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Unango: Attentat auf die DDR-Entwicklungshilfe

Johannes Beck
6. Dezember 2020

Mosambik war Hauptempfänger der ostdeutschen Entwicklungshilfe, die dort eines der größten Agrarprojekte Afrikas plante. Ein Anschlag am 6. Dezember 1984 zerstörte jäh die Träume von einer sozialistischen Landwirtschaft.

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Niassa in Mosambik
Unango in der Provinz Niassa im Norden MosambiksBild: DW/G. Sousa

Als sozialistisches "Bruderland" war Mosambik einer der größten Empfänger von Entwicklungshilfe der Deutschen Demokratischen Republik (DDR). Die ostdeutsche Regierung hatte dort Anfang der 1980er Jahre eines der größten Agrarprojekte Afrikas begonnen, um in Mosambik die Landwirtschaft zu modernisieren. Geplant waren Projekte mit 120.000 Hektar an verschiedensten Standorten im gesamten Land. Doch dann brachte ein Anschlag im Ort Unango das ganze Projekt ins Wanken.

Es war der folgenschwerste Anschlag auf DDR-Entwicklungshelfer in Mosambik. Insgesamt starben acht DDR-Bürger, ein jugoslawischer Entwicklungshelfer und fünf Mosambikaner. Bis heute ist unklar, wer den bewaffneten Anschlag verübt hat. 

Manfred Grunewald war für die DDR als landwirtschaftlicher Experte für das Projekt nach Unango entsandt worden. Er selbst war zu dem Zeitpunkt des Anschlags in der mosambikanischen Hauptstadt Maputo und wollte gerade am Flughafen in die Heimat fliegen, als ihn die Nachricht vom Angriff auf seine Kollegen erreichte.

DW: Was genau ist an dem Morgen im Dezember passiert, als diese Kolonne von DDR-Experten begleitet durch die mosambikanische Armee von Lichinga, dem Wohnort, in Richtung Unango, dem Produktionsort, gefahren ist?

Manfred Grunewald: Man kann so viel sagen, dass wir in den drei Monaten davor bei unseren Fahrten in den Landwirtschafts-Produktionsstandort Bewachung hatten, weil sich im Gegensatz zu früher auf einmal im Norden auch RENAMO-Leute [Rebellenbewegung Nationaler Widerstand Mosambiks] gezeigt hatten, die gegen die Bevölkerung vorgegangen sind. Denn die RENAMO hat keine strategischen bedeutenden militärischen Ziele angegriffen, sondern sie haben die Bevölkerung sehr stark attackiert und oftmals ganze Dörfer geräumt.

Manfred Grunewald
Manfred Grunewald während des Interviews in MagdeburgBild: Johannes Beck/DW

Ist also von den Bewachern niemand zu Schaden gekommen, sind nur die DDR-Experten ums Leben gekommen?

Nein, an Ort und Stelle sind sieben Deutsche getötet worden, zwei weitere verletzt beziehungsweise schwer verletzt. Außerdem starben ein jugoslawischer Mitarbeiter und fünf Mosambikaner, darunter zwei Bewacher. Es ist nicht so, dass die Bewacher verschwunden sind und gar nicht geschossen haben. Im Gegenteil. Sie sind also auch getötet worden, weil sie Widerstand leisteten.

 

Haben die beiden Verletzten überlebt?

Der Schwerverletzte wurde mit einem kleinen Flugzeug nach Maputo gebracht und wurde dort noch operiert. Er ist zehn Tage später an seinen Verletzungen gestorben; man vermutet ein Dum-Dum-Geschoss [Deformationsgeschoss; verformt oder zerlegt sich bei Eintritt ins Körpergewebe]. Das heißt, es wurden auch Geschosse eingesetzt, die heute verpönt sind und die auch damals schon nicht mehr zulässig waren in der Kriegführung. Der andere Verletzte hatte einen Bein-Durchschuss. Er ist mit uns nach Hause gereist und hat überlebt. Das Problem ist, dass fast alle auch traumatische Folgen erlebt haben. 

Wenn ich das richtig sehe, waren es dann acht DDR-Experten, die ums Leben kamen, ein jugoslawischer Experte und fünf Mosambikaner. Das finde ich interessant, da die anderen Toten ganz selten überhaupt in den Berichten hier in Deutschland erwähnt werden. Was ist in den Folgetagen passiert?

Wir befürchten, dass es mehr Tote gab, aber wir sind nicht dahintergekommen, wer da noch dazuzählt. Und die Mosambikaner haben uns dazu keine weitere Zuarbeit leisten können.

Diese plötzliche terroristische Attacke, die zum Tod so vieler Leute geführt hat, hat auch dazu geführt, dass dieses Projekt in ganz Mosambik über Nacht eingestellt werden musste und das komplette Personal aus der DDR zurückgezogen wurde. Es waren Heckenschützen am Werk, die nicht einmal zugelassen haben, dass man die Maschinen und verschiedene andere Arbeitsgrundlagen dort wegholen konnte

Gab es nach der Rückkehr einen Moment, wo Ihnen und auch den hinterbliebenen Angehörigen Hilfe angeboten wurde, um die Traumata zu bewältigen?

Soweit ich weiß, haben die Ehefrauen der Toten Krankschreibungen bekommen. Die Trauerfeiern wurden großzügig ausgestattet, auch die Trauer-Anzeigen in den örtlichen Zeitungen waren erlaubt und wurden auch bezahlt. Es gab auch die normale Waisen-Rente für die Kinder und die Witwen-Rente, soweit das in den DDR-Gesetzlichkeiten gegeben war, aber eine besondere Unterstützung hat es weder vor der Wende noch nach der Wende gegeben.

"Die Kinder wollen wissen, was ist damals passiert"

Angebote zur Traumabewältigung hat es keine gegeben. Im Gegenteil, es wurde ja nicht einmal ermittelt. Es ist also zu keiner Zeit von staatlicher Seite, weder von der DDR noch von der Bundesrepublik, von staatlicher Seite, von einem Staatsanwalt et cetera etwas unternommen worden, um dieses Massaker, diesen terroristischen Angriff mal aufzuklären. Am meisten hat mich dabei eigentlich enttäuscht, dass die Gesellschaft von dem, was da passiert ist, wenig oder gar nichts aufgenommen hat. 

Wünschen Sie sich immer noch, dass der Anschlag bei Unango aufgeklärt wird?

Erstens wünsche ich mir, dass die deutsche Seite nicht nur formaljuristisch mit Paragraphen vorgeht, sondern auch mal überlegt, wie kann man mit Öffentlichkeitsarbeit nochmal die Leistungen der damaligen Experten würdigen. Zweitens, kann man noch was unternehmen, damit dieses Dilemma aufgeklärt wird. Wer hat dahintergesteckt, dass unsere Gruppe so attackiert wurde und ihren Einsatz für eine gute Sache mit dem Leben bezahlt hat?

Es gibt unter unserer Gruppe übrigens niemanden, der gegenüber dem Volk der Mosambikaner Hass oder Abneigung empfindet. Im Gegenteil, wir wissen es waren Elemente, die eine Entwicklung stören wollten. Und wenn immer nur Krieg und Terror herrscht, dann kann sich die Menschheit nicht normal fortentwickeln. Das wäre eine Möglichkeit gewesen: Dort in Niassa, egal ob Sozialismus oder Kapitalismus, hätte man genügend Nahrungsgüter erzeugen können, auch für den Markt. Wir hatten schon zwei Läden errichtet, in denen wir Gemüse und Holzkohle verkauft haben.

Dort war wirklich was in Gang gekommen und das hätte man nicht zerstören dürfen. Das ist das, was ich den mosambikanischen Elementen vorwerfe, die das zerstört haben. Vor zehn Jahren gab es einen Film des [deutschen öffentlich-rechtlichen Senders] MDR, da waren wir beteiligt. Da sagt ein RENAMO-Vertreter von Lichinga: "Im Kontext eines Krieges passiert viel. Aber diesen Überfall haben wir nicht gemacht."

Mosambik kann sich nicht auf die Position zurückziehen und kann sagen, wir haben Amnestie. Wir ermitteln nichts mehr. Wir haben das Recht, dass auch unsere Rechte dort in Mosambik weiter untersucht werden, auch wenn diese Menschen schon lange tot sind. Die Kinder sind inzwischen erwachsen. Die Toten haben inzwischen Enkelkinder. Die wollen wissen, was ist damals passiert!

Das Interview führte Johannes Beck.