Versöhnungsgeste am Ort eines Massenmords
7. April 2010Der Wald von Katyn ist ein stiller Ort, rund 400 Kilometer westlich von Moskau. Kein Verkehrsschild deutet auf das Areal hin, das sich außerhalb einer Kleinstadt über rund 100 Hektar erstreckt. Hier entdeckte die deutsche Wehrmacht 1943 Massengräber mit Tausenden hingerichteten Menschen. Im April 1940 waren unter anderem in Katyn auf Befehl des sowjetischen Diktators Stalin mehr als 20.000 polnische Offiziere und Intellektuelle von sowjetischen Soldaten ermordet und verscharrt worden.
Erstmals gemeinsames Gedenken
70 Jahre danach ist das Massaker für Polen noch immer ein nationales Trauma und für Russland ein schweres Erbe. An diesem Mittwoch (07.04.2010) gehen Polen und Russland einen weiteren Schritt aufeinander zu. Der russische Ministerpräsident Wladimir Putin gedenkt zusammen mit seinem polnischen Kollegen Donald Tusk der Ermordeten. Es ist das erste Mal, dass Moskau einen polnischen Regierungschef offiziell nach Katyn einlädt. Mit Spannung wird daher erwartet, welche Worte Putin in dem Ort nahe der Grenze zu Weißrussland finden wird.
Geschichtsfälschung bis 1990
Als die einmarschierte Wehrmacht 1943 die Massengräber entdeckte, wies Stalin die Verantwortung zurück und beschuldigte die "deutschen Faschisten" der Morde. Diese Geschichtsfälschung galt nach Kriegsende im ganzen sowjetisch kontrollierten Raum, einschließlich der DDR. Erst 1990 bekannte sich der damalige Kremlchef Michail Gorbatschow zur Schuld seines Landes. Sein Nachfolger Boris Jelzin entschuldigte sich 1993 bei den Angehörigen der Opfer mit den Worten: "Vergebt uns, wenn ihr könnt." Russland lehnt aber weiter ab, das Verbrechen als Völkermord anzuerkennen. Putin verweist darauf, dass Sowjetbürger in Katyn in den 1930er Jahren auch von Polen und später von deutschen Besatzern ermordet wurden.
"Anti-russische" Interpretation
Noch sind die Akten zu dem Massaker in Russland unter Verschluss. Präsident Dmitri Medwedew müsse die Ermittlungen über das "Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit" wieder aufnehmen lassen, forderte jüngst die russische Organisation Memorial. Viele Russen kennen bis heute nicht die Hintergründe des Massakers.
Die Kommunistische Partei in Russland hat wiederum eine neue Untersuchung des Massenmords gefordert. Eine vom Parlament ernannte Untersuchungskommission solle alle Gräber in dem Wald in Westrussland untersuchen, die Toten identifizieren und das genaue Datum der Massenhinrichtungen herausfinden, forderte Parteisekretär Sergej Obuchow am Dienstagabend nach Angaben der Nachrichtenagentur Interfax.
Das Massaker müsse zudem in einem Zusammenhang "mit dem Tod von 60.000 russischen Kriegsgefangenen in polnischen Gefängnissen nach Polens Angriff auf den sowjetischen Staat 1920" gesehen werden, sagte Obuchow. Bislang werde das Massaker von Katyn "anti-russisch" interpretiert, kritisierte er. Die Regierung sei nicht in der Lage, das "geopolitische Interesse" Russlands und die "historische Wahrheit" zu schützen.
Immer noch tiefe Gräber
Dass es ihnen bei einer Annäherung nicht allein um Versöhnung geht, hatten Putin und Tusk, die mit 57 und 52 Jahren der gleichen Generation relativ junger Politiker angehören, bereits bei einem Treffen im August in Danzig anlässlich des 70. Jahrestags des Kriegsbeginns deutlich gemacht. Beide verfolgen auch knallharte Wirtschaftsinteressen, denn Russland ist Polens zweitwichtigster Handelspartner nach Deutschland.
Wie tief die Gräben zwischen Moskau und Warschau noch sein können, verdeutlicht ein Besuch nur drei Tage nach dem Treffen von Putin und Tusk: Dann reist der polnische Präsident Lech Kaczynski nach Katyn - allerdings privat. Von Moskau erhielt der Staatschef keine Einladung zur Gedenkfeier.
Autorin: Pia Gram (afp, dpa)
Redaktion: Ursula Kissel