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Ukrainer in den USA: "Leute, helft uns!"

Gero Schließ, Washington24. Januar 2014

Regierung und Medien in den USA beschäftigen die Massenproteste in Kiew. Seit die Gewalt eskaliert, meldet sich verstärkt die ukrainische Diaspora zu Wort. Sie fordert ein stärkeres Engagement des Westens.

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Demonstrierende Ukrainer vor dem State Departement (Foto: DW)
Bild: DW/G. Schließ

Sergey Pershoguba und Dmytro Kashyu sagen es mit großer Dringlichkeit: "Leute, helft uns! Die amerikanischen und europäischen Regierungen müssen schnell handeln." Gemeinsam mit mehr als 40 Gleichgesinnten demonstrieren die beiden jungen Männer in eisiger Kälte vor dem State Department in Washington. Fast alle sind gebürtige Ukrainer, die heute in den USA leben. Manche tragen die ukrainischen Nationalfarben blau und gelb an ihrer Kleidung. Die Verzweiflung steht vielen von ihnen ins Gesicht geschrieben. Seit auf dem Maidan-Platz in Kiew die Gewalt eskaliert ist und Demonstranten durch Polizeigewalt ums Leben kommen, hält sie nichts mehr zu Hause oder am Arbeitsplatz.

Demonstration vor Kerrys Amtssitz

Am Tag zuvor noch demonstrierten sie vor der Deutschen Botschaft und überreichten eine Petition. Jetzt stehen sie am Amtssitz des amerikanischen Außenministers John Kerry.

"Zu langsam, zu spät", liest man auf einem Plakat, das Anastasiia Rybytska zitternd in ihren Händen hält. Sie fürchtet, dass ihre Landsleute alleingelassen werden von der internationalen Gemeinschaft. Über Telefon und Facebook hat sie Kontakt zu den Demonstranten auf dem Maidan, die sich in einer fast aussichtlosen Lage befänden. "Sie betteln um Hilfe. Das ist ihre Hauptbotschaft. Zu Beginn war es die Botschaft: 'Wir wollen nach Europa.' Doch jetzt, nachdem die Polizei begonnen hat, Menschen zu töten, die Menschen auszieht und kaltes Wasser über sie gießt und Sachen macht, die ich noch nicht einmal beschreiben möchte: Jetzt ist die Botschaft die inständige Bitte um Hilfe." Die junge Biologin hat schlimmste Befürchtungen: "Wenn die internationale Gemeinschaft jetzt nicht sofort ihren Einfluss ausübt, wird das wieder ein ganz schwarzer Fleck in der Geschichte sein."

Protestplakat (Foto: DW)
"Zu langsam, zu spät"Bild: DW/G. Schließ

Anastasiia Rybytska ist in die USA ausgewandert auf der Suche nach Arbeit und einem besseren Leben. Das war vor fünf Monaten, also noch vor dem Beginn der Massenproteste. Bis zu 1,5 Millionen gebürtige Ukrainer leben nach letzten Schätzungen in den USA, vor allem im Nordosten des Landes und in der Gegend um Chicago. Sie sind in den letzten 150 Jahren in verschiedenen Einwanderungswellen in die USA gekommen.

Wie in einer Grassrootsbewegung, erzählt Ira Payosova, habe man sich jetzt angesichts der Extremsituation in der Heimat vernetzt und zusammengefunden. Die zierliche Studentin lebt seit fünf Jahren in den USA. Sie war erschüttert, als sie von der Entführung eines jungen Journalisten erfuhr, mit dem sie sechs Jahre zusammen studiert hatte. "Ich bin in Kontakt mit vielen Leuten, meinen Freunden aus der Universitätszeit und der Schule", erzählt Ira Payosova. "Sie glauben nicht, dass sie erfolgreich sein können ohne die Hilfe des Westens. Und sie wollen, dass die Gelder von allen Bankkonten der Familie des Präsidenten und seiner Unterstützer und Verbündeten eingefroren werden.“ Payosova ist sich sicher: "Die Ukrainer glauben, dass das die Gewalt stoppen wird und Janukowitsch gefügig macht."

Hanja Cherniak unterstützt diese Forderung: "Ich bin Amerikanerin mit ukrainischer Abstammung und ich möchte, dass unsere Regierung nicht nur Sanktionen verhängt, sondern auch das Geld einfriert, dass der sogenannte Präsident den Menschen in der Ukraine gestohlen hat." Die resolute Frau, die eine ukrainische Fahne um die Schultern trägt, bekommt Tränen in die Augen: "Ich will, dass sie alles ihr Mögliche tut, um das Töten, das Foltern und das sinnlose Verprügeln der jungen Leute zu stoppen, die ja nur frei sein wollen."

Demonstrantin Hanja Cherniak mit einem weiteren Demonstranten (Foto: DW)
Hanja Cherniak (l.)Bild: DW/G. Schließ

Solidarität mit den Demonstranten

Erst durch die Protestbewegung haben sich Hanja, Ira und Anastasiia kennengelernt. Anastasiia Rybytska spricht wohl für alle, wenn sie ihren Landsleuten auf dem Maidan und im ganzen Land uneingeschränkte Solidarität verspricht: "Wir Ukrainer im Ausland werden an eurer Seite stehen, bis zum Schluss. Wir werden euch unterstützen mit allem, was uns zu Verfügung steht."

Doch was kann man tausende Kilometer entfernt von der alten Heimat bewirken? Diese Frage treibt viele der Protestler um. "Von hier aus können wir an die europäischen Regierungen und die US-Regierung appellieren, Einfluss auszuüben und der ukrainischen Regierung zu verstehen zu geben, dass es auch für sie eine Bestrafung gibt", sagt Rybytska.

Ihr Landsmann Dmytro Kashyu sieht es als seine Aufgabe, mit Verwandten und Freunden in der Ukraine in engem Kontakt zu bleiben und ihnen das Gefühl zu geben, dass sie nicht allein sind. "Und wir versuchen, mit vielen Menschen in den USA zu reden und ihnen die Situation zu erklären und unsere Ansichten aufzuzeigen." Und wenn gar nichts hilft, bleibe noch das beten, sagt er ohne die Miene zu verziehen.

Demonstrierende Ukrainer vor dem State Departement (Foto: DW)
Ausharren vor dem State DepartementBild: DW/G. Schließ

Enttäuschung über Obama

Viele der Demonstranten sind enttäuscht von der US-Regierung und sehen in den öffentlichen Stellungnahmen von Außenminister Kerry oder Vizepräsident Biden nicht viel mehr als Lippenbekenntnisse. Selbst den jüngsten Sanktionsandrohungen durch Präsident Obama will man kaum Glauben schenken. "Es ist sehr frustrierend mit dieser Administration", sagt Hanja Cherniak. "Sie scheint extrem naiv zu sein. Außenpolitik gibt es kaum. Ich erwarte nicht viel, aber ich muss tun, was ich kann, um eine Art von Sieg für die Menschen aus dem Land meiner Eltern zu erringen."

Sergey Pershoguba und Dmytro Kashyu wollen sich nicht damit abfinden, dass sie weit weg in den USA in sicherer Entfernung demonstrieren, während zu Hause ihre Landsleute täglich ihr Leben riskieren: "Wir sollten so bald wie möglich nach Hause zurückkehren und auf den Maidan-Platz gehen und die Menschen dort unterstützen."