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Migranten im Wahlkampf

21. September 2009

Jeder fünfte Einwohner Deutschlands hat einen Migrationshintergrund. Die Zahl derjenigen mit deutschem Pass wächst. Viele gehen zur Wahl - doch manche sind enttäuscht und fühlen sich trotz Werbung missachtet.

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Ahmet Yazici mit Tochter Emine Eker auf der Couch (Foto: DW)
Ahmet Yazici mit Tochter Emine EkerBild: DW / Cizmecioglu

Das Wohnzimmer der Familie Yazici in Berlin-Kreuzberg ist rappelvoll. Jeden Samstag ist Familientreffen. Während Ahmet Yazici und seine Frau auf den wuchtigen Polstermöbeln sitzen, schwirren etliche Enkelkinder um sie herum. Die Töchter servieren zuckersüßen Baklava zum traditionellen Tee, die Schwiegersöhne berichten gestenreich vom letzten Türkei-Urlaub.

Im Hintergrund läuft einer von mehr als 100 türkischen Fernsehkanälen, Folklore von der Schwarzmeerküste. 1969 kam Ahmet Yazici von dort nach Deutschland. Er arbeitete jahrzehntelang bei Siemens am Fließband, sieben seiner acht Kinder sind in Berlin geboren. Der 63-Jährige mit dem graumelierten Bart ist inzwischen Rentner - und hat seit 1999 den deutschen Pass. Wählen gegangen ist Ahmet erst einmal.

Merkel und Steinmeier - wegzappen!

Die gesamte Familie Yazici (Foto: DW)
Die gesamte Familie YaziciBild: DW / Cizmecioglu

"Ich habe meine Stimme immer der SPD gegeben, vor allem weil sie sich für die doppelte Staatsbürgerschaft einsetzen wollte", sagt Ahmet. "Doch am Ende passierte nichts. Ich fühle mich nicht ernst genommen von deutschen Politikern. Deswegen werde ich dieses Mal nicht wählen gehen."

Ahmet ist ein stolzer Mann. Das hektische Rühren in seinem Tee lässt nur vermuten, wie enttäuscht er von der deutschen Politik ist. Die unzähligen Wahlplakate vor seiner Haustür beachtet er inzwischen kaum noch. Sein Deutsch ist gebrochen. Die türkische Politik verfolgt er jeden Abend am Fernseher, bei Merkel und Steinmeier zappt er weg.

Mit oder ohne deutschen Pass

"Man hat versäumt, die erste Gastarbeitergeneration politisch einzubinden", wirft Emine Eker ein. Die 33-Jährige ist eine der Töchter von Ahmet - eine energische junge Frau mit stahlblauen Augen. "Ich bin hier in Berlin geboren und hatte bis 1996 einen türkischen Pass", sagt sie. Um der politischen Selbstbestimmung willen gab sie diesen vor 13 Jahren schweren Herzens ab und ließ sich einbürgern.

Deutscher und türkischer Pass (Foto: DPA)
Migranten können sich einbürgern lassenBild: picture-alliance / dpa

"Mir ist mein Wahlrecht sehr wichtig. Aber selbst mit einem deutschen Pass, wird man nicht automatisch wie eine Deutsche behandelt", erzählt Emine und zupft an ihrem mit Spitze besetzten Kopftuch. Ein süffisantes Lächeln huscht über ihr Gesicht. Sie ist Mutter zweier Kinder, gelernte Schneiderin und gläubige Muslima. Sie möchte eine Politik, die ihre Religion, den Islam, nicht ausschließt - egal ob auf einer Behörde oder im Klassenzimmer.

Gesicht statt Partei

Zwei Mal ist Emine bereits wählen gegangen. Auch Ende September wird sie ihre Stimme abgeben. "Entscheidend ist für mich nicht die Partei, sondern der Politiker. Ich muss ihm vertrauen können. Ob er einen Migrationshintergrund hat oder nicht, ist mir dabei völlig egal."

So ähnlich denkt auch Yavuz Akgül. Der 37-Jährige sitzt am ganz anderen Ende Berlins, in einem kleinen Büro und tüftelt mit Kollegen an einem EDV-Problem. Der groß gewachsene Mann mit den dunklen Locken ist in Deutschland geboren und Besitzer eines mittelständischen Computerunternehmens. "Meine Eltern sind Gastarbeiter aus der Türkei, ich dagegen ein Berliner Junge. Als ich 17 war, hab ich die deutsche Staatsangehörigkeit angenommen."

Keine Extrawurst

Ab und an, während der kurzen Kaffeepausen ruft Yavuz die Internetseiten der großen Volksparteien auf und informiert sich über die politischen Streitpunkte wie Arbeitspolitik und Bildungsoffensive. Der studierte Informatiker nimmt sein Wahlrecht ziemlich ernst. Dass Parteien wie die SPD sich von Ethnomarketing-Agenturen beraten lassen und die Grünen Flyer auf Türkisch oder Russisch drucken, empfindet er nicht als Entgegenkommen, sondern als Ausgrenzung. "Ich lebe in diesem Land, fühle mich deutsch, spreche die Sprache. Warum muss man mich anders ansprechen?", sagt er mit leicht erhöhter Stimme. "Ich will genauso behandelt werden, wie jeder andere deutsche Wähler auch." Solche Aktionen würden nur die Unterschiede betonen, und nicht das Gemeinsame.

Doch Yavuz weiß auch, dass es nicht den einen typischen Wähler mit Migrationshintergrund gibt. Sondern dass die Bandbreite vom gut informierten Akademiker bis zum Rentner mit gebrochenem Deutsch reicht. Sie alle politisch zu erreichen, das sei ein Vabanquespiel. "Doch was sie verbindet, ist der Wunsch nach politischem Respekt", glaubt Yavuz. Das hätten sie mit den meisten anderen Wählern in Deutschland gemeinsam - ob sie nun Müller oder Türkoglu heißen.

Autorin: Aygül Cizmecioglu

Redaktion: Kay-Alexander Scholz