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Politik

"Verdammt, wir leben noch!"

Gilda-Nancy Horvath
7. Dezember 2022

"Solidarität mit den ukrainischen Roma in Europa!" - so lautete das Motto des "Roma Civil Society Forums" in Berlin. Kriegsberichterstattung, Fake News, aber auch Kulturförderung standen im Mittelpunkt der Diskussionen.

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Symbolfoto Roma Civil Society Forum Workshop
Roma Civil Society Forum in Berlin: Junge Roma engagieren sich für die Rechte der Geflüchteten aus der UkraineBild: ARCA

Anfang März 2022 berichtete die DW über die ukrainischen Frauen Tetiana Storozhko und Natalia Tomenko aus der Roma-Community, die in der Ukraine in Lebensgefahr schwebten und gleichzeitig Hilfe für andere Menschen aus der Community organisierten.

"Verdammt, wir leben noch!" lautet eine ihrer Botschaften auf dem "Roma Civil Society Forum" in Berlin, das die beiden Frauen derzeit mit der Roma-Jugendorganisation ARCA organisieren. Unterstützt wird das Forum vom Zentralrat Deutscher Sinti und Roma. Besonders die Medienplattform "Djanes" (Romanes für "Weißt du") spielt eine große Rolle im Kampf gegen Propaganda und Fake News, wie Tetiana erklärt: "Wir machen Geschichten darüber sichtbar, wie der Krieg das Leben der Menschen verändert hat und wie sie damit umgehen. Es sind Geschichten über Menschen, die trotz aller Widrigkeiten die Hoffnung nicht verlieren und mit ihren Taten anderen Menschen Kraft geben."

Tetiana Storozhko
Tetiana Storozhko setzt sich für geflüchtete Roma aus der Ukraine einBild: ARCA

Dennoch falle es der Medienplattform schwer, Kontakt zu Journalisten der großen Medien in Europa zu knüpfen, erzählt Tetiana. Die Angst davor, mit Aktivisten zusammenzuarbeiten, halte Journalisten oft davon ab, sich die Themenvorschläge objektiv anzusehen. Im Gespräch mit Vertreterinnen und Vertretern deutscher Medien überbrachten die ukrainischen Medienaktivistinnen eine klare Botschaft: "Zu Beginn des Krieges war das Interesse, mit Menschen wie uns, mit Zeitzeugen zu sprechen, sehr groß. Journalisten sollten sich daran erinnern, dass es auch eine ihrer Aufgaben ist, die Gegenwart als zukünftige Geschichte zu betrachten und zu dokumentieren."

Keine Angst vor Zusammenarbeit

Hier versuche Djanes, eine Brücke zu sein zwischen den Geschichten des Alltags in der Ukraine und der Suche von Journalisten nach validen Informationen. Dass diese Situation im "Informationszeitalter", in dem soziale Medien die größten Reichweiten haben, nicht einfach sei, ist Natalia bewusst. Deshalb konzentrierten sie sich auch auf individuelle Geschichten statt auf überregionale oder politisch gefärbte Narrative: "Es ist selbst für uns vor Ort sehr schwierig, verlässliche Informationen zu bekommen. Deshalb versuchen wir, die Geschichten der Menschen, die menschliche Seite dieses Krieges zu zeigen. Letztlich sind sie davon betroffen und müssen einen Weg finden, damit zu leben."

Natalia Tomenko
Natalia Tomenko plädiert für eine enge Zusammenarbeit zwischen Journalisten und AktivistenBild: ARCA

Natalia hofft, dass Djanes Journalisten dazu befähigt, tiefer einzutauchen in die Geschichten und damit auch ein umfassenderes Bild von einem abstrakten Wort wie "Krieg" zu zeigen. Auch das, was in den Medien geschehe, sei eine Form von Krieg - ein Kampf um Deutungshoheit und darum, welche Informationen den Diskurs dominieren und somit letztlich die Realität abbilden, die wiederum unabhängig von ihrem tatsächlichen Informationsgehalt zur "Wahrheit" wird: "Hier braucht es den aktiven Dialog, die Zusammenarbeit zwischen Journalisten und jenen Menschen, die den Mut haben, noch öffentlich zu sprechen. Wenn die Journalisten das Aktivismus nennen, dann sollen sie das. Wir allerdings sehen darin die einzige Möglichkeit, unsere Geschichten, das, was hier passiert, für die Nachwelt, für die kommenden Generationen festzuhalten, zu bewahren."

Das starke Engagement der Zivilgesellschaft werde jedoch allein das Ausmaß, das an Hilfe benötigt wird, nicht tragen können. Der Bundesbeauftragte gegen Antiziganismus, Mehmet Daimagüler, hatte bereits im August 2022 die Organisation ARCA in der Ukraine besucht, um sich selbst ein Bild von der Situation dort zu machen. Seine Position ist klar: "Deutschland hat eine moralische, historische, politische und rechtliche Verpflichtung, die geflüchteten Roma aus der Ukraine als besonders schutzbedürftige Gruppe einzustufen und als solche zu behandeln."

Mehmet Daimagüler
Mehmet Daimagüler ist der erste Bundesbeauftragte gegen AntiziganismusBild: Revierfoto/dpa/picture alliance

Hilfsprogramm für ukrainische Künstler aus der Community

Während die Politik noch Ansätze sucht, um effizient zu helfen, findet die Community selbst innovative Wege. Das Europäische Roma-Institut für Kunst und Kultur (ERIAC) mit Sitz in Berlin hat mit ARCA gemeinsam eine Initiative angestoßen, die finanziell vom Netzwerk "Artists at Risk" getragen wird.

Künstler und Künstlerinnen, die sich selbst zur Roma-Community bekennen und aus der Ukraine stammen, können sich ab sofort um eine "Artist Residency"bewerben. Das Programm übernimmt die Kosten für Reise, Unterkunft sowie ein monatliches Stipendium für eine Dauer von mindestens drei Monaten.