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Urteil im Tiergarten-Mord: Berlin unter Druck

Roman Goncharenko | Vladimir Esipov
15. Dezember 2021

Was bedeutet das Urteil im Prozess um den Mord an einem Exil-Tschetschenen für die ohnehin schon angespannten deutsch-russischen Beziehungen? Einige Parteien haben schon früher für schärfere Maßnahmen plädiert.

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Deutschland | Tiergartenmord Prozess
Tiergarten-Mord: Verhandlung im Gerichtssaal des Berliner KammergerichtsBild: Christophe Gateau/dpa/picture alliance

Werden wieder russische Diplomaten aus Deutschland ausgewiesen? Die Antwort auf diese Frage kam wenige Stunden nach dem Urteil im brisanten Tiergarten-Mord-Prozess. Die Bundesaußenministerin Annalena Baerbock verkündete am Mittwoch die Ausweisung von zwei russischen Diplomaten. Das Außenministerium in Moskau kritisierte das als eine  "unfreundliche Handlung" und versprach eine schnelle Reaktion. Das Berliner Kammergericht hat am Vormittag den Angeklagten, den 56-jährigen Russen Vadim Krasikov, schuldig gesprochen und zu einer lebenslangen Haft verurteilt.

Die Richter teilten die Ansicht der Bundesanwaltschaft, dass der Mord an einem Exil-Tschetschenen im August 2019 im Auftrag russischen "einer staatlichen Stelle" verübt wurde. Der Vorsitzende Richter sprach von "Staatsterrorismus". Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig, eine Revision ist möglich. 

Ein russischer Auftragskiller auf der Anklagebank

Vor mehr als zwei Jahren, am 23. August 2019 um 12 Uhr, wurde der georgische Staatsbürger tschetschenischer Herkunft Zelimkhan Khangoshvili im Kleinen Tiergarten in Berliner Stadtteil Moabit am helllichten Tag erschossen. Khangoshvili hatte im Zweiten Tschetschenien-Krieg auf der Seite der Aufständischen gegen Russland gekämpft. Er war in Russland per Haftbefehl gesucht worden und nur knapp einem Mordanschlag in der georgischen Hauptstadt Tiflis entgangen. Anschließend war er über die Ukraine und Polen nach Deutschland geflüchtet und lebte in Berlin als Tornike K.

Polizisten am Tatort, 23. August 2019
Polizisten am Tatort, 23. August 2019 Bild: Christoph Soeder/dpa/picture-alliance

Noch am selben Tag nahm die Berliner Polizei den Hauptverdächtigen fest, einen Russen, der sich als Vadim S. ausgab. Doch schnell tauchte der Verdacht auf, dass es nicht seine wahre Identität sein könnte. Rechercheure der britischen Enthüllungsplattform Bellingcat konnten zusammen mit russischen und deutschen Kollegen herausfinden, dass es sich stattdessen um Vadim Krasikov handelt, der diverse Verbindungen zu russischen Geheimdiensten hatte. Ein Bellingcat-Mitarbeiter sagte im Prozess als Kronzeuge aus. Im Herbst hat ein weiterer wichtiger Zeuge, ein Verwandter aus der Ukraine, Vadim Krasikov identifiziert.

Wie reagiert die neue Bundesregierung?

Wenige Monate nach der Tat, im Dezember 2019, wies die damalige Bundesregierung zwei russische Diplomaten aus. Die Begründung: Moskau habe zu wenig bei Ermittlungen geholfen. Weitere Maßnahmen wollte sich Berlin nach der Urteilsverkündung überlegen. Nun muss sich die neue Bundesregierung mit Konsequenzen nach dem Urteil beschäftigen.

"Es ist jetzt die Aufgabe der Bundesregierung, darüber zu entscheiden, wie darauf in angemessener Form zu reagieren ist", zitiert t-online den SPD-Außenpolitiker Nils Schmid. "Dazu gehört, dass gegenüber der russischen Führung deutlich gemacht werden muss, dass sich Vergleichbares auf keinen Fall wiederholen darf."

Omid Nouripour
Omid Nouripour (Archiv)Bild: picture-alliance/dpa/J. Carstensen

Als Grüne und FDP noch in der Opposition waren, kritisierten ihre Vertreter die Proteste Berlins als zu verhalten. "Die Bundesregierung hat dem Fall nicht die Aufmerksamkeit geschenkt, die er gebraucht hätte", meinte der grüne außenpolitische Sprecher Omid Nouripour, der sich nun um Parteivorsitz bewirbt. "Wahrscheinlich aus Angst, dass das Verhältnis zu Moskau sich weiter verschlechtert."

Die FDP forderte schärfere Maßnahmen für den Fall, dass vor Gericht bewiesen würde, russische Sicherheitsdienste wären in den Anschlag involviert. "Der Mord in Berlin hat für weitere Irritationen gesorgt, weil eine breitere Öffentlichkeit erfahren hat, mit welcher Skrupellosigkeit der russische Staat im Ausland gegen ihm missliebige Personen vorgeht", so der damalige innenpolitische Sprecher der FDP-Fraktion, Konstantin Kuhle, gegenüber der DW.

Weitere Belastung für deutsch-russische Beziehungen

Das Urteil dürfte die seit Jahren angespannten deutsch-russischen Beziehungen weiter belasten und Moskau könnte bei den Diplomatenausweisungen - wie bereits zuvor - spiegelbildlich reagieren.

Stefan Meister
Stefan MeisterBild: DGAP/D. Enters

Dabei steht die neue Bundesregierung ohnehin vor einer neuen Belastungsprobe im Verhältnis zu Moskau. In seiner ersten Regierungserklärung im Bundestag am Mittwoch warnte der Bundeskanzler Olaf Scholz Russland vor Konsequenzen, sollte es erneut die territoriale Integrität der Ukraine verletzen. Westliche Staaten sind seit Wochen besorgt über den russischen Truppenaufmarsch an der Grenze zu Ukraine. Gleichzeitig signalisierte Scholz Berlins Bereitschaft zu einem "konstruktiven Dialog" mit Moskau.

In einer ersten Reaktion nannte der russische Botschafter in Berlin, Sergej Netschajew, das Urteil "politisch motiviert". Er sprach von einer weiteren Belastung für das Verhältnis zwischen Moskau und Berlin. Experten wie Stefan Meister von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) gehen davon aus, dass das Urteil im Tiergarten-Mord-Prozess keine dramatische Verschlechterung der Beziehungen mit sich bringen würde. Sie seien inzwischen auf einem solchen Tiefpunkt angelangt, an dem eine weitere Verschlechterung kaum möglich sei.