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Verhandeln über Geben und Nehmen

Karl Zawadzky, zur Zeit Cancun14. September 2003

Auf der WTO-Tagung hat die eigentliche Verhandlungsphase begonnen. Ein Entwurf für eine Abschlusserklärung wurde prompt allgemein als unakzeptabel erklärt, wohl aber als Verhandlungsgrundlage aufgenommen.

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Protest gegen die WTO "Big Heads"Bild: AP

Nach viertägigen Sondierungen ist die Konferenz der Wirtschafts-, Landwirtschafts- und Entwicklungsministern aus den 146 Mitgliedsländern der Welthandelsorganisation WTO in Cancun in die entscheidende Phase getreten: Ein von Gastgeber Mexiko vorgelegtes Kompromisspapier wurde zwar praktisch von allen 146 WTO-Mitgliedern abgelehnt, aber als Gesprächsgrundlage für Nachbesserungen akzeptiert. Vor allem beim Abbau von Agrarsubventionen zeigte sich weiter ein tiefer Graben zwischen reichen und armen Ländern. WTO-Sprecher Keith Rockwell sagte, die Positionen erschienen festgefahrener als in den Wochen vor der Konferenz. US-Verhandlungsführer Robert Zoellick betonte, nun beginne "das äußerst wichtige Geben und Nehmen" auf dem Weg zu einem Schlussdokument, das den Weg zu einem erfolgreichen Abschluss der laufenden Welthandelsrunde Anfang 2005 ebnen solle.

Ernstfall für Clement

Für Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement ist nun der Ernstfall gegeben - nämlich ein Entwurf für eine Abschlusserklärung, über die zu verhandeln sich lohnt. Für Landwirtschaftsministerin Renate Künast ist das Vorspiel beendet. EU-Außenhandelskommissar Pascal Lamy erklärte, es sei ein Fortschritt erkennbar, über den neuen Vorschlag des WTO-Sekretariats müsse nun verhandelt werden. Aber in seiner derzeitigen Form wird die Erklärung von allen Teilnehmern der Konferenz abgelehnt. Alle bestehen auf Verbesserungen – natürlich nur in ihrem jeweiligen Interesse.

Clement erklärt in Übereinstimmung mit den Verhandlungsführern aus den übrigen EU-Ländern: "Für uns ist der Text, wie er jetzt vorliegt, nicht akzeptabel. Und deshalb sind wir auch noch nicht am Ziel. Wir hoffen allerdings, dass wir dort hinkommen."

Zankapfel Agrarpolitik

Ein wichtiger Zankapfel ist weiterhin die Agrarpolitik. So haben die Industriestaaten bei der Eröffnung der laufenden Liberalisierungsrunde in Doha 2001 das Auslaufen ihrer Exportsubventionen für Agrarerzeugnisse zwar im Prinzip akzeptiert, aber sie weigern sich entschieden, dafür einen konkreten Zeitpunkt zu vereinbaren. Außerdem wollen EU-Außenhandelskommissar Lamy und Wirtschaftsminister Clement, dass es beim ursprünglichen Vorhaben bleibt und innerhalb der WTO ein multilaterales Investitionsschutzabkommen abgeschlossen wird. Clement erklärte, das liege nicht nur im Interesse der Industriestaaten, sondern auch im Interesse der Entwicklungsländern, die ja Investitionen anlocken wollen. Ausländische Investitionen würden aber nur vorgenommen, wenn dafür Sicherheiten gegeben werden.

Für EU-Agrarkommissar Franz Fischler überschreitet der neue Entwurf im Agrarbereich Grenzen, die die EU sich gesetzt hat, und er verstärke die schon vorher vorhandenen Kopfschmerzen, erklärte Fischler. Außerdem werde nicht berücksichtigt, daß die EU bereits beschlossen hat, die für die Entwicklungsländer schädlichen Exportsubventionen abzubauen und ihren Markt – den größten und kaufkräftigsten weltweit – stärker für Agrarerzeugnisse aus der Dritten Welt zu öffnen. So sieht das auch Landwirtschaftsministerin Künast. Sicher, die EU habe noch Hausaufgaben zu machen. Aber: "Die Europäische Union hat sich gerade im Agrarbereich im Laufe des letzten Jahres in einem Maße bewegt, wie es in den letzten 10 bis 15 Jahren nicht Bewegung gegeben hat", so Künast.

Gegenleistungen von Entwicklungsländern gefordert

Wirtschaftsminister Clement fordert von den Entwicklungs- und Schwellenländern Gegenleistungen im Bereich der Industrie und der Dienstleistungen für das europäische Entgegenkommen im Agrarsektor. Das gilt nicht nur für ein Investitionsschutzabkommen, sondern auch für den Zollabbau. Zum Beispiel sollen leistungsfähige Länder in Südostasien ihre Zölle für Autoimporte verringern und nicht, wie es der Vorschlag des WTO-Sekretariats ermöglichen würde, sie noch heraufsetzen können. Weltweite Zollsenkungen, so der Bundeswirtschaftsminister, seien für das Exportland Deutschland von großer Bedeutung.

Weniger Proteste als angenommen

Die Proteste der WTO-Gegner waren am Samstag friedlicher als befürchtet. Ein als "Weltmarsch gegen den Freihandel" angekündigter Protestzug war mit etwa 2000 Teilnehmern zudem deutlich kleiner aus als die Mittwochskundgebung. Die meisten mexikanischen Bauern, die am Mittwoch mit demonstriert hatten, waren inzwischen wieder nach Hause gefahren. Wie es hieß, konnten die ausländischen Dritte-Welt-Gruppen, die dafür Geld gesammelt hatten, deren Aufenthalt in Cancun nicht länger finanzieren.

Der Zug stand im Zeichen des Gedenkens an den koreanischen Bauern Lee Kyung-Hae, der sich am Mittwoch aus Protest gegen den Freihandel das Leben genommen hatte. Er war auf die Absperrung geklettert und hatte sich vor laufenden Fernsehkameras ein Taschenmesser ins Herz gerammt. In Sprechchören wurde Lee am Samstag als Märtyrer besungen.