Aktuell: Russland setzt Getreideabkommen mit Ukraine aus
29. Oktober 2022
Das Wichtigste in Kürze:
- Russland setzt Getreideabkommen mit Ukraine aus
- Ukrainische Energieversorger erwarten längere Stromausfälle
- USA stellen weitere Militärhilfe für Ukraine bereit
- Russland gibt Abschluss seiner Teilmobilmachung bekannt
- EU: 300 Milliarden Euro aus Devisenreserven der russischen Zentralbank eingefroren
Russland setzt das von den Vereinten Nationen und der Türkei vermittelte Abkommen mit der Ukraine zum Export von Getreide aus ukrainischen Häfen aus. Dies teilte das Verteidigungsministerium in Moskau auf Telegram mit. Es verwies auf "einen Terrorakt gegen Schiffe der Schwarzmeerflotte und auch zivile Schiffe, welche an der Sicherung der Getreide-Korridore beteiligt sind". Der Angriff sei vom Regime in Kiew unter Teilnahme britischer Experten ausgeführt worden.
Bei ukrainischen Drohnenangriffen auf der annektierten Halbinsel Krim war nach russischen Angaben ein Kriegsschiff der Schwarzmeerflotte getroffen worden. Das Minenräumschiff "Iwan Golubez" und auch Anlagen in einer Bucht seien leicht beschädigt worden, teilte das Verteidigungsministerium in Moskau mit.
Das Ministerium warf daraufhin der britischen Marine vor, sowohl an den Angriffen auf die Schwarzmeerflotte in Sewastopol am Samstag als auch an den Explosionen an den "Nord Stream"-Pipelines in der Ostsee Ende September beteiligt gewesen zu sein.
Großbritannien dementiert Vorwürfe aus Moskau
Die britische Regierung wies dies umgehend empört zurück. "Um von ihrem katastrophalen Umgang mit der illegalen Invasion in der Ukraine abzulenken, greift das russische Verteidigungsministerium auf die Verbreitung falscher Behauptungen epischen Ausmaßes zurück", twitterte das Verteidigungsministerium in London. "Diese erfundene Geschichte sagt mehr über Streitigkeiten innerhalb der russischen Regierung aus als über den Westen." Der frühere Royal-Navy-Admiral Chris Parry erklärte: "Das ist eine glatte Lüge, und wir wissen alle, dass es die Russen waren", sagte dazu Die russische Propaganda beschuldige gerne alle anderen dessen, "was sie tatsächlich selbst getan haben". Die britische Marine besitze gar nicht die Fähigkeit, die Gasleitungen zu sprengen.
Ende September waren nach Explosionen in der Nähe der Ostsee-Insel Bornholm vier Lecks an den Pipelines entdeckt worden, die jeweils als Doppelstränge zwischen Russland und Lubmin im Nordosten Deutschlands verlaufen. Unter anderem die EU und die NATO gehen von Sabotage aus.
Wenig später legte Moskau sogar nach: Man wolle nun "die Aufmerksamkeit der internationalen Gemeinschaft insbesondere über den UN-Sicherheitsrat" auf die "Reihe von Terrorangriffen gegen Russland im Schwarzen Meer und in der Ostsee" richten und hierbei auch die "Verwicklung Großbritanniens" thematisieren, erklärte die Sprecherin des Außenministeriums, Maria Sacharowa, auf Telegram.
Die ukrainische Regierung warf derweil Russland in einer ersten Reaktion auf die Aufkündigung des Getreide-Deals, der auf eine Laufzeit von vier Monaten angelegt ist, Erpressung vor. Russland erfinde Angriffe auf eigene Einrichtungen.
Russland drohte schon seit Wochen mit einem möglichen Stopp des Abkommens, durch das seit Sommer wieder ukrainische Lebensmittel auf den Weltmarkt kommen. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj beklagte zuletzt, dass Russland die Durchfahrt der mit Getreide beladenen Schiffe blockiere. Er betonte die Bedeutung dieser Lieferungen für die Bekämpfung des Hungers in der Welt.
Ukrainische Energieversorger erwarten längere Stromausfälle
Fast vier Millionen Menschen in der Ukraine sind wegen der russischen Angriffe auf die Energieinfrastruktur von Einschränkungen bei der Stromversorgung betroffen. In vielen Städten und Regionen werde der Strom zeitweise abgestellt, "um die Lage zu stabilisieren", sagte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj. Betroffen seien unter anderem die Hauptstadt Kiew und Umgebung sowie die Provinzen Schytomyr, Poltawa, Tscherkassy, Kirowohrad, Riwne, Charkiw, Tschernihiw und Sumy.
Zuvor hatte der Stromversorger DTEK mitgeteilt, das staatliche Energieunternehmen Ukrenergo werde wegen erheblicher Schäden durch die jüngsten russischen Angriffe auf die Energieinfrastruktur in der Region um Kiew in den kommenden Tagen "beispiellose" Strombeschränkungen vornehmen müssen, um einen vollständigen Stromausfall zu verhindern. Das ukrainische Energiesystem habe "neuen Schaden erlitten", es gebe ein "Stromdefizit in Höhe von 30 Prozent des Kiewer Verbrauchs". Es könne "auf unbestimmte Zeit" zu Stromausfällen kommen, zitierte der Stromversorger den Gouverneur der Region Kiew, Oleksij Kuleba.
In Kiew war bereits in den vergangenen Tagen in wechselnden Vierteln für mehrere Stunden der Strom abgestellt worden. Damit soll versucht werden, die Netze vor Überlastung zu schützen. Die verstärkten Raketen- und Drohnenangriffe in den letzten Wochen sollen ein Drittel der Energieinfrastruktur in der Ukraine beschädigt haben.
USA stellen weitere Militärhilfe für Ukraine bereit
Zur Unterstützung der Ukraine im russischen Angriffskrieg stellen die USA dem Land weitere Militärhilfen im Wert von 275 Millionen US-Dollar zur Verfügung. Es geht um zusätzliche Waffen, Munition und Ausrüstung aus US-Beständen sowie vier Antennen für Satellitenkommunikation, wie das Pentagon in Washington mitteilte. Den Angaben zufolge erhöht sich die Militärhilfe für die Ukraine aus den USA damit auf 18,5 Milliarden US-Dollar seit Beginn der Amtszeit von US-Präsident Joe Biden im Januar 2021.
US-Außenminister Antony Blinken teilte mit, man arbeite daran, die Luftverteidigungsfähigkeit der Ukraine zu verbessern. Die beiden bodengestützten Luftverteidigungssysteme des Typs Nasams, zu deren Lieferung sich die Vereinigten Staaten verpflichtet hätten, würden nächsten Monat in die Ukraine gebracht.
Russland gibt Abschluss seiner Teilmobilmachung bekannt
Russland will 300.000 Reservisten für den Kampf mobilisiert haben. Die Teilmobilmachung ist nach Angaben von Verteidigungsminister Sergej Schoigu abgeschlossen. Rund 82.000 der Männer seien bereits im Einsatz, die übrigen würden derzeit in Russland auf den Kampf vorbereitet. Neue Maßnahmen der Mobilmachung seien nicht geplant, von nun an werde mit Freiwilligen auf Vertragsbasis gearbeitet, sagte Schoigu bei einem Treffen mit Präsident Wladimir Putin in der Nähe von Moskau. Schoigu fügte jedoch hinzu, dass Russland weiterhin Freiwillige und Soldaten auf Vertragsbasis rekrutiere.
Sowohl der Kremlchef als auch sein Minister räumten erneut ein, dass die Teilmobilmachung nicht reibungslos verlaufen sei. Schoigu versicherte jedoch, alle Probleme bezüglich der Ausrüstung seien nun "gelöst".
Hunderttausende Russen haben in den vergangenen Wochen aus Angst, in den Kriegsdienst eingezogen zu werden, das Land verlassen. In Russland sind viele Arbeitsplätze verwaist, weil die Menschen entweder im Krieg dienen oder geflohen sind. Dass Putin nun das Ende der Mobilmachung verkündete, wird deshalb auch als Versuch gesehen, Männer wieder zurück ins Land zu locken.
Selenskyj äußert Zweifel an Ende russischer Mobilisierung
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj erwartet weitere Teilmobilmachungen von Reservisten in Russland für den Krieg gegen sein Land. "Wir bereiten uns darauf vor", sagte Selenskyj in seiner am Abend verbreiteten täglichen Videobotschaft. Der ukrainische Widerstand sei so stark, dass Russland gezwungen sein werde, neue Mobilmachungen zu befehlen.
Die russischen Truppen seien so schlecht ausgebildet und ausgerüstet, dass das Land bald noch mehr Menschen mobilisieren müsse, meinte der Präsident mit Blick auf die Verluste unter den russischen Soldaten.
Ukraine meldet militärischen Erfolg in Luhansk
Eine strategisch wichtige Straße in der Region Luhansk soll nahezu unter Kontrolle der ukrainischen Armee stehen. Das berichtet der Gouverneur des Gebiets Luhansk, Serhij Hajdaj, auf Facebook. Dabei handelt es sich um eine Autobahnverbindung zwischen den Städten Kreminna und Swatowe. Entlang dieser Städte baut Russland nach der erfolgreichen Offensive der ukrainischen Streitkräfte aktuell seine neue Verteidigungslinie auf. Sollten die russischen Streitkräfte die Straße tatsächlich nicht mehr kontrollieren, wäre die Versorgungslage deutlich erschwert. Truppen und Material müssten dann über weite Umwege transportiert werden.
Russland: Drohnenangriffe in Sewastopol abgewehrt
Die russische Marine hat dem Gouverneur von Sewastopol zufolge mehrere Drohnenangriffe in der Bucht vereitelt. "In der Stadt wurde nichts getroffen. Wir bleiben ruhig. Die Lage ist unter Kontrolle", teilte der von Russland eingesetzte Gouverneur, Michail Raswoschajew, mit. Sewastopol ist die größte Stadt auf der 2014 von Russland annektierten Halbinsel Krim und Heimathafen der russischen Schwarzmeerflotte.
Die Ukraine hat erklärt, sich die von Russland seit 2014 besetzte Krim zurückzuholen. Seit Monaten werden dort immer wieder Drohnen abgeschossen. Immer wieder wird die Halbinsel auch von Explosionen erschüttert, für die Russland die Ukraine verantwortlich macht. Die Führung in Kiew bekennt sich nicht offiziell dazu.
Iran zu Gesprächen mit Kiew zum Thema Drohnen bereit
Der Iran hat seine Bereitschaft erklärt, mit der Ukraine über Vorwürfe zum Einsatz von iranischen Drohnen durch Russland im Ukraine-Krieg zu sprechen. Das sagte Außenminister Hussein Amirabdollahian in einem Telefonat mit seinem ukrainischen Kollegen Dmytro Kuleba, wie es auf der Internetseite des Ministeriums in Teheran heißt. "Wir dementieren die Vorwürfe diesbezüglich und sind auch bereit, dies in bilateralen technischen Treffen mit Kiew zu besprechen und auszuräumen", wird der iranische Chefdiplomat zitiert.
Der Iran unterhält Amirabdollahian zufolge zwar gute Beziehungen zu Russland und auch eine langjährige militärische Zusammenarbeit. Sein Land sei aber gegen den Krieg in der Ukraine und lehne eine direkte Teilnahme in dem Konflikt ab. Das ukrainische Militär hat nach eigenen Angaben seit Mitte September mehr als 300 russische Kamikaze-Drohnen vom iranischen Typ Schahed-136 abgeschossen. Die Führung in Teheran hat bislang stets bestritten, Russland mit den Drohnen beliefert zu haben.
Ukrainischer Verbandschef fordert Ausschluss Russlands aus FIFA
Der ukrainische Fußball-Verbandspräsident Andrej Pawelko hat den Ausschluss von Russland und dem Iran aus dem Weltverband FIFA gefordert. Damit reagierte Pawelko unter anderem auf mutmaßliche Pläne, Klubs von der annektierten Halbinsel Krim in den russischen Ligenbetrieb zu integrieren. Russland sei eine "terroristische Organisation, die Menschen tötet". Die offenbar geplante Integration der Mannschaften von der Krim sei zudem "ein unmittelbarer Verstoß gegen die Satzung" der internationalen Verbände, so Pawelko weiter.
Mit der Forderung von harten Maßnahmen gegen den Iran folgt er dem Vorbild mehrerer anderer Organisationen als Folge des Vorgehens des Regimes in Teheran gegen die Bürgerbewegungen im Land. Der Iran ist für die am 20. November beginnende Weltmeisterschaft in Katar qualifiziert.
EU: 300 Milliarden Euro aus Devisenreserven der russischen Zentralbank eingefroren
Die Europäische Union hat nach Angaben von Justizkommissar Didier Reynders im Zuge der Sanktionspakete gegen Russland mehr als 17 Milliarden Euro Vermögenswerte von russischen Bürgern und Einrichtungen eingefroren. Es handele sich um Vermögen von 90 Personen in sieben Mitgliedstaaten, davon 2,2 Milliarden Euro in Deutschland, sagte der Belgier den Zeitungen der Funke Mediengruppe. Als Teil der westlichen Sanktionen seien zudem rund 300 Milliarden Euro aus Devisenreserven der russischen Zentralbank eingefroren worden.
Vor allem ukrainische Politiker fordern immer wieder, dass die blockierten Gelder für den Wiederaufbau des Landes nach dem Krieg genutzt werden. Die EU hat seit Beginn des russischen Kriegs gegen die Ukraine vor acht Monaten inzwischen acht Sanktionspakete beschlossen.
qu/fw/sti/AR/kle/hf (dpa, rtr, afp, ap)
Dieser Artikel wird am Tag seines Erscheinens fortlaufend aktualisiert. Meldungen aus den Kampfgebieten lassen sich nicht unabhängig überprüfen.