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Trumps Verdienst und Coronas Beitrag

Nik Martin
29. Oktober 2020

US-Präsident Donald Trump wollte alte Handelsverträge zerreißen und Arbeitsplätze zurückzubringen. Dann kam COVID-19. Was ist die wirtschaftliche Bilanz seiner Amtszeit? Hat er seine Versprechen gehalten?

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USA Indianapolis | Präsident Donald Trump | Vize Mike Pence
Bild: picture-alliance/AP Photo/E. Vucci

Bei der US-Präsidentschaftswahl 2016 hatten viele Wähler aus der Arbeiterklasse, die zuvor für den Demokraten Barack Obama gestimmt hatten, die Lager gewechselt und für den Republikaner Donald Trump gestimmt. Der war mit dem vollmundigen Versprechen angetreten "Make America Great Again", er werde "Amerika wieder großartig machen".

Der Milliardär und Moderator einer Reality-TV-Show versprach außerdem, den Washingtoner "Sumpf" trockenzulegen, der laut Trump Millionen von US-Arbeitsplätzen ins Ausland verkauft habe. Damit traf er den Nerv der Wähler, die jahrelang zugesehen hatten, wie gut bezahlte Industriearbeitsplätze in ferne Länder verlagert wurden, die Löhne stagnierten oder sanken und selbst die verbliebenen Jobs zunehmend unsicher wurden.

Schon im Jahr 2018, zur Hälfte seiner Amtszeit, konnte Trump darauf verweisen, dass in den USA eine halbe Million Arbeitsplätze in der verarbeitenden Industrie entstanden waren. Er sah dies als Beleg für den Erfolg seiner aggressiv-protektionistischen Politik. Zu der gehörten die Kündigung von Handelsabkommen, Zölle auf ausländische Stahl- und Aluminiumlieferungen sowie ein Handelskrieg mit China.

Keine Wiederbelebung des Rostgürtels

Das Economic Policy Institute widerspricht jedoch den Behauptungen des Präsidenten. In einer im August 2020 veröffentlichten Studie kommen die Forscher der Washingtoner Denkfabrik zu dem Schluss, dass es Trump nicht gelungen ist, die ehemaligen Industriegebiete im Nordosten der USA wiederzubeleben.

USA Präsidentschaftswahlen Unterstützer des Wahlkampfs
Plakat vor einem Haus in Chagrin Falls, Ohio. Der sogenannte Rust Belt leidet unter dem Zerfall der IndustrieBild: Shannon Stapleton/Reuters

Diese "Rust Belt" genannte Region hatte seit den 1990er Jahren einen starken Niedergang erlebt. Auch in Trumps ersten beiden Amtsjahren gingen hier mehr Arbeitsplätze im verarbeitenden Gewerbe verloren, als neue entstanden, so das Institut.

"Präsident Trumps sprunghafte, egozentrische und inkonsistente Handelspolitik hat trotz der neuen kämpferischen Rhetorik keine messbaren Fortschritte erzielt", heißt es in dem Bericht. "Darüber hinaus haben COVID-19 und das Missmanagement der Krise durch die Regierung einen Großteil der in den vergangenen zehn Jahren in der US-Fertigung gewonnenen Arbeitsplätze zunichte gemacht."

Der Bericht gibt der Kritik zusätzliches Gewicht, Trump sei ein Industriepräsident in einem postindustriellen Land. Denn das verarbeitende Gewerbe hat nur noch einen Anteil von elf Prozent an der Wirtschaftsleistung der USA - das ist der niedrigste Stand seit dem Zweiten Weltkrieg.

Im Wahlkampf um seine zweite Amtszeit wird Trump oft wegen seiner inkonsequenten Reaktion auf die Corona-Pandemie angegriffen. Während er in den Umfragen hinter seinem Herausforderer Joe Biden liegt, bemüht sich Trump dagegen, die wirtschaftlichen Erfolge seiner ersten Amtszeit zu betonen. So hat er in der ersten TV-Debatte mit Biden behauptet, er habe 700.000 Arbeitsplätze im produzierenden Gewerbe "zurückgeholt". Dabei sind seit Trumps Amtsantritt unterm Strich 237.000 Industriearbeitsplätze verloren gegangen, wie die Fact-Checker von Politifact belegten.

Rekorde an den Börsen

Trump verweist auch regelmäßig auf die Aktienkurse an der Wall Street, die während seiner Amtszeit in die Höhe geschossen sind und sich nach dem ersten Corona-Schock schnell wieder erholt haben. Seit seinem Amtsantritt im Januar 2017 ist der Dow-Jones-Index um fast 40 Prozent gestiegen und liegt heute mit rund 27.000 nicht weit von den 29.570 Punkten entfernt, die im Februar 2020 den bisherigen Höchststand markierten. Und der Tech-Index Nasdaq konnte sich unter Trump sogar verdoppeln.

Coronavirus USA New York Herstellung von Schutzausrüstung
Die Corona-Pandemie kam für US-Präsident Trump zu einem ungünstigen ZeitpunktBild: Getty Images/AFP/A. Weiss

Viele Ökonomen führen den Börsenboom jedoch weniger auf Trump als auf die US-Zentralbank Federal Reserve zurück. Die hatte in Reaktion auf die Finanzkrise schon unter Trumps Vorgänger Barack Obama die Zinsen gesenkt und durch eine lockere Geldpolitik Billionen an die Märkte gespült, während Aktienrückkäufe von Apple, Microsoft und Googles Muttergesellschaft Alphabet die Kurse zusätzlich anheizten. Normalbürger hätten von all dem aber nicht so stark profitiert wie große Konzerne, so das Argument.

"Vor der Pandemie hat die US-Wirtschaft bei Wachstum, Beschäftigungszuwachs und Inflation in etwa so abgeschnitten wie unter Obama", so Joel Prakken, Chefvolkswirt der Londoner Analysefirma IHS Markit. Auf die Frage, welche Erfolge das Verdienst Trumps sind, sagte er der DW: "Wenige, wenn überhaupt."

Steuersenkung für Reiche

Besonders stolz ist Donald Trump auf seine Steuerreform. Der Spitzensteuersatz für Unternehmen wurde 2017 deutlich von 35 auf 21 Prozent gesenkt; der für Privatpersonen sank von 39,6 auf 37 Prozent. Die Senkungen haben laut Prakken dazu beigetragen, den Aktienmarkt um fünf bis sieben Prozent anzukurbeln, aber auch zu einem "signifikanten Anstieg des US-Haushaltsdefizits mit möglichen negativen langfristigen Auswirkungen auf den US-Lebensstandard" geführt.

Mehr als 60 Prozent der Steuerersparnisse komme den oberen 20 Prozent der wohlhabenden US-Amerikaner zu gute, analysierte das überparteiliche Tax Policy Center kurz nach Inkrafttreten der Steuerreform. Ökonomen wiesen zudem darauf hin, dass die Belebung von Konsum und Investitionen nur von kurzer Dauer sei und dass Bürger mit geringen Einkommen kaum profitierten. Trotzdem hat Trump versprochen, die befristeten Steuersenkungen im Fall seiner Wiederwahl dauerhaft zu machen und auch die Lohnsteuer zu senken.

"Freie und faire" Handelsabkommen

Immer wieder hat Trump seine America-First-Haltung betont, gerade in Handelsfragen. Dazu gehören für ihn auch die Zölle auf einen Großteil der chinesischen Produkte, denn China habe im Handel mit den USA inzwischen einen unfairen Vorteil erlangt. Trump sagt, seine Politik habe multinationale Konzerne dazu gebracht, Arbeitsplätze zurück in die USA zu verlagern, und außerdem andere Länder gezwungen, ihre Märkte für US-Firmen zu öffnen.

"Die Zölle gegen China haben dem verarbeitenden Gewerbe nicht viel geholfen", sagt IHS-MarkitExperte Prakken, "die Einkommen der Landwirte haben sich dadurch sogar verringert." Tausende Farmer seien bankrott gegangen, weil China die Einfuhr von Agrarerzeugnissen aus den USA beschränkte, so Prakken, während sich die ausländischen Direktinvestition in den USA kaum verändert hätten.

In Juli ist "NAFTA 2.0" in Kraft getreten, die aktualisierte Fassung des 25 Jahre alten nordamerikanischen Freihandelsabkommens zwischen den USA, Kanada und Mexiko. Trump hatte versprochen, dadurch würden in den USA 180.000 neue Arbeitsplätze entstehen. Allerdings enthält das Abkommen keine Bestimmungen, mit denen sich die Verlagerungen von US-Arbeitsplätzen ins Billiglohnland Mexiko verhindern ließen. US-Autohersteller sind weiterhin dabei, Werke nach Mexiko zu verlagern.

Corona und der Wahltermin

Die Wahlforschung zeigt, dass die wirtschaftliche Entwicklung kurz vor der Wahl entscheidend sein kann, sagt Prakken. "Die meisten Modelle gehen davon aus, dass niedrige Arbeitslosigkeit und Einkommenssteigerungen in den sechs bis neun Monaten vor der Wahl einen besonders großen Einfluss haben." Nach dem Corona-Lockdown im Frühjahr, bei dem zwischenzeitlich 40 Millionen Menschen ihre Arbeit verloren hatten, hatte Trump auf eine schnelle Erholung der US-Wirtschaft gehofft. Und in der Tat zeigten viele Konjunkturindikatoren im Sommer wieder nach oben.

Inzwischen aber steigen die Infektionszahlen auf neue Rekordwerte, in dieser Woche gab es erstmals 70.000 neue Fälle innerhalb von 24 Stunden. All das gefährdet die leichte Erholung seit den Sommermonaten. Der Wahltermin Anfang November, also mitten in der nächsten Pandemiewelle, kommt für Trump zu früh.

Adaptiert aus dem Englischen von Andreas Becker