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Verbotene Liebe? Die Beziehung in Berlins Stadtregierung

10. Januar 2024

Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner und Bildungssenatorin Katharina Günther-Wünsch haben sich verliebt. Die Hauptstadt streitet, ob das geht.

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Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner und Bildungssenatorin Katharina Günther-Wünsch stehen eng beieinander und lächelt beide, sie legt ihre Hand auf seine Brust
Sieht nach Liebe aus, ist es auch: Berlins Regierender Bürgermeister Wegner und Bildungssenatorin Günther-WünschBild: Jörg Carstensen/dpa/picture alliance

In der deutschen Hauptstadt Berlin läuft vieles anders als im Rest des Landes: Chaotischer, wilder, überraschender, unübersichtlicher. Jetzt hat die größte deutsche Metropole wieder für ein Novum und viel Aufregung gesorgt: Der Regierende Bürgermeister der Stadt, Kai Wegner, und seine Bildungssenatorin Katharina Günther-Wünsch, beide Mitglieder der CDU, sind ein Paar. Das gab ein Anwalt am vergangenen Freitag offiziell bekannt.

Wegner hatte schon zuvor mitgeteilt, dass er sich von seiner langjährigen Partnerin, mit der er zwei Kinder hat, im vergangenen Jahr getrennt habe. Jetzt schrieb Anwalt Christian Scherz zum neuen Glück des Regierungschefs der deutschen Hauptstadt: "Unabhängig davon, dass eine derartige Konstellation keinen rechtlichen Bestimmungen widerspricht, ist es natürlich selbstverständlich, dass die Beteiligten im Zusammenhang mit ihrer Amtsführung Privates und Berufliches strikt trennen."

Was passiert, wenn es beruflich zum Konflikt kommt?

Aber genau darum geht die Diskussion, die gerade in Berlin entbrennt: Dürfen die das? Oder anders gefragt: Natürlich dürfen sie, aber können sie dann weiterhin in einer Stadtregierung zusammenarbeiten? Ist nicht Wegner eigentlich eine Art Chef der Senatorin? Senatoren heißen in Berlin die Ministerinnen und Minister der Stadtregierung.

Kai Wegner, Regierender Bürgermeister in Berlin, sitzt auf einem schwarzen Stuhl an einem Tisch, verschränkt die Hände und lächelt in die Kamera
Seit April vergangenen Jahres ist Kai Wegner Regierender Bürgermeister in BerlinBild: Hannes P Albert/dpa/picture alliance

Was passiert zum Beispiel, wenn es zu politischen Konflikten kommt? Besorgt fragen sich einige Journalistinnen und Journalisten: Hat Günther-Wünsch jetzt bessere Karten, wenn sie im Senat mehr Geld für die oft maroden Berliner Schulen einfordert, weil ihr Partner ja der Regierungschef ist?

Wegner bleibt auf jeden Fall, aber seine Partnerin?

Seitdem die Liebesbeziehung bekannt ist, befragen die Berliner Medien Rechtsexperten, ob nicht die Senatorin ihr Amt abgeben muss, um jeden Anschein der Befangenheit zu vermeiden. Weniger oft wird gefragt, ob nicht auch Wegner den Weg freimachen könnte, der Liebe zuliebe, sozusagen.

Aber klar ist: Wegner hat die Wahl zum Abgeordnetenhaus, dem Berliner Stadtparlament, vor gut einem Jahr, im Februar 2023, gewonnen. Und er regiert seitdem gemeinsam mit der SPD die deutsche Hauptstadt. Mit ihm steht und fällt also die aktuelle Stadtregierung.

Keine wirklichen Compliance-Regeln in der Politik

Darf also Katharina Günther-Wünsch, um die komplizierte Lage zu vereinfachen, Senatorin bleiben? Die Rechtsexperten sind sich einig: Sie darf. Denn anders als etwa in den meisten großen Unternehmen und bei höheren Beamten gibt es für gewählte Politiker keine festen Compliance-Regeln, also Vorgaben für den rechtskonformen Umgang miteinander.

So sagte etwa der Berliner Politikwissenschaftler Thorsten Faas der Zeitung "Tagesspiegel": "Das sind schon verschiedene Sphären, zumal ja Politikerinnen und Politiker häufig gewählt und nicht nur bestimmt werden. Aber trotzdem sind solche Konstellationen heikel, eben weil Interessenkonflikte leicht entstehen können."

Gelten für den höchsten Beamten-Chef andere Regeln?

Und endgültig verwirrend ist die Meinung von Ulrich Battes, dem emeritierten Verfassungsrechtler der Humboldt-Universität in Berlin. Er sagte im "Tagesspiegel": "Anders als in der Verwaltung oder im Militär gibt es keine gesetzlichen Regelungen dazu. Dennoch ist Kai Wegner Vertreter des Dienstherrn aller Landesbeamten, denen eine ähnliche Beziehung per Gesetz verboten ist." Für den Bürgermeister gilt also nicht, was für seine Beamten gilt, deren quasi oberster Chef er ist?

Transparency: "Rechtlich sind beide nicht angreifbar"

Anruf bei der Nichtregierungsorganisation "Transparency International" in Berlin. Dort ist Norman Loeckel zurzeit für Fragen zu der Liebesbeziehung im Berliner Senat zuständig. Er sagt der DW: "Aus rein rechtlicher Sicht machen sich beide nicht angreifbar." Das liege auch ein bisschen an der Natur der Politik in der parlamentarischen Demokratie. "Jede gewählte Politikerin oder jeder Politiker bringt ja ein eigenes Gewicht mit, hat sich durch Wahlen etwa in den Parteien etabliert."

Norman Loeckel von Transparency International schaut in die Kamera
"Nur, weil rechtlich keine Probleme da sind, ist gleich alles auch moralisch in Ordnung" - Norman LoeckelBild: Transparency International

Loeckel fasst zusammen: "Wir halten uns zurück, was Rücktrittsforderungen angeht." Aber er ergänzt: "Das Aller-Mindeste wäre jetzt, den Umgang mit möglichen Interessenskonflikten an eine andere Person im Senat zu übertragen." Genau das tat Wegner dann am Dienstag dieser Woche, nachdem die Kritik an ihm und der Senatorin Günther-Wünsch nicht weniger geworden war.

Geht es künftig um Streitfälle zwischen den Senatoren und ist dabei auch das Bildungsressort betroffen, wird nicht Wegner wie bislang als Schlichter auftreten, sondern Finanzsenator Stefan Evers, ebenfalls CDU.

Bei Familienmitgliedern greifen andere Regeln

Eine Art seichte Compliance-Regel findet sich dann doch in den Bestimmungen des Berliner Senats. So sind Handlungen im Amt für oder gegen Familienangehörige untersagt, und gemeint sind damit Ehepartner und Verwandte, bei denen man nach der Strafprozessordnung ein Zeugnisverweigerungsrecht hat. Aber Wegner und Günther-Wünsch sind ja nicht verheiratet.

Politik und Liebe: Olaf Scholz, Britta Ernst und andere

Liebespaare gab es schon öfters in der deutschen Politik. Aber zu möglichen Interessenskonflikten wie im aktuellen Fall in Berlin kam es dabei nie. So ist Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) seit 25 Jahren mit der Sozialdemokratin Britta Ernst verheiratet. Ernst war von 2017 bis 2023 Bildungsministerin im Bundesland Brandenburg, also auch noch in den ersten Jahren der Amtszeit von Scholz als Kanzler. Aber der Föderalismus in Deutschland trennt strikt zwischen der Bundes - und der Landesebene. Keine Interessenkonflikte also.

Olaf Scholz mit Frau Britta Ernst vor einer weißen Sponsorenwand, beide lächeln in die Kamera
Bundeskanzler Olaf Scholz und seine Ehefrau Britta Ernst. Sie war Landesministerin, als er Kanzler wurdeBild: Eventpress RH/picture alliance

Mehr Diskussionen gab es da schon um das Ehepaar Kristina und Ole Schröder, beide CDU. Ole Schröder war in der Regierungszeit von Angela Merkel  parlamentarischer Staatssekretär im Innenministerium, seine Frau etwa zeitgleich bis 2013 Bundesfamilienministerin. Beide sind mittlerweile aus der Politik ausgeschieden. Ein Ehepaar, beide Mitglieder in der Regierung? Auch das ging, wenn die beiden auch einige kritische Kommentare über sich ergehen lassen mussten.

Für Trump gelten andere Regeln - immer schon

Auch wenn rund um das Liebespaar im Berliner Senat sicherlich noch viele hitzige Debatten geführt werden: Verhältnisse wie unter dem früheren Präsidenten Donald Trump in den USA wären in Deutschland dann doch schwer vorstellbar.

Donald Trump telefoniert im Weißen Haus, am Schreibtisch sitzend. Rechts neben ihm sein Schwiegersohn Jared Kushner
Immer Platz für ein Familienmitglied im Machtzentrum: Donald Trump 2017 mit Schwiegersohn Jared Kushner (Mitte)Bild: Aude Guerrucci/Pool/ABACA/picture alliance

Trump machte seinen Schwiegersohn Jared Kushner 2017 zum Sondergesandten für den Nahen Osten. Aber für Trump galten und gelten ja schon immer ganz andere Gesetze.