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Ukraine-Krieg und die Rolle der Medien

7. März 2023

Ein Jahr Kriegsberichterstattung in deutschen Zeitungen und Online-Portalen: Presserat registriert wenige Beschwerden und erteilt nur eine öffentliche Rüge.

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Ein Zeitungsständer mit der "Süddeutschen Zeitung", auf deren Titelseite ein Panzer zu sehen ist und die Schlagzeile "Krieg in Europa". Darunter die Bild-Zeitung mit der Schlagzeile "Putins Blut!"
In den deutschen Medien waren 2022 reißerische Überschriften wie von der Bild-Zeitung eher die AusnahmeBild: Winfried Rothermel/imago images

"Es gibt relativ wenig Beschwerden zur Kriegsberichterstattung", freut sich Kirsten von Hutten, die Sprecherin des Presserats. Insgesamt hatten sich Leserinnen und Leser im vergangenen Jahr 1733 Mal über Texte, Fotos oder Videos beschwert. Davon betrafen nur 78 den Ukraine-Krieg, ein Anteil von rund vier Prozent. Wobei die meisten Beschwerden nach den Kriterien des Presserats unbegründet gewesen seien, sagt von Hutten.

Befürchtungen, Wladimir Putins Völkerrechtsbruch könnte medial zu vielen reißerischen Berichten führen, haben sich also nicht bestätigt. Vor allem auch deshalb, weil über die Invasion Russlands in der Ukraine offenbar im Großen und Ganzen verantwortungsvoll berichtet wurde. So lautet die Bilanz des Deutschen Presserates, der anhand von Beschwerden der Leserschaft die Einhaltung ethischer Regeln im Journalismus gemäß dem Pressekodex überprüft. 

Öffentliche Rüge für die "Anti-Putin-Tablette"

Nur in einem Fall erteilte die Freiwillige Selbstkontrolle der Printmedien und deren Online-Auftritte eine öffentliche Rüge und damit die schärfste Form der Sanktionierung. Sie betraf eine Schlagzeile in der Siegener Zeitung: "Die Anti-Putin-Tablette ist gefragt". Im Text ging es um die vermeintlich richtige Dosierung von Jod-Tabletten im Falle eines Atomangriffs. "Diese Dosierung war falsch", kritisierte Presseratsreferentin Sonja Volkmann-Schluck bei der Vorstellung des Jahresberichts.

Eine Arzneimittelverpackung mit der Bezeichnung Jodid 100 und eine daraus entnommene Folie mit kleinen, runden, weißen Tabletten.
Aus Angst vor radioaktiver Verstrahlung decken sich viele Menschen mit Jod-Tabletten einBild: Fabian Sommer/dpa/picture alliance

Sie betont, dass es um ein sehr sensibles Thema gehe, nämlich die Ängste der Bevölkerung. "Und da muss man natürlich doppelt aufpassen, dass man dann solche Informationen auch wirklich gut checkt und korrekt herausgibt." Allerdings gab es aus Sicht des Presserats auch Berichte über das Thema Atomwaffen, die trotz mehrerer Beschwerden aus der Leserschaft nicht zu beanstanden waren.  

Wie weit geht die Meinungsfreiheit bei Zuspitzungen?

Ein konkretes Beispiel steht im Jahresbericht 2022: Die Über­schrift "Putin droht mit Atomwaffen!" fand ein Leser zu plakativ und nicht richtig, da Putin seine Streitkräfte "nur" in Alarmbereitschaft versetzt, aber damit nicht konkret gedroht habe. Diese und andere Überschriften wertete der Presserat jedoch als zulässige Zuspitzung und von der Meinungsfreiheit gedeckt. "Zumal die dazugehörigen Artikel diffe­renziert über das Bedrohungsszenario berichteten."

Schon kurz nach dem Beginn des russischen Überfalls auf die Ukraine appellierte der Deutsche Presserat an Zeitungen und Online-Portale, mit Fotos von Kriegsopfern besonders sorgsam umzugehen. Anlass waren die mutmaßlichen Kriegsverbrechen in der Stadt Butscha. Deshalb habe man an die ethische Regel erinnert, vor einer Veröffentlichung die Angehörigen der Opfer zu fragen, erläutert Volkmann-Schluck.

Auf einer Foto-Collage sind Opfer des Ukraine-Kriegs zu sehen, unter anderem einen Frau mit blutverschmiertem Gesicht und einem weißen Verband um de Kopf.
Diese Foto-Collage lag im Dezember 2022 zum Gedenken an ukrainische Opfer vor der Russischen Botschaft in Berlin Bild: Benjamin Bathke/DW

Beschwerden über veröffentlichte Opferbilder

Außerdem müsse in jedem Einzelfall immer das öffentliche Interesse am Krieg berücksichtigt werden. "Letztlich hatten wir aber keine einzige Beschwerde über die Abbildung der Opfer von Butscha." Allerdings gab es zwei Beschwerden über veröffentlichte Fotos von anderen Kriegsorten. In beiden Fällen waren verwundete Ukrainerinnen zu sehen.

Auf einem Bild war laut Presserat eine Frau mit Kopfverband zu sehen. "Das ist eine zulässige Dokumentation des Krieges, die auch nicht übertrieben sensationell war", begründet Sonja Volkmann-Schluck, warum der Presserat darin keinen Verstoß gegen die Sorgfaltspflicht sah.

Wo endet das öffentliche Interesse am Krieg?

Auf dem anderen beanstandeten Foto war eine schwer verwundete Frau, die im Koma in einem Krankenhaus lag, abgebildet. Wobei die verwundete Gesichtshälfte nach Darstellung des Presserats verpixelt war. Auch in diesem Fall erkannte das Selbstkontrolle-Gremium ein öffentliches Interesse an der Dokumentation dieses Kriegs.

"Ausschlaggebend war außerdem, dass der Ehemann dieses Opfers der Redaktion das Foto ausdrücklich zur Verfügung gestellt hatte", ergänzt Sonja Volkmann-Schluck. Damit habe diese Abbildung den Richtlinien des Opferschutzes entsprochen. Demnach müsse immer die Einwilligung von Angehörigen vorliegen.

Falscher Video-Screenshot über eine Explosion in China

Dreimal hat der Deutsche Presserat im Zusammenhang mit der Kriegsberichterstattung sogenannte Hinweise an Redaktionen gegeben. Das ist die mildeste Form der Sanktion bei Verstößen gegen die Sorgfaltspflicht. Betroffen war unter anderem der Screenshot eines Videos, auf dem angeblich Bombardierungen russischer Truppen in der Ukraine zu sehen waren. Tatsächlich handelte es sich aber um eine Explosion in China.

Trotz dieses gravierenden Verstoßes gegen den Pressekodex hat die Freiwillige Selbstkontrolle auf eine öffentliche Rüge verzichtet. Begründung: Die verantwortliche Redaktion habe das Bild sofort von der Seite genommen und ihren Fehler "sehr transparent" korrigiert.

Auch wegen solcher selbstkritischen und einsichtigen Reaktionen auf redaktioneller Seite ist Presserat-Sprecherin Kirsten von Hutten nach einem Jahr Kriegsberichterstattung in deutschen Zeitungen und auf Online-Portalen zufrieden: Man erkenne ein großes Vertrauen seitens der Leserschaft. "Das schafft Glaubwürdigkeit und das ist natürlich gerade in Zeiten wie diesen essentiell."