Palästinenserhilfswerk in Bedrängnis
8. August 2018Zielstrebig bahnt sich Sulaiman Abu Oudeh seinen Weg durch die geschäftige Ausgabestelle der UNRWA im Shati-Flüchtlingslager in Gaza-Stadt. Seinen Ausweis und Coupons in der Hand, steht er für die verschiedenen Lebensmittel an. "Natürlich machen sich hier alle Sorgen, man bekommt ja mit, was bei der UNRWA los ist und das Geld fehlt", sagt Abu Oudeh und nimmt einen Karton Sonnenblumenöl entgegen. "Die Leute haben Angst, dass langfristig auch die Rationen gekürzt werden. Das gab es schon einmal. Die Situation in Gaza ist so schlecht, es gibt keine Arbeit und viele sind komplett von Hilfe abhängig." Die Finanzkrise der Hilfsorganisation hängt wie eine dunkle Wolke über dem Geschehen.
Mitte Januar hatte US-Präsident Donald Trump angekündigt, die Zahlungen an das Flüchtlingshilfswerk drastisch zu reduzieren. Die USA galten bislang als der größte Geber des Hilfswerks, strichen aber die rund 360 Millionen US-Dollar Unterstützung auf 60 Millionen zusammen. Geld, das die UNRWA im Nahen Osten dringend benötigt Die Bundesregierung gibt in diesem Jahr daher zusätzliche 8,4 Millionen Euro. Das Geld soll die UNRWA für Lebensmittel für palästinensische Flüchtlinge ausgeben, teilte das Vertretungsbüro in Ramallah mit.
Allein in Gaza unterstützt die Organisation 1,3 Millionen registrierten Flüchtlinge - mithilfe von Schulen, Gesundheitszentren, sozialen Diensten und auch der Nahrungsmittelhilfe. Die humanitäre Situation im Hamas-kontrollierten Gaza verschlechtert sich seit Jahren. Der Gazastreifen wird von Israel und Ägypten strikt abgeriegelt.
Abu Oudeh ist inzwischen bei der Mehlausgabe angelangt. An den verschiedenen Schaltern geben UNRWA-Mitarbeiter Sardinendosen, Linsen, Kichererbsen, Reis aus. Es reicht kaum für die drei Monate, aber es sei eine wichtige Hilfe im Alltag, sagt der 57-Jährige, der eine siebenköpfige Familie zu versorgen hat und lieber arbeiten gehen würde, als hier anzustehen. Am Ausgang warten Eselskarren und Autos, die die schweren Mehlsäcke zum nahe gelegenen Flüchtlingslager Shati transportieren. Für zusätzliche Unruhe sorgen auch Berichte über politische Bestrebungen der USA, das gesamte Hilfswerk und damit das Thema Rückkehrrecht für Palästinenser nach Israel möglicherweise ganz ad acta zu legen.
Neue Berichte sorgen für Unruhe
Vergangene Woche hatte die Zeitschrift "Foreign Policy" angebliche E-Mails von Trumps Schwiegersohn Jared Kushner veröffentlicht, seines Zeichens auch Nahost-Gesandter der US-Regierung. Darin ruft Kushner offenbar dazu auf, die UNRWA "zu zerschlagen". Die Organisation würde "den Status quo auf ewig fortbestehen lassen, sei korrupt, ineffizient und würde dem Frieden nicht helfen", so der zitierte Wortlaut einer E-Mail, deren Echtheit sich nicht überprüfen lässt. Damit würden sich die USA aber in dieser Angelegenheit an die Seite Israels stellen, das schon seit Jahren die Hilfsagentur kritisiert, unter anderem weil sie den Flüchtlingsstatus an nachfolgenden Generation weiter gibt.
"Unter den 1,3 Millionen Menschen, für die wir hier verantwortlich sind, herrscht sehr tiefe Unsicherheit und Sorge über ihre Zukunft, nicht nur wegen der Kürzungen", sagt der für Gaza zuständige UNRWA-Direktor, der Deutsche Matthias Schmale. Das Thema Rückkehrrecht sei wegen der US-Entscheidung, Jerusalem als Israels Hauptstadt anzuerkennen, und der Demonstrationen im Grenzgebiet sehr präsent. Gleichzeitig ist Schmale derzeit mit den ganz realen Konsequenzen der Finanzkrise seiner Organisation konfrontiert. Finanzielle Nöte hatte UNRWA schon immer, weil der Bedarf kontinuierlich gestiegen ist. Doch diesmal sei es noch ernster.
Streiks im UNRWA Hauptquartier
Seit einigen Tagen streiken UNRWA-Mitarbeiter im Hauptquartier in Gaza-Stadt und lassen das UN-Management nicht mehr in die Büros. Mit dem Sitzstreik protestieren die Mitarbeiter und Gewerkschaften gegen Teilzeitarbeit und die Streichung von Stellen. Ismail al Talla'a ist sogar in den Hungerstreik getreten. Er gehört zu den 113 Mitarbeitern, denen die Kündigung droht. "Ich habe fünf Kinder zuhause und UNRWA hilft mir, meine Familie zu ernähren", sagt der Familienvater. "Wenn ich diesen Job verliere, ist mein Leben ruiniert. Ich habe finanzielle Verpflichtungen, bei der schlechten wirtschaftlichen Situation, was soll ich machen?"
Bei der UNRWA fehlen dieses Jahr auch rund 90 Millionen Dollar im Nothilfeprogramm, die im Vorjahr von den USA finanziert wurden. Damit werden die Nahrungsmittelhilfe, das Cash-vor-Work-Programm und auch der Psychologische Dienst finanziert. Letzterer muss mit Einsparungen rechnen. "Angesichts der Kürzungen versuchen wir die Priorität auf die Nahrungsmittelhilfe zu legen, und deshalb müssen wir an den anderen beiden Programmen etwas umschichten”, sagt Gazas UNRWA-Chef Schmale.
Die Arbeit als Helfer bei einer internationalen Organisation galt lange Zeit als Garant auf ein festes Einkommen. UNRWA beschäftigt rund 12.500 Menschen im Gazastreifen. "Wir haben hier unsere besten Jahre verbracht. Ich hätte nie gedacht, einmal in diese Situation zu kommen", sagt Al Talla'a. In Gaza einen neuen Job zu finden gilt als fast unmöglich. Gazas Arbeitslosenrate liegt bei über 40 Prozent, jeder zweite junge Mensch unter 30 Jahren findet keinen Job. Auch deshalb ist die Angst so groß vor den finanziellen Kürzungen.
Neuer Krieg oder Waffenruhe
UNRWA-Leiter Matthias Schmale und sein Team arbeiten zur Zeit von ihren Wohnungen aus oder in Hotels - aus Sicherheitsgründen. Einige der Protestaktionen gegen die Kürzungen richteten sich auch persönlich gegen Schmale. Verhandlungen mit den Gewerkschaften über die Personalfragen liefen bislang ins Leere. "Leider sind wir jetzt in dieser Situation", sagt Schmale. "Die jetzigen Kürzungen betreffen derzeit rund 1000 Mitarbeiter, einige von ihnen werden normal weiterarbeiten, andere werden bis Ende des Jahres in Teilzeit gehen müssen. Und 113 Mitarbeiter werden leider ihren Job verlieren." Mitte August werde man zudem entscheiden müssen, ob es genügend Geldmittel gibt, um das Schuljahr in den 267 UNRWA-Schulen zu beginnen. All das in einer Zeit, in der zudem die allgemeine Situation in Gaza äußerst angespannt ist.
In den vergangenen Wochen war es zu den schwersten militärischen Auseinandersetzungen zwischen Israel und Hamas seit Ende des Krieges 2014 gekommen. Mehrmals schien der Ausbruch eines neuen Krieges nur eine Frage der Zeit zu sein. Nun sollen indirekte Gespräche in Kairo unter Vermittlung der Ägypter und der Vereinten Nationen eine Waffenruhe zwischen Israel und Hamas erzielen. "Es macht die Menschen mürbe, nicht zu wissen, ob die Schulen Ende August öffnen. Oder ob unsere Rechte als Flüchtlinge plötzlich infrage gestellt werden", sagt Suleiman Abu Oudeh aus dem Shati-Flüchtlingslager. Jeder Tag, der ohne schlechte Nachrichten vorbei geht, sei ein guter Tag.