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Ukraine, Nahost, Sudan - Krieg ohne Ende?

10. Juni 2024

Das alljährlich in Deutschland erscheinende Friedensgutachten enthält kaum Anzeichen für eine Besserung der weltweiten Lage. Die Forscherinnen und Forscher der beteiligten Institute fordern mehr diplomatische Bemühungen.

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Feuerwehrmänner bekämpfen mit langen Wasserschläuchen einen Großbrand in der ukrainischen Stadt Charkiw, der durch einen russischen Drohnen-Angriff ausgelöst wurde
Die Welt steht in Flammen, wie hier in der ukrainischen Stadt Charkiw nach einem russischem Drohnen-Angriff im Mai 2024Bild: Pavlo Pakhomenko/NurPhoto/picture alliance

"Seit Jahren taumelt die Welt von einer Krise in die nächste", sagt Ursula Schröder, Direktorin des Hamburger Instituts für Friedensforschung und Sicherheitspolitik (IFSH), als sie am Montag in Berlin das von ihr mit herausgegebene Friedensgutachten 2024 vorstellt. Zentrale friedenspolitische Trends weisen ihr zufolge in die falsche Richtung: "Zu mehr Krieg und Gewalt, zu mehr Aufrüstung auf allen Seiten und zu mehr globaler Konfrontation."

Diese Entwicklung begann 2022 mit dem völkerrechtswidrigen Überfall Russlands auf die Ukraine und spitzt sich seit dem Terror-Anschlag der islamistischen Hamas auf Israel im Oktober 2023 zu. Ausführlich thematisiert Schröder die Brandherde in Europa und im Nahen Osten. Sie lenkt den Blick aber auch kurz auf Afrika: "Neben diesen Themen dürfen wir nicht vergessen, dass seit über einem Jahr ein heftiger Krieg im Sudan tobt, der Millionen Menschen bedroht und zu einer katastrophalen humanitären Situation geführt hat."

Plädoyer für "politische Strategien mit langem Atem"

Wege zum Frieden seien kaum erkennbar, sagt die Politikwissenschaftlerin unter Verweis auf autoritäre und populistische Tendenzen weltweit. Um daran etwas zu ändern, plädiert Schröder für "politische Strategien mit langem Atem". Warum sie den für nötig hält, macht sie am Beispiel des Nahost-Kriegs deutlich.

Die Hamas habe sich einer Vernichtungslogik verschrieben, die das Existenzrecht Israels negiere. Zugleich kritisiert die Konfliktforscherin das Vorgehen der israelischen Armee im Gazastreifen: "Israel geht über die legitime Ausübung seines Rechts auf Selbstverteidigung hinaus und verletzt das humanitäre Völkerrecht."

Forderungen an die Bundesregierung

Der Krieg müsse jetzt beendet werden, fordern Schröder und Forscher dreier weiterer Institute, die seit 1987 jährlich ihr Friedengutachten veröffentlichen. Von Deutschland erwarten sie mehr diplomatische Initiativen: "Die Bundesregierung sollte sich mit Nachdruck für die Belange der palästinensischen Bevölkerung einsetzen, die in Gaza in extremer Weise Zerstörung, Vertreibung, Tod und Hunger ausgesetzt ist."

Außerdem müssten juristische Entscheidungen befolgt werden, verlangen die Fachleute. Ende Mai hatte der Internationale Gerichtshof (IGH) in Den Haag Israel angewiesen, die Militäroffensive in Rafah angesichts der katastrophalen humanitären Lage einzustellen. Die Aufforderung blieb allerdings folgenlos.  

Rapper ohne Hoffnung in Gaza

Kritik an Waffenexporten nach Israel

Auch Waffenexporte an Israel halten die Forschungsinstitute in der aktuellen Situation für problematisch. Man rate dazu, jegliche Lieferung von Klein- und Leichtwaffen und Munition, die in Gaza eingesetzt werden könnten, bis zur Beendigung des Kriegs auszusetzen.

Einen Schritt weiter ist das European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR) schon im April gegangen: Die Menschenrechtsorganisation will mit einer Klage vor dem Verwaltungsgericht Berlin die von Bundesregierung genehmigten Waffenexporte nach Israel stoppen lassen.  

Lob für US-Präsident Joe Biden

Um die Gewaltspirale im Nahost-Krieg zu durchbrechen, empfehlen die Friedensforscherinnen und -forscher, sich an den Vorschlägen von US-Präsident Joe Biden zu orientieren: "Die sofortige Freilassung aller israelischen Geiseln und die Umsetzung eines humanitären Waffenstillstands sind notwendige erste Schritte, die beide Parteien jetzt gehen müssen."

Für unverzichtbar hält das Team zudem, dass Deutschland dem Beispiel anderer europäischer Staaten folgt und Palästina als Staat anerkennt, bevor der Krieg zwischen Israel und der Hamas beendet ist. "Eine solche Übergangsphase muss zwingend mit einem klaren politischen Prozess zu einer dauerhaften Beendigung des Kriegs und zur Entwicklung einer Zwei-Staaten-Lösung verbunden sein", so Schröder.   

Kein Gegensatz: Diplomatie und militärische Unterstützung       

Auch mit Blick auf den Krieg zwischen Russland und der Ukraine setzen die Expertinnen und Experten auf eine internationale Lösung. Ziel bleibe eine souveräne, demokratische und prosperierende Ukraine, die sich gegen mögliche weitere Angriffe erfolgreich zur Wehr setzen kann, sagt Ursula Schröder. "Diplomatie und militärische Unterstützung sind dabei keine Gegensätze", betont sie.

Auf dem Weg dorthin müsse nun dringend ein tragfähiger Rahmen für einen politischen Prozess zur Beendigung des Kriegs ausgelotet werden. Die am 15./16. Juni in der Schweiz stattfindende Friedenskonferenz sehe man als Chance, die nicht vertan werden sollte. Ein Ergebnis sollte es sein, "Verhandlungen in der Zukunft überhaupt denkbar zu machen".

Ein neues atomares Wettrüsten ist im Gang

Kaum Verhandlungsbereitschaft Russlands und der Ukraine

Allerdings ist der Konfliktforscherin und ihren Kollegen klar, wie weit man davon noch entfernt ist: "Denn derzeit zeigen beide Konfliktparteien – vor allem Russland, aber auch die Ukraine – kaum Bereitschaft zu ernsthaften Verhandlungen." Die Bundesregierung solle deshalb ihre guten diplomatischen Beziehungen nutzen, um die Rolle anderer Länder in einem künftigen Verhandlungsprozess zu stärken. Konkret gemeint sind damit die sogenannten BRICS-Staaten Brasilien, Indien, China und Südafrika.

Welcher Weg aus Schröders Sicht auf dem langen Weg zu einem Frieden einzuschlagen ist, daran lässt sie im Namen des gesamten Teams keine Zweifel: Um die Chancen auf erfolgversprechende Verhandlungen zu erhöhen, müsse die militärischen Unterstützung der Ukraine langfristig und nachhaltig gesichert werden.

"Welt ohne Kompass"

"Wir halten es für notwendig, den Druck auf Russland aufrecht zu erhalten. Denn so lange die russische Führung davon ausgeht, dass sie militärisch gewinnen kann, wird sie sich nicht auf echte Verhandlungen einlassen", sind sich die Fachleute des Friedensgutachtens mit dem Titel "Welt ohne Kompass" einig. 

Deutsche Welle Marcel Fürstenau Kommentarbild ohne Mikrofon
Marcel Fürstenau Autor und Reporter für Politik & Zeitgeschichte - Schwerpunkt: Deutschland