Auch Pro Familia steckt im Pädophilie-Sumpf
11. Oktober 2013"Wenn man irgendwo reinpickt, findet man etwas", resümiert der Politikwissenschaftler Stephan Klecha seine Forschungsarbeit. Seit Mai recherchiert er unter der Leitung von Franz Walter vom Göttinger Institut für Demokratieforschung, in welchem Umfang es in der Partei Bündnis 90/Die Grünen Forderungen gegeben hat, Sexualität zwischen Kindern und Erwachsenen zu legalisieren.
Dafür wollen er und seine Kollegen auch verstehen, in welchem gesellschaftlichen Kontext das Ganze damals passiert ist. Auf der Suche nach kritischen Stimmen in der Pädophilie-Debatte haben die Göttinger Politikwissenschaftler deshalb einen Blick in die Fachzeitschrift des Deutschen Kinderschutzbundes geworfen und festgestellt, dass dort in den 80er Jahren unkommentiert und unkritisch pädophilenfreundliche Texte abgedruckt wurden. Das möchte der Kinderschutzbund jetzt wie die Grünen vom Institut für Demokratieforschung untersuchen lassen.
"Seit dem Fund beim Kinderschutzbund überrascht mich relativ wenig"
Einen fragwürdigen Umgang mit Pädophilie muss sich inzwischen auch der Verband Pro Familia vorhalten lassen. Pro Familia ist der führende Verband in Deutschland, der sich um Sexualität, Partnerschaft und Familienplanung kümmert. Er hat ein bundesweites Netzwerk mit 180 Beratungsstellen unter anderem für Schwangere oder Paare mit Kinderwunsch. Dass auch dort Sexualität zwischen Kindern und Erwachsenen möglicherweise zu unkritisch betrachtet wurde, kommt für den Politikwissenschaftler Klecha nicht unerwartet."Seit dem Fund beim Kinderschutzbund überrascht mich relativ wenig", sagt er im Gespräch mit der Deutschen Welle.
Die Berliner Zeitung "Tagesspiegel" hatte sich Artikel des "Pro Familia Magazins", der Fachzeitschrift des Beratungsdienstes, angeschaut und festgestellt, dass dort in den 80er und 90er Jahren pädophilenfreundliche Ansichten vertreten wurden. Beiträge des Psychologen und Pädagogen Wolf Vogel aus dem Jahr 1987 etwa, in denen er "vorurteilsfrei" über die Ursachen pädophiler Lust nachdenkt.
Oder Artikel des Soziologen Rüdiger Lautmann. Dieser wollte 1995 eine Trennlinie zwischen Pädophilen und Sexualstraftätern ziehen. Beim Kindesmissbrauch "werde der kleine Mensch geschädigt", so Lautmann, der "echte Pädophile“" gehe "außerordentlich vorsichtig vor", eine Schädigung der Kinder sei "sehr fraglich". Außerdem sei in der Zeitschrift sein 1994 erschienenes Buch "Die Lust am Kind" positiv besprochen worden.
Pro Familia: "Wir haben wissenschaftliche Diskurse dokumentiert"
Und selbst in diesem Jahr erschien laut neuesten Recherchen des "Tagesspiegels" ein Artikel Lautmanns im "Pro Familia Magazin" unter dem Titel "Sexualforschung kann die Wirklichkeit verändern".
Pro Familia hat die Thematisierung von Pädophilie in früheren Artikeln damit begründet, dass sie den damaligen Stand der Diskussion in der Sexualwissenschaft abgebildet hätten. "Wir wollen gerne aufklären und aufrollen, was damals passiert ist", teilte Pro Familia auf Anfrage der Deutschen Welle mit. Derzeit sei man dabei, zu filtern und alle Unterlagen zu prüfen. Zum aktuellen Artikel Lautmanns gibt es bisher keine Stellungnahme.
Aus dem Bundesfamilienministerium, das Pro Familia finanziell fördert, hieß es in einer schriftlichen Erklärung, dass sich der Verband klar gegen sexuellen Missbrauch und damit auch gegen Pädophilie als Machtmissbrauch im Verhältnis zwischen Erwachsenen und Kindern positioniert habe und man diese eindeutige Positionierung begrüße.
"Die Pädophilie-Debatte hat eine breite Spur gezogen"
Warum haben der Kinderschutzbund und auch der Verband Pro Familia nicht selber in ihren Archiven geforscht? "Das war unsere große Überraschung, die wir als Schweigespirale bezeichnet haben", sagt der Politikwissenschaftler Klecha. Langsam werde klar, "was für eine breite Spur die Pädophilie-Debatte in den 80er Jahren gezogen hat", sagt Klecha.
Eine Zeit des Aufbruchs, der Befreiung, der Emanzipation der Sexualkultur im linken Milieu sei es damals gewesen, erinnert sich der Kieler Sozial- und Sexualpädagoge Uwe Sielert. "Es war eine eindeutige Antwort auf die repressive Zeit vorher, mit dem Enthusiasmus verbunden, endlich etwas für Kinder- und Jugendrechte zu tun", sagt Sielert im Gespräch mit der Deutschen Welle. In der Sexualerziehung sei viel erreicht worden, gleichzeitig sei man mit Pädophilie zum Teil sehr naiv umgegangen.
Mittlerweile hätten auch die Wochenzeitung "Die Zeit" und das Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" in ihre Archive geschaut und festgestellt, dass da mehr sei, als man bisher gedacht habe, erzählt der Politikwissenschaftler. Viele Artikel waren demnach pädophiliefreundlich. Und doch müsse man festhalten, dass die Pädophilie-Debatte damals nicht das zentrale Thema sowohl bei den Grünen als auch beim Kinderschutzbund und wahrscheinlich auch nicht bei Pro Familia gewesen sei. "Aber es war dort auch ein Thema." Jetzt sei es wichtig, im Rahmen der Forschungsarbeit die Zusammenhänge darzustellen.
Es dürfe nichts unter den Teppich gekehrt werden, sagt der Sozial- und Sexualpädagoge Sielert. Allerdings sei eine differenzierte Sichtweise nötig. Und er warnt vor "Tendenzen der sexuellen Denunziation, also dass Personen aufgrund von naiver Haltungen, die sie damals zur Pädophilie gehabt hatten", heute grundsätzlich kriminalisiert werden.