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Fahndung per Facebook

Christina Ruta17. November 2012

Soziale Netzwerke können Straftäter fangen helfen. Die Justizminister von Bund und Ländern überlegen, sie damit aufzuspüren. Niedersachsen nutzt die Facebook-Fahndung bereits - zum Ärger der Datenschützer.

https://p.dw.com/p/16l3l
Screenshot Facebookseite LKA Niedersachsen
Bild: Screenshot

"+++ Mordfall Andrea B. - Bilder aus einer Überwachungskamera vorhanden +++ Die Polizei Hannover fahndet mit Bildern aus einer Überwachungskamera nach einer Person, die im Mordfall Andrea B. mit der EC-Karte der Toten Geld an einem Bankautomaten in Linden-Nord abgehoben hat..."

Das postet das Landeskriminalamt (LKA) Niedersachsen aktuell auf seiner Facebook-Seite. Es folgen eine Bitte um Hinweise per Telefon oder E-Mail und ein Link zur Fahndungsseite des LKA. Auf der Fahndungsseite selbst können sich die Nutzer dann die Aufnahme des mutmaßlichen Täters am Bankautomaten ansehen.

Junge User - schnelle Zeugen

Das Bundesland Niedersachsen ist Vorreiter bei der Fahndung via Facebook. Auch die Hessen jagen Verbrecher mittlerweile so. Vielleicht wird die Plattform bald in ganz Deutschland die Polizei unterstützen. Ob das mit datenschutzrechtlichen und rechtsstaatlichen Grundsätzen vereinbar ist, lassen die Justizminister von Bund und Ländern prüfen - das beschlossen sie diese Woche in Berlin. Sie versprechen sich davon vor allem, dass mehr junge Leute Hinweise geben, die bei der Aufklärung schwerer Verbrechen helfen, so der Vorsitzende der Konferenz, der hessische Justizminister Jörg-Uwe Hahn (FDP).

Als erste Behörde hatte die Polizeidirektion Hannover 2011 eine Seite bei dem sozialen Netzwerk eingerichtet. Seit Juni 2012 bearbeitet das Landeskriminalamt Niedersachsen die Facebook-Fahndung zentral für das ganze Bundesland. Mit Erfolg, wie Frank Federau, Pressesprecher des LKA Niedersachsen, im DW-Interview berichtet. Nicht nur im Mordfall von Andrea B. seien bei der Behörde zahlreiche Hinweise von Nutzern des sozialen Netzwerkes eingegangen. "Wir erreichen gerade bei der Facebook-Fahndung sehr schnell sehr viele Jugendliche und Heranwachsende - und gerade bei diesem Klientel sind wir darauf angewiesen, dass wir Informationen und Hinweise von Zeugen erhalten", erläutert Frank Federau. Wie die meisten Facebook-Nutzer seien nämlich auch die Straftäter selber oft junge Leute und so könnten die User wesentlich dazu beitragen, die Taten aufzuklären.

Mehrere Tausend Freunde habe das LKA Niedersachsen bereits bei Facebook - ein Personenkreis, der kontinuierlich über aktuelle Fahndungen auf dem Laufenden gehalten werde. Die Nutzer können zudem die LKA-Seite teilen, kommentieren und mit der Gefällt-mir-Funktion bewerten - was wiederum für ihre Freude sichtbar ist. "Wir wissen, dass unser System sehr gut und umfassend angenommen wird und haben häufig sehr viele Hinweise zu den Delikten. Wir haben bereits zehn Delikte aufgeklärt, bei denen der erste Tipp über Facebook kam", sagt Frank Federau.

Datenschützer: Daumen runter

Wo der LKA-Sprecher den sprichwörtlichen Facebook-Daumen hochreckt, signalisieren Datenschützer das Gegenteil: Ihre heftige Kritik hat erreicht, dass die Polizei in Niedersachsen die Facebook-Fahndung modifizieren musste. Die Polizeidirektion Hannover hatte ursprünglich die personenbezogenen Daten der mutmaßlichen Täter direkt auf die Facebook-Seite gestellt und sie damit auf einen Server übertragen, der sich in den USA befindet. Das ist verboten, wie Rainer Hämmer, der stellvertretende Landesbeauftragte für den Datenschutz Niedersachsen, gegenüber der DW erläutert. Daten dürften nur weitergegeben werden, wenn der Betroffene eingewilligt hat oder es gesetzlich ausdrücklich gestattet ist. "Datenübermittlungen sind aber nur innerhalb Deutschlands und der EU erlaubt. Wenn Sie in sogenannte Drittländer Daten übermitteln wollen - unter anderem in die USA -, dann ist das nur in wirklichen Ausnahmefällen zulässig. Die sind im Bundesdatenschutzgesetz oder in den Landesdatenschutzgesetzen geregelt. Diese Ausnahmen treffen eindeutig nicht auf die Fahndung mit Hilfe von Facebook zu", so Rainer Hämmer. Darum liegen die personenbezogenen Daten nun ausschließlich auf dem Server des LKA Niedersachsen.

Doch auch jenseits dieser Praxis kritisiert der Datenschützer die Fahndung im World Wide Web: "Das, was einmal im Internet ist, können Sie nicht wieder einfangen oder zurückrufen. Sie können es zwar von Ihrem Server löschen, aber Sie haben keine Möglichkeit, die Daten, die mittlerweile auf irgendwelche anderen Server kopiert sind, wiederzubekommen." Fachleute nennen das eine "digitale Tätowierung", und die gefährdet die Resozialisierung der Straftäter: Sie bleiben ihr gesamtes Leben als Verbrecher gebrandmarkt.

Frank Federau, Pressesprecher des LKA Niedersachsen (Foto: LKA Niedersachsen)
Frank Federau, Sprecher des LKA NiedersachsenBild: LKA Niedersachsen
Smartphone mit Bild der Facebookseite der Kripo Frankfurt (Foto: dpa/lhe)
Auch die Frankfurter Kripo nutzt die Facebook-FahndungBild: picture-alliance/dpa
Tatort im Mordfall von Lena aus Emden (Foto: dapd).
Hetze via Facebook gegen einen Unschuldigen: Mordfall Lena aus EmdenBild: dapd

Moralische Bedenken

Facebook findet Rainer Hämmer dabei besonders bedenklich: Die Plattform sei ohnehin höchst umstritten, weil sie die Daten ihrer Mitglieder allzu leicht preisgibt und sie auch anderen Internetseiten und Werbekunden überlässt. Wenn der Staat sich dieses Netzwerkes bediene, sei das moralisch problematisch.

Das LKA Niedersachsen nimmt nach eigenen Angaben die Kritik der Datenschützer ernst - es will aber auch Verbrechensopfer schützen: "Mit der Fahndung muss man natürlich sehr behutsam umgehen - die ist für uns immer das letzte Mittel. Wir suchen über Facebook nicht den einfachen Hühnerdieb, sondern es handelt sich dabei immer um Straftaten von erheblicher Bedeutung." Die Kommentare der Nutzer auf der LKA-Facebook-Seite würden zudem "rund um die Uhr" kontrolliert - um etwa Hetzkampagnen gegen die mutmaßlichen Täter vorzubeugen. Die Behörde wäge auch gewissenhaft ab, was sie auf der LKA-Fahndungsseite publiziere: "Wenn wir dann noch personenbezogene Daten veröffentlichen, dann liegt immer der Beschluss eines Richters vor - das heißt im Vorfeld wurde diese Öffentlichkeitsfahndung, die in der Strafprozessordnung geregelt ist, entsprechend geprüft und genehmigt."