1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Heroin, das Schmerzmittel der Abgestürzten

Ines Pohl, Washington16. April 2016

Eine Heroin-Epidemie überrollt die USA. In zehn Jahren hat sich die Zahl der Drogentoten verdreifacht. Eine Ursache: Schmerzmittel-Missbrauch. Pharmaindustrie und Gefängnis-Betreiber verdienen. Ines Pohl aus Washington.

https://p.dw.com/p/1ITuo
Symbolbild Drogenabhängigkeit
Bild: picture-alliance/dpa

Die Vereinigten Staaten leiden an einer Krankheit, die die Ärzteschaft dem Land selbst verschrieben hat. Einer Epedemie, die mit der Aidskrise in den 1980er Jahren verglichen wird. Einer Entwicklung, mit der sich mittlerweile sogar der Präsident und der Kongress beschäftigen - und die doch nahezu unaufhaltsam scheint, weil zu viele einflußreiche Gruppen zu viel Geld damit verdienen.

Die Volkskrankheit hat einen Namen. Sie heißt Schmerzmittelsucht. Hinter dem Begriff verbirgt sich der schnelle Weg vom verschriebenen Medikament zur tödlichen Droge. Täglich, so sagen die jüngsten Statistiken, sterben 125 Menschen an illegalen Drogen, knapp 80 davon durch Heroin und andere Opioide, wie aus der Statistik der Gesundheitsbehörde CDC (Centers for Disease Control and Prevention) hervorgeht. Im Jahr 2014 waren es über 40.000. Tendenz steigend.

Ein tödliches Missverständnis

Für den Mediziner David Rosenbloom steht fest, wer die Verantwortung für diese Entwicklung trägt: all die Menschen, die mit dem Verschreiben von Medikamenten Geld verdienen, das reicht von den praktizierenden Ärzten bis hin zur Pharmaindustrie.

"Die zwei grundlegenden Probleme wurden in den vergangenen 20 Jahren von der Pharmaindustrie geschaffen", erklärt der Professor der medizinischen Fakultät Boston: Zum einen seien immer stärkere Medikamente entwickelt und auf den Markt gebracht worden. Und gleichzeitig habe man mit gezielten Kampagnen suggeriert, dass nicht behandelte Schmerzen zu weiteren Erkrankungen führten. Ein tödliches Missverständnis, wie Rosenbloom erklärt: "80 Prozent aller Menschen, die heute Opioide konsumieren, haben vorher legale Schmerzmittel genommen."

Symbolbild Tabletten Medikamente (Foto: Frank May, dpa)
Am Anfang: Massenhafter SchmerzmittelmissbrauchBild: picture-alliance/dpa/F. May

Entzugserscheinungen verkannt

Viel zu lange, erklärt der Mediziner, sei die Suchtgefahr völlig unterschätzt worden. Die Tatsache, dass die Patienten nicht mehr auf die euphorisierende Wirkung vieler Schmerzmittel verzichten wollen. Aber noch gefährlicher, so Rosenbloom, seien die körperlichen Entzugserscheinungen. "Bei vielen Medikamenten wird man innerhalb weniger Tage abhängig. Und viele erkennen die Entzugserscheinungen nicht als solche, sondern denken, die ursprünglichen Schmerzen seien zurück, und meinen, sie müssten deshalb weiterhin die Medikamente nehmen."

Wenn dann die Krankenversicherung irgendwann aufhört, die Substanzen zu bezahlen, beginnt ein Kreislauf, der oft tödlich endet. Zunächst werden die teuren Pillen auf dem Schwarzmarkt besorgt, und wenn irgendwann das Geld nicht mehr reicht, weichen die Abhängigen auf das deutlich preiswertere Heroin aus. "Heroin ist wirksamer als die verschriebenen Medikamente, zunächst wird es geschnüffelt, und irgendwann gespritzt" erklärt Rosenbloom. Und für viel zu viele steht dann am Ende der tödliche Schuss.

"Pharmaindustrie trägt Verantwortung"

Zahlreiche Statistiken stützen Rosenblooms Theorie. Von der New York Times kürzlich veröffentlichte Karten zeigen, wo diese Schmerzmittelsucht ihren Anfang nahm. Es waren Regionen wie West Virginia oder die Appalachenregion mit vielen Arbeitsplätzen, bei denen es häufig zu Arbeitsunfällen kam. Nach Operationen oder auch bei Verschleißsymptomen wie Rückenschmerzen wurden viel zu viele Schmerzmittel verschrieben: Die Menschen wurden abhängig; der Teufelskreis begann.

Deutschland Symbolbild Drogentote (Foto: Frank Leonhardt/dpa )
Am Ende: Sucht nach HeroinBild: picture-alliance/dpa/F. Leonhardt

Krank, nicht kriminell

Diese Zusammenhänge dringen langsam ins öffentliche Bewusstsein. Präsident Barack Obama persönlich hat mehrere Initiativen gestartet. Das Ziel: Drogenabhängige nicht als Kriminelle, sondern als kranke Menschen zu behandeln, denen man helfen müsse, statt sie ins Gefängnis zu stecken. Ein Schritt, der theoretisch einleuchtet, in der Praxis aber schwer umzusetzen scheint. "So zynisch es klingt, aber in Amerika gibt es viele Gefängnisse, die privatwirtschaftlich organisiert sind. Und die Betreiber haben natürlich ein Interesse daran, dass sie ausgelastet sind."Im Zweifel bedeute das Einsperren statt Therapieren. Dass die kriminelle Karriere vielleicht mit der unvorsichtigen Verschreibung von Schmerzmitteln nach einer Operation begonnen haben mag, spielt keine Rolle. "Das ist leider die zynische Realität", sagt Rosenbloom.