Umweltschutz per Gerichtsbeschluss
3. September 2019Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) fordert, dass der bayerische Ministerpräsident Markus Söder und hohe Beamte in Zwangshaft genommen werden, weil sie einem Umweltschutz-Urteil nicht nachkommen. Nach einer DUH-Klage hatte das Verwaltungsgericht München im Jahr 2012 bestimmt, dass Bayern einen Luftreinhalteplan aufstellen muss. Auf bestimmten, besonders belasteten Straßen sollten auch Fahrverbote für Diesel-Autos gelten. Die Umsetzung des Urteils lehnt Bayern ab.
Die bayerische Landesregierung hatte danach zwar Zwangsgelder in Höhe von 10.000 Euro zahlen müssen. Allerdings stößt das Prinzip der Geldstrafe an seine Grenze, weil die Summe für den Freistaat verschwindend gering ist – und er die Zahlungen darüber hinaus ohnehin an sich selbst leistet. Nun prüft der Europäische Gerichtshof, ob eine Zwangshaft gegen hochrangige Politiker anzuwenden ist. Das Urteil wird in einigen Monaten erwartet.
Deutsche Welle: Wie kann das sein, dass die Politik rechtskräftige Urteile ignoriert?
Michael Zschiesche: Normalerweise ist es in Deutschland so, dass nach einem Gerichtsurteil die entsprechende Behörde die Beschlüsse der Gerichte nach einem Gerichtsurteil umsetzen. Das ist Sinn und Zweck eines Rechtsstaats und unserer gesamten Rechtsordnung.
Aber im Fall von München funktioniert das offensichtlich nicht. Auch hat die Anordnung von Zwangsgeldern nichts bewirkt. Und jetzt sieht die Deutsche Umwelthilfe als einzige Möglichkeit, einen Schritt zu gehen, der in Deutschland relativ selten beschritten wird. Beugehaft zu fordern, um den Druck auf die Durchsetzung des Gerichtsurteils von 2012 zu erhöhen.
Nun prüft der Europäische Gerichtshof (EuGH), ob eine Zwangshaft von verantwortlichen Amtsträgern zulässig ist. Welche Entscheidung wird das Gericht Ihrer Meinung nach treffen?
Das ist zum jetzigen Zeitpunkt spekulativ. Ich denke, dass der EuGH immer Interesse hat, europäisches Umweltrecht auch wirksam durchzusetzen. Insofern kann er nur Interesse daran haben, dass auch in Deutschland dieses Recht befolgt wird. Ob dies bei der Entscheidung entsprechend scharf formuliert wird oder mit einer abstrakten Regelung der Durchsetzung des EU-Rechts Genüge getan wird, da will ich nicht spekulieren.
Die Umweltverbände klagen, auch in anderen Ländern wie den Niederlanden oder Großbritannien. Sie klagen für saubere Luft, sauberes Wasser, die Einhaltung von Grenzwerten, gegen Kraftwerke und erzielen juristische Erfolge. Umweltschutz mit Hilfe von Urteilen, ist das ein neuer Trend der Umweltbewegung?
Ich sehe das als eine Erweiterung des Aktionsspektrums. Der Klageweg spielte bislang keine große Rolle. Doch in den letzten fünf bis acht Jahren nehmen Klagen zu; und zwar nicht nur in Westeuropa wie den Niederlanden, sondern auch in Mittel- und Osteuropa, wie zum Beispiel in der Slowakei oder Tschechien. Dies zeigt die Reife und die gewachsene Stärke von Umweltvereinigungen.
Nun klagen betroffene Personen zusammen und Umweltverbände sogar gegen die Bundesregierung. Ihr Vorwurf: Deutschland tut nicht genug gegen den Klimawandel. Im Oktober wird das Berliner Verwaltungsgericht über diese Klage verhandeln und beim Bundesverfassungsgericht wurde eine Klage angenommen. Wie bewerten Sie dieses Verfahren?
Neben den traditionellen Verbandsklagen gibt es inzwischen auch Verfahren, die das Nichthandeln von Regierungsstellen juristisch überprüfen lassen wollen. Das ist tatsächlich etwas Neues.
Und speziell die Annahme dieser Klagen zeigt, dass hier Gerichte zum Ort gesellschaftlicher Auseinandersetzungen werden. Es werden Debatten geführt, die in der Öffentlichkeit oder auch im Parlament nicht mit der notwendigen Ernsthaftigkeit geführt werden.
Mehr dazu: Deutsche Klimaklage: Letzte Instanz für den Klimaschutz?
Es gibt auch zunehmend Klagen gegen Konzerne. Sie sollen für die Schäden haften, die sie anrichten. Wie bewerten Sie diese Klagen?
Diese Klagen von Umweltorganisationen gibt es in erster Linie in den USA und nicht so sehr in Deutschland. Das sind vor allem Klagen gegen die großen Ölkonzerne. Dort geht es ganz konkret darum, gerichtlich nachzuweisen, dass die Ölkonzerne wie Exxon zur Klimaerwärmung beigetragen haben, dies schon lange wussten und billigend in Kauf genommen haben. Hierfür soll Schadenersatz gezahlt werden, um u.a. Klimaschutzmaßnahmen finanzieren zu können.
Sie beobachten die verschiedenen juristischen Auseinandersetzungen. Was bewirken diese in der Gesellschaft?
Hier ist es noch zu früh für ein abschließendes Urteil. Was man derzeit sagen kann ist, dass mit den Klagen öffentliche Debatten über notwendige Veränderungen zum Beispiel zum Thema Klimaschutz wirksam unterstützt werden. Die Auseinandersetzung im Gericht ist, das sollte man sich immer bewusst machen, eine zivilisierte und sachliche Form der Auseinandersetzung. Es ist die traditionelle Form, wie Konflikte und Streitigkeiten seit Jahrhunderten nach transparenten Regeln ausgetragen werden. Entsprechend hoch ist die Legitimation von Gerichtsentscheidungen.
Dr. Michael Zschiesche ist Vorstandssprecher und geschäftsführende Vorstand des Unabhängigen Instituts für Umweltfragen (UfU). Seine Fachthemen sind Umweltrecht und Partizipation.
Das Interview führte Gero Rueter.