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PolitikEuropa

Ukraine: Brüssel reagiert gelassen auf Polens Waffenstopp

21. September 2023

Nach den Äußerungen des polnischen Premierministers zu einem Lieferstopp von Waffen für die Ukraine ist erst einmal nicht klar, was gemeint ist. Im Rest Europas scheint es aber auch niemanden allzu sehr aufzuregen.

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Der polnische Ministerpräsident Mateusz Morawiecki
Der polnische Ministerpräsident Mateusz Morawiecki (Archivbild)Bild: Virginia Mayo/dpa/picture alliance

"Wir liefern keine Waffen mehr an die Ukraine, weil wir uns jetzt selbst mit den modernsten Waffen ausrüsten", sagte der polnische Ministerpräsident Mateusz Morawiecki am Mittwoch in einem Interview des polnischen Fernsehsenders PolSat.

Die nationalkonservative Regierung unter Morawiecki galt bislang als eine der stärksten Unterstützerinnen der Ukraine im russischen Angriffskrieg. Doch in jüngster Zeit hatten sich die beiden Länder über die Einfuhr von Getreide in die Haare bekommen.

Seit dem Beginn des Krieges und dem Ende eines Abkommens mit Russland kann die Ukraine ihr Getreide kaum noch über die Häfen im Schwarzen Meerexportieren. Stattdessen wird es über den Landweg und damit durch die EU ausgeführt. Bis zum 15. September galt eine Regelung, die es Bulgarien, Polen, Rumänien, der Slowakei und Ungarn erlaubte, den Verkauf von ukrainischem Getreide auf ihren Märkten zu verbieten. Als diese auslief, führten Polen, Ungarn und die Slowakei eigenmächtig einen Importstopp für ukrainisches Getreide ein. Mittlerweile haben sich die Slowakei und die Ukraine geeinigt. Verliert die Ukraine also Polen als Unterstützer?

Was hat Morawiecki gemeint?

Vorerst blieb die Tragweite der Aussage des polnischen Regierungschefs unklar. Laut der Deutschen Presseagentur dpa habe der Kontext des Interviews dafürgesprochen, dass kein vollständiger Stopp von Waffenlieferungen gemeint sei, sondern dass beide Vorgänge - das Wiederaufstocken der polnischen Waffenlager und die Waffenlieferungen an die Ukraine - gleichzeitig liefen.

Ukriane, Odessa | Nahaufnaheme von Weizenähren
Der Streit um das ukrainische Getreide bleibt vorerst ungelöstBild: abaca/picture alliance

Am Donnerstag präzisierte ein Regierungssprecher, Polen werde nur noch die bereits vereinbarte Menge Munition und Rüstungsgüter in die Ukraine schicken, wie die polnische Nachrichtenagentur PAP berichtete.

Stopp von Waffenlieferungen: alles nur ein Missverständnis?

Marta Prochwicz-Jazowska, Programm-Managerin im Warschauer Büro des German Marshall Funds, vermutet, dass die Worte Morawieckis durch westliche Medien falsch interpretiert wurden. "Das war keine politische Erklärung, Waffenlieferungen nach Polen zu stoppen. Sogar die jüngst veröffentlichte Stellungnahme der Regierung sagt, dass die vertraglichen Verpflichtungen Polens gegenüber der Ukraine erfüllt werden." Sie glaubt, dass es nicht im polnischen Interesse sei, die Waffenlieferungen in die Ukraine zu stoppen.

Auch Marcin Zaborowski, Policy Director bei der slowakischen Denkfabrik Globsec, sagte im Gespräch mit der DW, dass er denke, die Worte des Ministerpräsidenten seien überinterpretiert worden. Er sieht keine neue politische Entwicklung durch die Aussage, sondern eine "Bestätigung des Offensichtlichen" -  nämlich, dass die Waffen, die Polen liefern konnte, bereits in die Ukraine gesendet wurden. Um diese zu ersetzen, müsse das Land nun neue Waffen beschaffen, so der Experte für Sicherheitspolitik im Gespräch mit der DW. Eine polnische Regierungsquelle bestätigte dem DW-Studio Brüssel, dass Polen der Ukraine bereits das geschickt hätte, was es vorrätig hatte.

Wahlkampf, Waffen und Getreide-Streit

Beide Experten weisen auf die bevorstehenden polnischen Wahlen am 15. Oktober hin. Zaborowski meint, dass die Regierung ihrer Wählerschaft zeigen müsse, dass es auf die Interessen der polnischen Bauern und der Wähler in Südpolen schaue. Auch die Politikanalystin Prochwicz-Jazwoska sagte gegenüber der DW, dass der polnische Premierminister Morawiecki in dem Fernsehinterview vor allem Wahlkampf für seine nationale Wählerschaft gemacht habe.

Morawieckis Äußerungen stehen im Zusammenhang mit dem Getreide-Streit. Sie waren die Antwort auf die Frage, ob Polen der Ukraine trotz des Streites unterstützen solle. Auch der polnische Regierungssprecher Piotr Müller kritisierte am Donnerstag laut dpa eine Serie von "absolut inakzeptablen Äußerungen und diplomatischen Gesten" seitens der Ukraine. 

Am Dienstag sprach der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj bei der UN-Generalversammlung von Freunden in Europa, die "ein politisches Theater der Solidarität aufführen und einen Thriller aus dem Getreide machen".

Wenig Sorge über Polens Töne in der EU und den USA

Eine hochrangige US-Regierungsquelle sagte am Donnerstag vor Reportern in Brüssel, dass sie nicht besonders besorgt sei. Auf den Getreidestreit anspielend, sprach sie von "Momenten der Anspannung" und "Frustration" auf beiden Seiten. Das würde aber an der Geschlossenheit der NATO ebenso wenig ändern wie die Grundüberzeugung Polens, die Ukraine so lange wie nötig zu unterstützen.

EU-Flaggen vor Gebäude der Europäischen Kommission in Brüssel
In der EU-Kommission sieht man den Streit gelassen Bild: Arne Immanuel Bänsch/dpa/picture alliance

Der Sprecher der EU-Kommission Peter Stano betonte am Donnerstag, dass es die Entscheidung der Mitgliedstaaten sei, welche und wie viele Waffen sie der Ukraine liefern würden. Gleichzeitig unterstütze die EU die Ukraine weiter entschieden in den Bereichen, in denen sie zuständig sei. Die EU-Position sei weiterhin die "unerschütterliche Unterstützung für die Ukraine, solange wie nötig", so Stano.

Vom deutschen Verteidigungsminister Boris Pistorius hieß es, er wolle mit seinem polnischen Amtskollegen Mariusz Blaszczak telefonieren.

Trotz - oder vielleicht wegen - aller Rhetorik scheint Bewegung in den Getreide-Streit gekommen zu sein. Kiew teilte am Donnerstag mit, dass der der ukrainische Agrarminister Mykola Solskyi mit dem polnischen Amtskollegen Robert Telus telefoniert habe und sie sich darauf geeinigt hätten eine Lösung zu finden, die beiden gerecht wird.

Priyanka Shankar hat zu dem Artikel beigetragen. 

Polen und Ukraine im Streit

DW Mitarbeiterin Lucia Schulten
Lucia Schulten Korrespondentin in Brüssel