Serbischer Ultranationalist Šešelj soll ins Gefängnis
2. April 2015Er ist alt, krank und wirkt ein bisschen wie aus der Zeit gefallen. Seine Serbische radikale Partei ist längst unter die Wahrnehmungsschwelle der Bevölkerung gerutscht. Doch der großserbische Ideologe Vojislav Šešelj sorgt noch heute für Wirbel in der Region. Sei es, wenn er die kroatische Flagge vor laufenden Kameras verbrennt, den Einmarsch der serbischen Armee ins Kosovo prophezeit oder die Belgrader Machthaber als "prowestliche Verräter" verteufelt. Es ist nicht einmal fünf Monate her, dass der wegen Kriegsverbrechen angeklagte Šešelj auf Grund seiner Krebserkrankung aus der Haft in Den Haag vorübergehend entlassen wurde. Obwohl die Freilassung damals ohne Auflagen erfolgte, will nun der Berufungssenat des UN-Tribunals für das ehemalige Jugoslawien Šešelj wieder hinter Gitter bringen - wegen seiner Hasstiraden, die angeblich Zeugen einschüchtern könnten. Und nicht zuletzt wegen heftiger Proteste der kroatischen Regierung.
Schleppender Prozess
Anders als 2003, als Šešelj sich dem Tribunal freiwillig stellte um dieses "antiserbische und völkerrechtswidrige Gericht zu besiegen", wie er es damals formulierte, möchte der Ultranationalist dieses Mal nicht in seine Zelle zurückkehren. Er sei mit dem Tribunal fertig, so der 60-Jährige. Die Ankläger legten Šešelj damals zur Last, als Befehlshaber mehrerer paramilitärischer Einheiten für etliche Kriegsverbrechen gegen die kroatische und bosnische Bevölkerung verantwortlich zu sein. Außerdem habe er während des Krieges, der das ehemalige sozialistische Jugoslawien auseinanderbrechen ließ, mit seinen Brandreden Hass geschürt und zu Verbrechen aufgerufen. Der Juraprofessor Šešelj verteidigte sich selbst vor dem Tribunal in Den Haag - und das in seiner Wahrnehmung sehr erfolgreich. In der Haager Untersuchungshaft saß Šešelj fast zwölf Jahre lang - ohne einen Urteil.
"Die Menschenrechte des Angeklagten werden schwer verletzt. Eine so lange Inhaftierung ohne Urteil ist beispiellos in diesem Teil der Welt", sagt Dragan Popović, Leiter des Belgrader Zentrums für praktische Politik. Es gebe keine Gründe, mit der Urteilsverkündung weiter zu zögern. Schließlich sei der Prozess vor vier Jahren beendet worden, so Popović im DW-Gespräch. Es sind längst nicht nur serbische Beobachter, die das zähe Verfahren des Internationalen Gerichtshofs im Fall Šešelj kritisieren. Auch Florence Hartmann, frühere Beraterin der Haager Staatsanwaltschaft, bezeichnete die Vorgehensweise des Gerichts als "bedauernswert". "Das Tribunal ist für diesen Zirkus verantwortlich und missachtet damit auch die Opfer", sagte sie dem serbischen Sender B92.
Verschwörungstheorien blühen auf
Nun liegt der Ball allerdings beim serbischen Premier Aleksandar Vučić. Der einstige politische Ziehsohn von Šešelj gründete vor sieben Jahren die proeuropäische Fortschrittspartei, die aktuell über eine absolute Mehrheit im Parlament verfügt. Eine Verhaftung Šešeljs dürfte für Vučić unangenehm sein. Denn diese könnte in der Bevölkerung als "unpatriotisch" aufgefasst werden. Die möglichen Folgen einer Auslieferung Šešeljs, so vermuten einige Analytiker, könnten heftige gewalttätige Proteste des rechten Lagers sein. Deswegen erklärte der Regierungschef, die Behörden würden Šešelj nicht "überrumpelt" festnehmen. Hinter der jüngsten Entscheidung des Tribunals sieht Vučić selbst eine gegen ihn gerichtete Verschwörung. Die Aussagen des Premiers wertet Dragan Popović als "billige Propaganda" und Ablenkung. Seine Schlussfolgerung: "Die Polizei wird Šešelj verhaften müssen, das ist die Pflicht Serbiens."
Auch Šešelj hat seine eigene Theorie. Die serbische Regierung stehe hinter der neuesten Entwicklung. Denn seine Radikale Partei, die nicht einmal im Parlament vertreten ist, liege derzeit in Umfragen mit 20 Prozent ziemlich weit vorne, behauptet Šešelj. Wo er solche Zahlen aber her hat, weiß außer ihm keiner. Laut repräsentativen Umfragen kommt seine Partei auf höchstens fünf Prozent. Die nationalistischen Ideen fänden heute in Serbien keinen fruchtbaren Boden mehr, sagt der politische Beobachter Slobodan Stupar gegenüber der DW. "Auch Šešelj hat keine politische Logistik mehr wie früher. Nach vielen politischen und militärischen Niederlagen in den Neunzigern ist der Traum eines nationalistischen Serbiens wie eine Seifenblase geplatzt."
Eine letzte Möglichkeit in Serbien freigesprochen zu werden - nämlich aus "humanitären Gründen" - ließ Šešelj sich genüsslich entgehen. Seinen Ärzten habe er verboten, das Tribunal oder die serbische Regierung über seinen Gesundheitszustand zu informieren. Für den Fall, dass die Polizei an seine Tür klopfen sollte, sei er zum "passiven Widerstand" bereit, sagte Šešelj Journalisten. Wie er sich das vorstellt? Er werde einfach sitzen bleiben.