1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

Europas Staaten voll im Krisendiplomatie-Modus

10. Februar 2022

Brüssel, Moskau, Berlin und Warschau: Die europäischen Spitzenpolitiker versuchen derzeit mit Verve, den Konflikt um die Ukraine abzumildern - mit einer Mischung aus Zuckerbrot und Peitsche.

https://p.dw.com/p/46oc7
Der britische Premier Boris Johnson und NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg in Brüssel
Der britische Premier Boris Johnson und NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg in BrüsselBild: Daniel Leal/Pool/AFP

Der britische Premierminister Boris Johnson hat vor einem "Krieg" in der Ukraine gewarnt. "Ein Krieg wäre katastrophal und auch sinnlos, tragisch und würde sehr schnell wirtschaftlich teuer für Russland", sagte Johnson bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg in Brüssel. Das müsse auch der Kreml einsehen. Johnson sprach von der "größten Sicherheitskrise für Europa seit Jahrzehnten". Noch sei aber Gelegenheit, die Spannungen abzubauen und zum Dialog zurückzukehren.

Johnson nahm zugleich Bundeskanzler Olaf Scholz in Schutz, der wegen seiner Haltung zu der deutsch-russischen Gaspipeline Nord Stream 2 in der Kritik steht. Der Premier beglückwünschte Scholz dazu, "dass er eine härtere Haltung bei Nord Stream 2 angenommen hat". Johnson fügte hinzu: "Das ist schwierig für Deutschland und die deutsche Wirtschaft".

Stoltenberg: "Vorwarnzeit für möglichen Angriff sinkt" 

Stoltenberg sprach von einem "gefährlichen Moment" für die europäische Sicherheit. "Die Zahl der russischen Streitkräfte steigt. Die Vorwarnzeit für einen möglichen Angriff sinkt." Die NATO sei keine Bedrohung für Russland. "Aber wir müssen auf das Schlimmste vorbereitet sein, während wir uns gleichzeitig stark dafür einsetzen, eine politische Lösung zu finden", betonte Stoltenberg.

Er rief Russland erneut auf, das Gesprächsforum des NATO-Russland-Rats zu nutzen. Das habe er auch in einem Brief an den russischen Außenminister Sergej Lawrow deutlich gemacht, sagte er. Ab dem kommenden Mittwoch wollen die NATO-Verteidigungsminister in Brüssel nach seinen Angaben über eine Verstärkung der sogenannten Battle Groups in südöstlichen Mitgliedsländern beraten.

Besuch in Warschau

Im Anschluss reiste Johnson nach Warschau weiter, wo er mit dem polnischen Regierungschef Mateusz Morawiecki zusammenkam. Dabei warnte dieser vor Versuchen Russlands, die NATO-Partner zu entzweien. "Putins politisches Ziel ist es, die NATO auseinanderzureißen, daher müssen wir unbedingt zeigen, wie geeint wir sind", betonte Morawiecki nach dem Treffen mit dem britischen Premierminister. Johnson sagte, weder Polen noch Großbritannien könnten eine Welt akzeptieren, in der ein mächtiger Nachbar andere einschüchtere oder angreife. 

Beide Regierungschefs besuchten später eine Kaserne bei Warschau, in der britische Soldaten stationiert sind. Seit Dezember helfen 100 britische Pioniere Polen dabei, die Grenze zum Nachbarland Belarus zu befestigen. London will noch weitere 350 Soldaten in die Grenzregion entsenden. 

Lawrow sauer über britische Kollegin Truss

Die britische Außenministerin Liz Truss warf Moskau derweil eine "Kalter-Krieg-Rhetorik" vor und rief zu ernsthaften Verhandlungen auf. "Frieden und Stabilität" in Europa seien gefährdet, warnte Truss in Moskau bei einer Pressekonferenz mit ihrem russischen Kollegen Lawrow. "Noch ist Zeit für Russland, seine Aggression gegen die Ukraine zu beenden und den Pfad der Diplomatie einzuschlagen."

Die britische Außenministerin Liz Truss und ihr russischer Amtskollege Sergej Lawrow in Brüssel
Die britische Außenministerin Liz Truss und ihr russischer Amtskollege Sergej Lawrow in BrüsselBild: RUSSIAN FOREIGN MINISTRY/AFP

Lawrow seinerseits zeigte sich sichtlich verärgert von dem Auftreten seiner Kollegin. So kritisierte er etwa die britische Forderung, Russland solle Truppen von seinem eigenen Gebiet an der Grenze zur Ukraine abziehen. Zudem warf Lawrow dem Westen vor, er wolle Russland "betrügen", denn die Sicherheit eines Landes könne nicht auf Kosten eines anderen gewährleistet werden. Moskau fordert verbindliche Zusicherungen etwa über ein Ende der NATO-Osterweiterung. Das westliche Militärbündnis, in dem auch Großbritannien Mitglied ist, beruft sich hingegen auf die freie Bündniswahl von Staaten.

Scholz-Treffen mit Spitzen der baltischen Staaten 

Der Bundeskanzler versicherte den baltischen NATO-Partnern den Beistand Deutschlands. Das Baltikum sei unmittelbar betroffen von besorgniserregenden Militäraktivitäten, die Russland entfalte, sagte Scholz bei einem Treffen mit den Spitzen der drei baltischen Staaten Estland, Lettland und Litauen in Berlin. Die gemeinsame Haltung sei eindeutig: "Wir sind geschlossen und entschlossen." Von Russland würden Schritte zur Entschärfung der Lage erwartet. "Deeskalation ist das Gebot der Stunde", betonte der Kanzler. Russland solle dabei Einigkeit und Entschlossenheit der NATO-Verbündeten nicht unterschätzen. "Wir nehmen die Sorgen unserer Verbündeten sehr ernst", sagte Scholz. "Wir stehen an eurer Seite. Das ist mir ganz wichtig."

Der litauische Präsident Gitanas Nauseda hatte sich vor dem Treffen mit Scholz enttäuscht über die ablehnende Haltung Berlins zu möglichen Waffenlieferungen an die Ukraine geäußert. "Um ehrlich zu sein, haben wir mehr erwartet", sagte Nauseda dem TV-Sender "Welt". "Aber wir verstehen natürlich die Gründe." Ein großer Teil der Bevölkerung in Deutschland sei gegen Waffenlieferungen. Nauseda bezeichnete die Unterstützung Deutschlands dennoch als "sehr wirksam". "Die zusätzlichen Soldaten, um die wir bitten, wären eine zusätzliche Verstärkung", sagte er. Die Bundesregierung hat bereits angekündigt, dass sie weitere 350 Soldaten in das EU- und NATO-Mitgliedsland Litauen schicken will. 

Der lettische Ministerpräsident Krisjanis Karins sagte der Deutschen Welle bei seinem Berlin-Aufenthalt: "Es ist nicht klar, ob es einen Krieg geben wird oder nicht, aber eines ist klar: Präsident Putin kämpft gegen die Unabhängigkeit der Ukraine, gegen ihre Demokratie." Deshalb seien "wir im Westen, die Europäische Union und die NATO-Mitgliedstaaten verpflichtet, die Unabhängigkeit der Ukraine zu unterstützen". Mit Blick auf die Ukraine-Krise sagte Karins, er habe keine Angst vor einer russischen Aggression gegen sein Land. Derzeit sei Militärpersonal aus zehn NATO-Mitgliedstaaten in Lettland. Er fügte hinzu, dass sein Land aufgrund dieser Truppenpräsenz "keine direkte militärische Bedrohung" spüre.

In Berlin tagen zudem die außenpolitischen Berater der Staats- und Regierungschefs der Staaten des sogenannten Normandie-Formats (Deutschland, Frankreich, Russland, Ukraine).

In Belarus begannen inzwischen die zehntägigen, großangelegten Manöver gemeinsam mit russischen Streitkräften. Sie werden im Süden der Ex-Sowjetrepublik unweit zur Ukraine und im Westen an der EU-Außengrenze abgehalten. Frankreichs Außenminister Jean-Yves Le Drian bezeichnete die "extrem massiven" Manöver inmitten der Ukraine-Krise im Sender France Inter als "Geste großer Gewalt", die die französische Regierung beunruhige. "Jedes Land hat natürlich das Recht, Militärmanöver zu organisieren, aber hier gibt es eine sehr bedeutende Anhäufung von Übungen an der Grenze zur Ukraine", sagte der Minister in Paris.

Erste US-Radschützenpanzer in Rumänien

In Rumänien kamen unterdessen die ersten Konvois der US-Armee mit Militärtechnik an. Die Militärtechnik wurde angesichts der Spannungen rund um die Ukraine-Krise verlegt. Das teilte das rumänische Verteidigungsministerium per Twitter mit. Bilder des Ministeriums zeigten Radschützenpanzer vom Typ Stryker am rumänisch-ungarischen Grenzübergang Nadlac. Rumänien ist ein Nachbarland der Ukraine.

Die Transporte sollen am Freitag den US-Luftwaffenstützpunkt Mihail Kogalniceanu am Schwarzen Meer erreichen. Von dort aus würden die Geräte an mehrere Militäreinheiten in Rumänien verteilt und bei Übungen eingesetzt, sagte Verteidigungsminister Vasile Dincu. Insgesamt erwartet Rumänien 1000 US-Soldaten. In Rumänien sind außerdem seit Jahren ständig 900 US-Soldaten stationiert, unter anderem an der Raketenabwehrbasis im südrumänischen Deveselu. Auch Frankreich hat die Entsendung von Soldaten nach Rumänien versprochen.

sti/kle (afp, dpa, rtr, DW)