Aktuell: Moskau liefert atomwaffenfähige Raketen an Belarus
25. Juni 2022
Das Wichtigste in Kürze:
- Belarus soll bald atomwaffenfähige Raketen erhalten
- Ukraine meldet Raketenangriffe aus Belarus
- Moskau: Mögliche EU-Erweiterung gegen Russland gerichtet
- Selenskyj: Ukraine wird Kriterien für einen EU-Beitritt erfüllen
- "Deepfake": Giffey spricht mit "falschem" Vitali Klitschko
Russland wird nach Angaben von Staatschef Wladimir Putin bald atomwaffenfähige Raketen an Belarus liefern. Wie Putin bei einem Treffen mit dem belarussischen Staatschef Alexander Lukaschenko ankündigte, soll das Nachbarland, das auch an die Ukraine grenzt, "in den kommenden Monaten" das Raketensystem Iskander-M erhalten, das auch mit Atomsprengköpfen bestückt werden kann. Die Iskander-M ist ein mobiles Lenkflugkörpersystem mit einer Reichweite von bis zu 500 Kilometern. Putin äußerte sich bei einem Treffen mit Lukaschenko in St. Petersburg. Der Kremlchef soll zudem angeboten haben, bei der Aufrüstung belarussischer Kampfflugzeuge zu helfen, damit diese künftig ebenfalls Atomwaffen transportieren könnten. Lukaschenko sagte in dem Gespräch, er sei "besorgt über die aggressive" Politik der Nachbarländer Litauen und Polen.
Offiziell hat sich Lukaschenko in dem seit vier Monaten anhaltenden Krieg gegen die Ukraine als neutral bezeichnet. Allerdings gilt er als enger Verbündeter Putins. Belarus profitiert in mehrfacher Hinsicht von wirtschaftlicher und militärischer Hilfe aus Moskau.
Ukraine meldet Raketenangriffe aus Belarus
Russland hat nach Angaben aus Kiew mehrere ukrainische Regionen mit Raketen unter Beschuss genommen, darunter Chmelnyzkyj, Lwiw und Mykolajiw. Dem Generalstab zufolge feuerten die Angreifer Geschosse in Richtung Schytomyr und Tschernihiw nicht von eigenem Territorium aus ab, sondern aus Belarus. Eine unabhängige Bestätigung hierfür gibt es nicht.
Marschflugkörper vom Schwarzen Meer
Allein in der Umgebung von Schytomyr - einer Großstadt westlich von Kiew - schlugen nach Angaben des Bürgermeisters Serhij Suchomlin 24 Raketen ein. Dabei sei ein Soldat getötet worden. Im Gebiet Lwiw (früher: Lemberg) war erneut das Militärgelände in Jaworiw Ziel der Angriffe. Nach ukrainischen Angaben wurden sechs Marschflugkörper von Schiffen auf dem Schwarzen Meer abgeschossen. Hierdurch habe es mehrere Verletzte gegeben.
Russland beklagt "aggressives Vorgehen" der EU
Mit Blick auf die Verleihung des EU-Kandidatenstatus an die Ukraine und die benachbarte Republik Moldau hat Russland die Europäische Union vor "negativen Konsequenzen" gewarnt. Die Entscheidung des Brüsseler EU-Gipfels bestätige, dass "eine geopolitische Vereinnahmung" der ehemaligen Sowjetrepubliken "aktiv vorangetrieben" werde, "um Russland in Schach zu halten", erklärte das Außenministerium in Moskau. Die Europäische Union verfolge damit das Ziel, mit den östlichen Nachbarländern Beziehungen auf der Grundlage eines Abhängigkeitsprinzips zu etablieren. Das "aggressive Vorgehen" der EU habe das Potenzial, neue Spaltungen und tiefe Krisen in Europa zu schaffen.
Kandidatenstatus "nicht vom Himmel gefallen"
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj zeigt sich zuversichtlich, dass sein Land die Kriterien für einen EU-Beitritt erfüllen kann. Die Ukraine konzentriere sich nun auf die Anforderungen der Europäischen Union, sagte er in einer neuen Videoansprache. Zu den Kriterien für einen Beitritt gehören unter anderem Rechtsstaatlichkeit, Kampf gegen Korruption, Garantie der Grundrechte und eine funktionierende Marktwirtschaft.
Selenskyj rief seine Landsleute auf, sich über den Beschluss des Brüsseler Gipfels zu freuen. Er verglich den Weg hin zu einer EU-Mitgliedschaft mit der Besteigung des Mount Everest. Wer auf den letzten 1848 Metern darüber rede, wie schwierig die weitere Strecke werde, entwerte seinen Erfolg, den Berg bereits auf 7000 Metern bezwungen zu haben. Der Kandidatenstatus der Ukraine sei "nicht vom Himmel gefallen. Dafür hat die Ukraine viel getan", betonte der Staatschef.
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dpa: Deutschland plant neue Haubitzen-Lieferung
Die Bundesregierung will der Ukraine nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur (dpa) weitere Panzerhaubitzen überlassen. Dazu laufen Gespräche mit den Niederlanden sowie einem weiteren europäischen Partner, wie die dpa aus Kreisen des Verteidigungsministeriums in Berlin erfuhr. Die Ukraine hat bisher sieben Exemplare der Panzerhaubitze 2000 aus Deutschland erhalten sowie fünf aus den Niederlanden. Mit insgesamt 18 Haubitzen - also sechs weiteren Modellen - könnte man ein komplettes ukrainisches Artilleriebataillon ausrüsten, hieß es aus Kiew.
Nächtlicher Luftalarm im ganzen Land
Bereits in der Nacht zum Samstag war in der Ukraine landesweit Luftalarm ausgelöst worden. Wie die einheimische Nachrichtenseite 24tv berichtet, soll es Explosionen in der Stadt Saporischschja im Südosten des Landes gegeben haben - ebenso wie in der zentralukrainischen Stadt Dnipro.
Widersprüchliche Darstellungen gibt es zur Lage in der östlichen Großstadt Lyssytschansk. Dort seien die Verteidigungsstellungen ukrainischer Truppen durchbrochen worden, heißt es aus Moskau. Der Generalstab der ukrainischen Armee meldet hingegen: "Die ukrainischen Verteidiger haben erfolgreich einen Sturm am südlichen Stadtrand von Lyssytschansk abgewehrt."
Sjewjerodonezk "vollständig" in russischer Hand
Nach wochenlangen Kämpfen befindet sich die strategisch wichtige Stadt Sjewjerodonezk im Osten der Ukraine nach Angaben ihres Bürgermeisters nun vollständig in den Händen der russischen Armee. Die Stadt sei von den russischen Streitkräften "vollständig besetzt", sagte Bürgermeister Oleksandr Strjuk im ukrainischen Fernsehen. Die Zivilisten, die in Schutzräumen der Chemiefabrik "Azot" Zuflucht gesucht hatten, sind nach Angaben eines Sprechers der pro-russischen Separatisten "evakuiert" worden. Am Freitag hatten die ukrainischen Behörden den Rückzug der ukrainischen Armee aus Sjewjerodonezk bekannt gegeben.
Russland hat nach eigener Darstellung bei Angriffen in der Ostukraine zahlreiche polnische Kämpfer getötet. "Bis zu 80 polnische Söldner" seien bei "Angriffen mit Hochpräzisionswaffen" auf eine Zinkfabrik im Dorf Konstantinowka in der Region Donezk getötet worden, erklärte das russische Verteidigungsministerium, das zudem die Zerstörung von "20 gepanzerten Kampffahrzeugen und acht Grad-Mehrfachraketenwerfer" bekanntgab. Moskau bezeichnet alle auf Seiten der Ukraine kämpfenden Freiwilligen als Söldner.
Das Ministerium berichtete zudem, dass bei dem Angriff auf Mykolajiw 300 ukrainische Soldaten getötet worden seien. Insgesamt bezifferte der Generalleutnant die ukrainischen Verluste allein durch Luft-, Raketen- und Artillerieangriffe innerhalb von 24 Stunden auf 780 "Nationalisten". Unabhängig überprüfen lassen sich auch diese Angaben nicht. Beobachter gehen davon aus, dass beide Kriegsparteien die Zahl getöteter gegnerischer Soldaten höher angeben, als sie tatsächlich ist - und dass sie bei gefallenen eigenen Kämpfern umgekehrt verfahren.
Johnson fürchtet faulen Frieden
Der britische Premierminister Boris Johnson rechnet mit wachsendem europäischen Druck auf die Ukraine, ein nicht in ihrem Sinne liegendes Friedensabkommen mit Russland zu schließen. Grund hierfür seien die wirtschaftlichen Folgen des Konflikts. "Zu viele Länder" sprächen von einem europäischen Krieg, der unnötig sei.
Daher wachse der Druck, "die Ukrainer zu einem faulen Frieden zu bewegen - vielleicht sogar zu zwingen", sagte Johnson in der ruandischen Hauptstadt Kigali, wo er an einem Commonwealth-Gipfel teilnimmt. Sollte der russische Präsident seinen Willen in der Ukraine durchsetzen können, seien die Folgen gefährlich für die internationale Sicherheit und langfristig eine "wirtschaftliche Katastrophe", fügte Johnson hinzu.
300.000 Quadratkilometer "verseucht"
Nach einem Ende des Krieges wird es nach Einschätzung der Katastrophenschutzbehörde in Kiew mindestens zehn Jahre dauern, bis das gesamte Land und seine Gewässer von Minen und anderen Sprengkörpern befreit sind. "Stellen Sie sich nur einmal die Zahl der Bomben vor, die der Feind auf uns abgeworfen hat", sagte ein Behördensprecher. Bisher sei es der Ukraine gelungen, auf rund 620 Quadratkilometern Tausende Sprengsätze zu räumen. Aber fast 300.000 Quadratkilometer seien weiterhin "verseucht". Das sei etwa die Hälfte des ukrainischen Territoriums und entspreche ungefähr der Größe Italiens.
Selenska vergleicht russische Truppen mit Terrormiliz IS
Die Frau des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj hat die russischen Truppen in ihrem Land mit der Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS) verglichen und ihnen Sexualverbrechen vorgeworfen. Olena Selenska verwies in der "Welt am Sonntag" auf die Friedensnobelpreisträgerin Nadia Murad, die vom IS versklavt worden war, und sagte: "Es ist furchtbar, das auszusprechen, aber viele ukrainische Frauen erleben unter der Besatzung dasselbe." Selenska fügte hinzu: "Weil die russischen Besatzer nicht besser als IS-Terroristen sind." Ukrainische Frauen erlebten den Horror gerade jetzt. Murad hat Verbrechen der IS-Miliz an Jesiden im Irak überlebt. Sie ist seit 2016 UN-Sonderbotschafterin für die Würde der Überlebenden von Menschenhandel.
WFP verlangt "deutliches Zeichen" der G7
Die durch den Ukraine-Krieg verschärfte Hungerkrise muss nach Ansicht des Welternährungsprogramms (WFP) eines der zentralen Themen beim anstehenden G7-Gipfel in Deutschland sein. "Wichtig wäre, dass sich die G7-Länder auf ein gemeinsames Engagement für humanitäre Soforthilfe verpflichten", sagte WFP-Direktor Martin Frick dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Die Hungerkrise müsse solidarisch gelöst werden. Konkret bedeute dies, insbesondere den Ländern im südlichen Afrika ein "deutliches Zeichen" zu geben, dass sie nicht vergessen würden.
"Hunger kann Länder destabilisieren und ist damit eine zentrale Frage von Frieden und Sicherheit", mahnte Frick. 36 Länder verzeichneten Preissteigerungen von mehr als 25 Prozent bei Lebensmitteln. Dies sei "natürlich eine Zeitbombe".
Staatsschutz ermittelt nach "Deepfake"
Nach erheblichen Zweifeln an der Echtheit des Gesprächspartners ist ein Videotelefonat von Berlins Regierender Bürgermeisterin Franziska Giffey mit dem vermeintlichen Kiewer Bürgermeister Vitali Klitschko vorzeitig abgebrochen worden. Der Verlauf des Gesprächs und die Themensetzung hätten "auf Berliner Seite ein Misstrauen hervorgerufen", teilte die Berliner Senatskanzlei mit. "Es besteht der Verdacht, dass die Person, mit der gesprochen wurde, nicht Vitali Klitschko war." Der ukrainische Botschafter Andrij Melnyk habe dies im Nachgang bestätigt.
Nach Angaben der Senatskanzlei ermittelt inzwischen der Staatsschutz beim Berliner Landeskriminalamt. Allem Anschein nach habe es sich bei dem angeblichen Klitschko um einen "Deepfake" gehandelt - eine Technologie, bei der die Gesichter echter Menschen in Fotos oder Filme eingefügt werden. Giffey erklärte: "Es gehört leider zur Realität, dass der Krieg mit allen Mitteln geführt wird - auch im Netz, um mit digitalen Methoden das Vertrauen zu untergraben und Partner und Verbündete der Ukraine zu diskreditieren."
se/jj/sti/wa/rb (dpa, afp rtr, kna)
Dieser Artikel wird am Tag seines Erscheinens fortlaufend aktualisiert. Meldungen aus den Kampfgebieten lassen sich nicht unabhängig überprüfen.