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Politik

Ukraine will Oligarchen die Stirn bieten

23. September 2021

Die Ukraine will den Einfluss von Oligarchen auf Politik und Medien im Land eindämmen. Ein entsprechendes Gesetz wurde im Parlament mit absoluter Mehrheit gebilligt.

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Ukraine I Parlamentspräsident Ruslan Stefantschuk während einer Parlamentssitzung in Kiew
Das Oligarchen-Gesetz wurde in einer turbulenten Parlamentssitzung verabschiedetBild: REUTERS

279 der 450 Abgeordneten stimmten für die Vorlage, die nun von Präsident Wolodymyr Selenskyj unterzeichnet und in Kraft gesetzt werden kann. Die Gesetzesnovelle sieht vor, dass der Nationale Sicherheitsrat eine Liste mit den einflussreichsten Persönlichkeiten des Landes erstellen soll. Diesen werden dann insbesondere die Parteienfinanzierung und die Beteiligung an Privatisierungen von Großunternehmen untersagt.

Das nun verabschiedete Gesetz zielt darauf ab, "die Risiken für die nationale Sicherheit im Zusammenhang mit dem übermäßigen Einfluss" von Oligarchen zu verringern, wie es in dem auf der Website des Parlaments veröffentlichten Gesetzestext heißt. Das Vorhaben war von Präsident Selenskyj auf den Weg gebracht worden. Er hat den ukrainischen Schwerreichen, denen vorgeworfen wird, Medien, Wirtschaft und Politik zu ihren Gunsten zu beeinflussen, den Kampf angesagt.

Nur wenige Superreiche betroffen

Nach Angaben des Justizministeriums betrifft das Gesetz vor allem einige wenige Ukrainer mit einem sehr großen Vermögen. Weitere Kriterien sind der Besitz eines Unternehmens mit Monopolstellung, ein bedeutender Einfluss auf die Medien sowie eine politische Betätigung.

Um im neuen Gesetz als Oligarch eingestuft zu werden, müssen drei der vier Punkte erfüllt sein. Dies könnte unter anderem den reichsten Mann des Landes, Renat Achmetow, sowie den umstrittenen Geschäftsmann Igor Kolomojski und den ehemaligen Präsidenten Petro Poroschenko betreffen. Kritiker sehen in dem umstrittenen Gesetz ein Instrument, das eine selektive Anwendung ermöglicht, um dem Präsidenten faktisch mehr Macht zu verschaffen.

Mordversuch an Präsidenten-Berater

Die Verabschiedung des Anti-Oligarchen-Gesetzes erfolgte einen Tag nach einem Mordversuch an Präsidenten-Berater Sergej Schefir. Die ukrainischen Behörden vermuten einen Zusammenhang zwischen der Tat und Schefirs Vorgehen gegen die Oligarchen des Landes. Schefirs Auto war am Mittwoch nahe dem Ort Lesniki von Unbekannten unter Beschuss genommen worden. Der 57-Jährige blieb unverletzt, sein Fahrer trug jedoch schwere Verletzungen davon.

Ukraine Anschlag auf Auto von Serhiy Shefir | Assistent von Präsident Wolodymyr Selenskyj
Auf dieses Auto des Präsidentenberaters Schefir schossen Unbekannte in der Nähe von KiewBild: Evgeniy Maloletka/AP/picture alliance

Präsident Selenskyj kündigte am Mittwoch bei der UN-Generaldebatte eine "starke Antwort" auf das Attentat an. Er werde seinen Kampf gegen die Kriminalität und gegen einflussreiche Finanzgruppen fortsetzen.

Vernichtender Bericht des Rechnungshofs

Der Europäische Rechnungshof zog derweil eine ernüchternde Bilanz des Kampfs der Europäischen Union gegen die Korruption in der Ukraine. Die EU sei sich seit langem der Verbindungen "zwischen Oligarchen, hochrangigen Beamten, Politikern, der Justiz und staatseigenen Unternehmen bewusst", habe aber keine effektive Strategie dagegen entwickelt, heißt es in einem Bericht des Rechnungshofs. "Obwohl die Ukraine Unterstützung unterschiedlichster Art vonseiten der EU erhält, untergraben Oligarchen und Interessengruppen nach wie vor die Rechtsstaatlichkeit in der Ukraine und gefährden die Entwicklung des Landes", sagte der Prüfer Juhan Parts bei der Veröffentlichung eines Berichts.

Trotz der Unterstützung der EU – zum Beispiel bei Justizreformen, Projekten in der Zivilgesellschaft sowie Maßnahmen in der Unternehmensführung - habe der Einfluss von Oligarchen nicht nachgelassen, befand der Rechnungshof. Es seien auch Errungenschaften im Justizbereich durch Versuche gefährdet worden, Gesetze zu umgehen und Reformen zu verwässern. Das gesamte System, um Korruptionsfälle zu verfolgen, sei wackelig. Insgesamt behindere Korruption den Wettbewerb, das Wachstum und den Demokratieprozess in der Ukraine, so die Prüfer.

Europäischer Rechnungshof in Luxemburg
Klare Wort vom Europäischen Rechnungshof in LuxemburgBild: Imago Images/Westend61

Keine wirksame Strategie

Es gebe zudem keine echte EU-Strategie, um korrupte Verbindungen auf höchster Ebene zu bekämpfen. Die EU müsse zwischen Großkorruption und Korruption im kleinen Stil differenzieren, sagte Parts weiter. Insbesondere müsse die EU gezielter gegen Geldwäsche vorgehen, um illegale Kapitalströme zu verhindern und den Einfluss von Oligarchen zu verringern, heißt es in dem Bericht.

Die Prüfer analysierten den Zeitraum zwischen 2016 und 2019, als Selenskyj gerade erst an die Macht kam. Parts zitierte allerdings auch Zahlen der jetzigen ukrainischen Regierung, wonach jährlich immer noch rund 32 Milliarden Euro durch Korruption verloren gehen. Die Ukraine ist als direkter Nachbar ein strategischer Partner der EU. Insgesamt habe das Land seit 2014 rund 15 Milliarden Euro an verschiedenen EU-Hilfen bekommen, sagte Parts.

kle/sti (afp, dpa, rtr)