfleck auf Raisis schwarzem Turban und seinem weißen Bart. Landesweiter Protest bis zur Freilassung der politischen Gefangenen."

Seit Anfang August ist Ebrahim Raisi Irans Präsident, zuvor war er - seit 2019 - Chef der Justiz. Wann der Cyberangriff stattgefunden hat und ob es überhaupt ein Angriff von außen war - das Überwachungssystem ist laut Experten nicht ans Internet angeschlossen - oder ein Zugriff auf die Datenbank des Überwachungssystems mit der Hilfe von Insidern, ist unklar. Davon unabhängig stellen die Videos klare Beweise für die Misshandlung von Gefangenen im Evin-Gefängnis dar. 

Druck aus dem Ausland gefordert

"Wenn die iranische Justiz den Fall untersucht hat, muss sie das Ergebnis der Untersuchung einer unabhängigen Organisation vorlegen", fordert Tara Sepehri Far von HRW. "Der Iran verweigert die Zusammenarbeit mit internationalen Organisationen, aber im Iran kennen wir bekannte Menschenrechtsanwälte. Sie müssen das Ergebnis der Untersuchung einsehen können. Das ist aber nicht der Fall."

Sepehri Far glaubt, dass die internationale Gemeinschaft durchaus Möglichkeiten habe, sich in diesem Fall einzumischen. Eine Option wäre, die Verantwortlichen mit Hilfe iranischer Aktivisten zu identifizieren und auf eine Sanktionsliste zu setzen. "Koordinierter Druck aus dem Ausland etwa von europäischen Ländern, die wirtschaftliche Beziehungen mit dem Iran unterhalten, könnte den Iran zwingen, menschenrechtliche Mindeststandards einzuhalten."