Verhaftungswelle im Iran
5. Januar 2023"Wir wissen nicht, wer von uns als nächstes verhaftet wird. Die Stimmung ist bedrückend", erzählen Journalistinnen aus dem Iran in Hintergrundgesprächen. Interviews mit ausländischen Medien vermeiden sie. Zur Lage im Iran versuchen sie die Welt über soziale Netzwerke zu informieren. So wie der Journalist Milad Alavi: Er wurde am 1. Januar verhaftet. Warum? "Weiß er selber auch noch nicht", teilt sein Bruder am 2. Januar via Twitter mit. Bereits am 13. Dezember hatten die Sicherheitsbehörden Alavis Wohnung durchsucht und sein Smartphone und seinen Laptop beschlagnahmt.
Alavi berichtete über die Opfer der jüngsten Proteste und ihre Familien. Die landesweiten Proteste nach dem Tod von Jina Mahsa Amini im Polizeigewahrsam hat die Staatsmacht - so wie die anderen Protestwellen der Vergangenheit - brutal niedergeschlagen.
Nach Einschätzungen von Menschenrechtlern wurden seit Mitte September mindestens 470 Teilnehmer an Demonstrationen getötet und mehr als 18.000 verhaftet. Jetzt rechnet die Staatsgewalt mit denjenigen ab, die über die Betroffenen berichtet haben. Laut der Menschenrechtsorganisation "Iran Human Rights" sitzen momentan mindestens 62 Journalisten und Journalistinnen hinter Gittern.
Haftstrafe trotz Kooperation mit iranischer Führung
Milad Alavi, der für die reformorientierte Teheraner Tageszeitung "Shargh" arbeitet, ist nun im selben Gefängnis wie der bekannte Soziologe Saeed Madani. Ende Dezember hatte "Shargh" berichtet, Saeed Madani sei im Gefängnis mehrfach von hochrangigen Beamten eines ungenannten Ministeriums besucht worden. "Sie wollten von ihm Vorschläge, wie die Unruhen im Land beendet werden könnten", erzählt sein Anwalt Mahmoud Behzadirad im Interview mit "Shargh". Saeed Madavi soll dazu geraten haben, die Gewalt zu stoppen und die Rechte der Demonstranten in Betracht zu ziehen.
Dennoch wurde der 61-jährige Ende Dezember zu neun Jahren Haft verurteilt. Er habe sich in seinen Artikeln und Büchern für die "Bildung und Leitung von Anti-Establishment-Gruppen" eingesetzt und "Propaganda gegen die Islamische Republik Iran" verbreitet, heißt es in der Urteilsbegründung. Die Verbreitung von Madanis Büchern wurde bereits im Sommer verboten. Der Professor von der Universität Teheran war im Mai 2022 festgenommen worden. Damals hatte er in einem Interview über die Proteste gegen die Inflation und Nahrungsmittelknappheit im Land gesprochen und gewarnt: "Diese Proteste müssen ernst genommen werden, weil sie sich gegen das gesamte politische System richten und weil sie wiederkehrend sind."
Madani, der in den vergangenen 13 Jahren immer wieder verhaftet wurde, appelliert in seinen Büchern für Solidarität innerhalb der Zivilgesellschaft und für den Mut, überall und unerschrocken für seine Überzeugungen einzustehen. Eine Reihe seiner Kollegen an den Universitäten werden jetzt genau deswegen bestraft. Zum Beispiel Farshid Norouzi, Professor für englische Literatur an der Universität von Mazandrab im Norden des Landes: Am 2. Januar teilte er via Instagram mit, dass sein Vertrag gekündigt wurde und er für das laufende Semester auch kein Gehalt mehr bekommt. Der Grund: Er hatte sich geweigert, die Namen der Studenten, die Lehrveranstaltungen boykottiert hatten, an die Sicherheitsbehörden weiterzugeben.
Notwendige Unterstützung aus dem Exil
"Auch eine Reihe von bekannten Anwälten, die sich immer für Menschenrechte einsetzten, wurde willkürlich verhaftet", berichtet Saeid Dehghan im Gespräch mit der DW. Der Menschenrechtsanwalt lebt seit einigen Monaten in Kanada und versucht ein Netz von Experten im Ausland aufzubauen, das Menschen im Iran Rat und Hilfe anbieten kann. Es gibt kaum noch unabhängige Anwälte im Iran, die sich für ihre Mandanten einsetzen, ohne Angst haben zu müssen, selbst Opfer von Verfolgung und zu politischen Gefangenen zu werden. "Wir dokumentieren die systematischen Rechtverletzungen und auch die Namen der Richter, die Unrecht sprechen. Wir sind im Kontakt mit der unabhängigen Untersuchungskommission, die vom UN-Menschenrechtsrat ins Leben gerufen wurde, um gegen die Straflosigkeit bei der Niederschlagung der Proteste im Iran vorzugehen", berichtet Dehghan.
Das Ziel sei unter anderem, die Vollstreckung von Todesurteilen im Iran zu stoppen. Mehr als die Hälfte aller Hinrichtungen würden geheim vollzogen, berichtet die Menschenrechtsorganisation "Iran Human Rights Activists News Agency" HRANA am 3. Januar. Im Jahr 2022 sollen nur 35 Prozent der Hinrichtungen offiziell angekündigt worden sein. Laut HRANA wurden 2022 mindestens 565 Menschen im Iran hingerichtet, darunter zwei in Verbindung mit den landesweiten Protesten.
Momentan droht 26 weiteren inhaftierten Demonstranten die Hinrichtung. Sie wurden in Schauprozessen zum Tode verurteilt, um die Bevölkerung einzuschüchtern und die Proteste zu beenden. Mindestens elf Personen wurden bereits zum Tode verurteilt, und 15 weiteren werden Straftaten vorgeworfen, die in der Islamischen Republik Iran mit der Todesstrafe geahndet werden können, zum Beispiel "Krieg gegen Gott". Es braucht im Iran nicht viel, um Menschen zum Tode zu verurteilen. Ein Beispiel ist der Schriftsteller und Illustrator Mehdi Bahman.
"Spionage für Israel"
Bahman wurde nach einem Interview mit dem israelischen Fernsehen von einem Teheraner Gerichtshof zum Tode verurteilt. Mehdi Bahman, der sich seit langem für interreligiösen Dialog und Frieden einsetzt, sprach sich für eine Normalisierung der Beziehungen zwischen dem Iran und Israel aus. Seit der Islamischen Revolution von 1979 sehen die Machthaber im Iran Israel als Erzfeind an und drohen, den Staat Israel auszulöschen. Intellektuelle wie Mehdi Bahman werden als "Spione" betrachtet. Bahman wurde im Oktober 2022 festgenommen und wegen "Spionage" angeklagt. Ohne Rechtsbeistand während des Verfahrens wurde er im Dezember zum Tode verurteilt. Die Staatmacht im Iran beschuldigt ausländische Mächte, hinter den derzeitigen Protesten im Land zu stehen.