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Politik

USA lehnen Haitis Bitte um Militärhilfe ab

10. Juli 2021

Die Regierung Haitis hat die USA und die Vereinten Nationen um Truppenhilfe gebeten, um nach dem Mord an Präsident Jovenel Moïse strategisch wichtige Orte zu sichern. In dieser Frage winken die USA ab.

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Washington Pentagon Luftaufnahme
Blick auf das US-Verteidigungsministerium Bild: Reuters/Y. Gripas

Die USA haben die Anfrage der haitianischen Regierung zu militärischer Unterstützung zum Schutz wichtiger Infrastrukturen wie Flughafen und Häfen abgelehnt. Die Vereinigten Staaten hätten keine Pläne, Haiti "zu diesem Zeitpunkt" militärische Hilfe zu gewähren, sagte ein hochrangiger Beamter der US-Regierung. In einem Gespräch mit US-Außenminister Antony Blinken hatte Interims-Ministerpräsident Claude Joseph um eine solche Sicherheitsunterstützung ersucht gestellt. Auch der UN-Sicherheitsrat sei um Hilfe gebeten worden, sagte der Minister für Wahlen, Mathias Pierre.

Moïse war in der Nacht zu Mittwoch in seinem Haus in Port-au-Prince erschossen worden. Nach Polizeiangaben war ein Killerkommando aus "26 Kolumbianern und zwei US-Bürgern haitianischer Herkunft" an dem Attentat beteiligt. Fast 20 Verdächtige wurden festgenommen. Drei Kolumbianer seien getötet worden. Acht Angreifer befänden sich noch auf der Flucht. Nach Angaben Taiwans wurden elf Verdächtige im Zusammenhang mit dem Mord auf dem taiwanischen Botschaftsgelände in der Hauptstadt Port-au-Prince festgenommen. Die USA und Kolumbien boten ihre Hilfe bei den Ermittlungen an.

International hatte der Anschlag, dessen Hintergründe weiterhin unklar sind, Furcht vor einem weiteren Abgleiten des Karibikstaats in Gewalt ausgelöst. Seit dem Mordanschlag ist der verarmte Inselstaat noch tiefer in eine politische Krise gefallen, die den wachsenden Hunger, die gewaltsamen Konflikte zwischen kriminellen Banden und die Ausbreitung des Coronavirus verschlimmern könnte.

Senat schaltet sich ein

Die unübersichtliche Lage könnte noch komplizierter werden durch eine Entscheidung des Senats. Die zweite Parlamentskammer bestimmte inzwischen in einer Resolution den bisherigen Senator Joseph Lambert zum Übergangspräsidenten. Haiti müsse das "institutionelle und politische Vakuum" überwinden, erklärte das Oberhaus des haitianischen Parlaments. Bindend ist die Resolution allerdings nicht, da der Senat in Port-au-Prince über keine Beschlussfähigkeit verfügt. Nur ein Drittel der Senatoren ist noch im Amt. Der Senat wird zwar von einer Reihe von Oppositionspolitikern unterstützt, hat aber zu wenige Senatoren, um legal Resolutionen verabschieden zu können.

Haiti | Joseph Lambert
Welche Rolle wird Joseph Lambert, der Präsident des Senats, spielen?Bild: HECTOR RETAMAL/AFP/Getty Images

Bereits vor Moïses Ermordung befand sich Haiti in einer tiefen institutionellen Krise. Seit seinem Amtsantritt 2017 hatte Moïse keine Wahlen organisiert, seit Januar 2020 hat das Land kein funktionsfähiges Parlament mehr. Moïse regierte zuletzt deshalb per Dekret.

Machtkampf zwischen Henry und Joseph

Eine der letzten Amtshandlungen des getöteten Präsidenten war die Ernennung von Ariel Henry zum neuen Ministerpräsidenten. Er sollte ursprünglich in den nächsten Tagen Joseph ablösen. Am Donnerstag stellte Henry die Legitimität von Interims-Ministerpräsident Claude Joseph in Frage, der wenige Stunden nach Moïses Tod den Ausnahmezustand ausgerufen hatte. "Für mich ist er nicht mehr der Premierminister", sagte er nach einem Bericht der haitianischen Tageszeitung "Le Nouvelliste".

De facto haben weder Joseph noch Henry die volle Legitimität. Für den Fall, dass der Präsident ausfällt, sieht die haitianische Verfassung vor, dass der Machtübergang unter der Kontrolle des Parlaments erfolgt. Dieses ist jedoch seit über einem Jahr nicht mehr handlungsfähig, da die Parlamentswahl unter anderem wegen Protesten gegen Moïse im Streit um das Ende seiner Amtszeit mehrfach verschoben worden war.

Haiti - Ermordung des Präsidenten Jovenel Moise
Nach dem tödlichen Attentat wurde die Grenze zur benachbarten Dominikanischen Republik geschlossenBild: Ricardo Rojas/Reuters

Bundesregierung appelliert an politische Führer

Der Sprecher der deutschen Bundesregierung sprach am Freitag mit Blick auf Haiti von einer "gewissen Sorge" und äußerte die Hoffnung, dass Stabilität gewahrt werden könne. Zugleich verurteilte er die "grässliche Tat" aufs Schärfste und drückte der haitianischen Bevölkerung die Anteilnahme Deutschlands aus. Ein Sprecher des Auswärtigen Amtes fügte hinzu, dass in Haiti wegen umstrittener rechtlicher Entscheidungen auch des ermordeten Präsidenten ein Machtvakuum entstanden sei. Die weitere politische Entwicklung hänge stark vom politischen Willen aller ab, Ruhe und Ordnung zu bewahren und einen konstruktiven Dialog zu führen. Ein wichtiger Schritt wäre die Abhaltung von Parlamentswahlen.

Mittlerweile befürchtet das UN-Kinderhilfswerk UNICEF eine Verschlechterung der humanitären Lage in dem Karibikstaat. Mindestens 1,5 Millionen Kinder, ein Drittel aller Minderjährigen, brauchten dringend Hilfe und Schutz. Der UNICEF-Vertreter in Haiti, Bruno Maes, sprach von der "schlimmsten humanitären Krise, die das Land seit Jahren erlebt". Die Lage verschlechtere sich von Woche zu Woche. Das Leben vieler Kinder hänge von der Versorgung mit medizinischem Material und Spezialnahrung ab. Wenn sich Hilfsorganisationen nicht sicher bewegen könnten, blieben Tausende Kinder ohne die nötige Hilfe.

Nach Angaben der UN-Organisation stiegen allein in den ersten drei Monaten 2021 die Aufnahmen akut unterernährter Kinder in klinischen Einrichtungen um 26 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Aufgrund neuer Bandenkriege seit Juni mussten laut UNICEF in der Hauptstadtregion Port-au-Prince 15.000 Frauen und Kinder vor der Gewalt fliehen. Während die Zahl der COVID-19-Fälle steige, habe Haiti als einziges Land der westlichen Hemisphäre noch keine einzige Corona-Impfdosis erhalten, erklärte das Hilfswerk. Haiti ist das ärmste Land Lateinamerikas. Etwa 70 Prozent der 11,2 Millionen Einwohner des karibischen Inselstaates leben in Armut. 

kle/sti (afp, dpa, rtr, kna, epd)