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KonflikteUkraine

Ukraine aktuell: Luftraum-Sicherung hat Priorität

15. Februar 2023

Der deutsche Verteidigungsminister Pistorius sieht die Kampfjet-Frage derzeit nicht im Fokus. Die USA vergeben großen Rüstungsauftrag. Philosoph Jürgen Habermas plädiert für Verhandlungen. Nachrichten im Überblick.

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Verteidigungsminister Boris Pistorius am Dienstag  beim Treffen der NATO-Ressortchefs in Brüssel
Verteidigungsminister Boris Pistorius am Dienstag beim Treffen der NATO-Ressortchefs in Brüssel Bild: JOHANNA GERON/REUTERS

 

Das Wichtigste in Kürze:

  • Pistorius: Sicherung des Luftraums über der Ukraine ist vordringlich
  • Von der Leyen nennt Details zum nächsten Sanktionspaket der EU
  • Selenskyj bezeichnet Lage an der Front als extrem schwierig
  • USA vergeben großen Munitions-Auftrag an zwei Konzerne
  • Moldau sperrt wegen Flugobjekt kurzzeitig den Luftraum

 

In der Diskussion über weitere Militärhilfen für die Ukraine sieht Deutschlands Verteidigungsminister Boris Pistorius die Frage nach der Lieferung von Kampfjets derzeit nicht im Fokus. Es gebe eine andere Herausforderung, und zwar den Luftraum über der Ukraine zu sichern, sagte der Minister der ARD. Dazu brauche es eine funktionierende Luftverteidigung mit ausreichend Munition: "Wenn der Himmel über der Ukraine in den nächsten drei bis vier Monaten sicher bleibt, dann kann man über alle weiteren Schritte reden - insbesondere der Einsatz von Panzerverbänden macht dann erst richtig Sinn", sagte Pistorius.

Im Zusammenhang mit der Lieferung von Kampfpanzern sei es "ein klein bisschen enttäuschend", dass bisher nur Polen, Norwegen und Portugal als europäische Partner Panzer zugesagt hätten, erklärte er weiter. Die ersten Leopard-2-Panzer aus Deutschland sollen laut Pistorius in der letzten März-Woche in der Ukraine ankommen.

Der Bundesverteidigungsminister rief zugleich die Rüstungsindustrie dazu auf, mehr Munition zu produzieren, auch wenn entsprechende Verträge noch nicht unterschrieben seien. Die Ukraine verfügt nach Angaben von Pistorius noch über so viel Munition für den Flugabwehrpanzer Gepard, dass dies bis Sommer reichen müsste. Man müsse aber in allen Depots nachschauen, um zu sehen, was man der Ukraine noch liefern könne, sagte er nach dem Treffen der NATO-Verteidigungsminister. 

Von der Leyen nennt Details zum nächsten Sanktionspaket der EU

EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen hat weitere Details zu geplanten neuen Handelsbeschränkungen gegen Russland bekanntgegeben. Konkret schlage die Kommission Beschränkungen für Dutzende elektronische Bauteile vor, die in russischen Waffensystemen wie Drohnen, Flugkörpern und Hubschraubern verwendet würden, sagte von der Leyen in Straßburg.

Ursula von der Leyen im Europäisches Parlament in Straßburg (15.02.2023)
EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen: "Ihre Lügen vergiften"Bild: Jean-Francois Badias/AP/dpa/picture alliance

Russland setze aber auch Hunderte von Drohnen iranischer Bauart in der Ukraine ein. Deshalb schlage man vor, auch iranische Unternehmen ins Visier zu nehmen, auch solche mit Nähe zur Revolutionsgarde.

Bereits vergangene Woche hatte von der Leyen bei einem EU-Gipfel bekräftigt, dass ihre Behörde in den kommenden Tagen das zehnte Sanktionspaket gegen Russland vorschlagen werde. Das Paket umfasse auch weitere Sanktionen gegen eine Reihe von politischen und militärischen Führern. "Wir werden gegen Putins Propagandisten vorgehen, denn ihre Lügen vergiften den öffentlichen Raum in Russland und im Ausland", so die Kommissionschefin. Das neue Sanktionspaket soll zum Jahrestag des Kriegsbeginns am 24. Februar beschlossen sein.

Selenskyj spricht von "extrem schwieriger" Lage

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat die Situation an der Front als "extrem schwierig" beschrieben. Insbesondere in den ostukrainischen Regionen Donezk und Luhansk gebe es "buchstäblich einen Kampf um jeden Meter ukrainischen Landes", sagte Selenskyj in seiner abendlichen Videobotschaft.

Ukrainische Soldaten an der Front bei Bachmut
Ukrainische Soldaten an der Front bei BachmutBild: Yevhenii Zavhorodnii/REUTERS

Reporter der Nachrichtenagentur AFP hörten am Dienstag nahe der umkämpften Stadt Bachmut heftiges Artilleriefeuer. Seit mehreren Monaten versuchen die russischen Streitkräfte und Söldner der Gruppe Wagner, Bachmut zu erobern. Bei den heftigen Kämpfen haben beide Seiten schwere Verluste erlitten. Die in der Bergbauregion gelegene Stadt hat sich zu einem wichtigen politischen und symbolischen Ziel entwickelt. Der Kreml in Moskau verfolgt die Absicht, die Region Donezk komplett unter Kontrolle zu bringen.

Resnikow: Ich bleibe Verteidigungsminister

Seit Wochen gibt es immer wieder Spekulationen über die Zukunft des ukrainischen Verteidigungsministers Olexij Resnikow. Zwischenzeitlich hieß es bereits, er sei zurückgetreten. Jetzt äußerte sich Resnikow in einem Interview mit der Agentur Reuters zu den widersprüchlichen Meldungen über seinen Verbleib auf dem Posten.

Der ukrainische Verteidigungsminister Olexij Resnikow
Der ukrainische Verteidigungsminister Olexij ResnikowBild: Boris Roessler/dpa/picture alliance

Präsident Wolodymyr Selenskyj habe ihn gebeten, im Amt zu bleiben, sagte Resnikow. Auf die Frage in dem Reuters-Interview, ob er in den kommenden Monaten weiter als Verteidigungsminister im Amt sein werde, erklärte Resnikow ausdrücklich: "Ja, das war die Entscheidung meines Präsidenten." Ein Abgeordneter von Selenskyjs Partei hatte erklärt, Resnikow werde abgelöst.

Sechs Jahre Haft wegen Äußerung zu Ukraine-Offensive

Eine russische Journalistin ist wegen kritischer Äußerungen zu Moskaus Angriff auf die Ukraine zu sechs Jahren Haft verurteilt worden. Maria Ponomarenko sei wegen der Verbreitung von Falschinformationen über die russische Armee von einem Gericht in der südsibirischen Stadt Barnaul schuldig gesprochen worden, teilte das für schwere Straftaten zuständige Untersuchungskomitee mit.

Ponomarenko war nach ihrer Festnahme im April 2022 in St. Petersburg in ein Gefängnis nach Barnaul verlegt worden. Ihr Anwalt äußerte sich nach Angaben der Bürgerrechtsorganisation OWD-Info besorgt über den sich verschlechternden psychischen Zustand seiner Mandantin und forderte eine Behandlung der 44-Jährigen.

Wenige Tage nach Beginn des russischen Angriffskriegs am 24. Februar 2022 hatte das vom Kreml kontrollierte Parlament ein Gesetz verabschiedet, das die Verbreitung "falscher Informationen" über den Militäreinsatz des Landes in der Ukraine unter Strafe stellt.

USA lassen für 522 Millionen Dollar Munition herstellen

Die US-Regierung hat einen 522 Millionen Dollar (486 Millionen Euro) schweren Rüstungsauftrag an zwei Konzerne vergeben, die mit dem Geld Artillerie-Munition für die ukrainische Armee produzieren sollen. Die erste Munition aus diesem Auftrag solle bereits im kommenden Monat geliefert werden, teilte die US-Armee mit. Der Auftrag ging an die Unternehmen Northrop Grumman Systems und Global Military Products.

Erst am Montag hatte NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg darauf hingewiesen: "Die gegenwärtige Frequenz des Munitionsverbrauchs der Ukraine ist um ein Vielfaches höher als unsere gegenwärtige Produktionsrate."

Großbritannien bildet ukrainische Soldaten nach den Worten von Verteidigungsminister Ben Wallace für einen Kampf mit weniger Munition aus. "Die Ukraine verbraucht riesige Mengen Munition, um sich selbst zu verteidigen", sagt Wallace dem Sender Times Radio. "Das ist einer der Gründe, warum wir sie
darin unterrichten, auf westliche Art zu kämpfen." Die russische oder sowjetische Art zu kämpfen sei sehr "munitionslastig" mit massiven Artillerie-Bombardements. "So haben wir uns nie organisiert, um in der NATO zu kämpfen."

UN fordern 5,6 Milliarden Dollar für humanitäre Hilfe

Die Vereinten Nationen haben zur Unterstützung der Menschen in der Ukraine und von Kriegsflüchtlingen in den Nachbarländern mehr als fünf Milliarden Euro von der internationalen Gemeinschaft gefordert. In diesem Jahr würden 5,6 Milliarden Dollar (5,2 Milliarden Euro) benötigt, um mehr als 15 Millionen notleidenden Menschen humanitäre Hilfe zukommen zu lassen, teilte UN-Nothilfekoordinator Martin Griffiths mit. 3,9 Milliarden Dollar seien für Hilfe in der Ukraine vorgesehen, die restlichen 1,7 Milliarden Dollar für Flüchtlinge - vor allem in Polen und Moldau.

Fast ein Jahr nach dem Beginn der russischen Invasion verursache der Krieg weiterhin täglich "Tod, Zerstörung und Vertreibung, und zwar in einem erschütternden Ausmaß", erklärte Griffiths. "Das Leiden der ukrainischen Bevölkerung ist noch lange nicht vorbei - sie braucht weiterhin internationale Unterstützung." Es müsse auch sichergestellt werden, dass die humanitäre Hilfe die Menschen in der Nähe der Front erreiche.

Moldau sperrt wegen Flugobjekt kurzzeitig Luftraum

Die an die Ukraine grenzende Republik Moldau hat am Dienstag vorübergehend ihren Luftraum wegen eines Flugobjekts gesperrt, das Behörden zufolge einem Wetterballon ähnelte. Die zivile Flugbehörde des Landes erklärte, sie sei über ein "kleines unidentifiziertes Objekt" informiert worden. Weil die Wetterbedingungen eine genauere Untersuchung verhindert hätten, sei der Luftraum gesperrt worden, "um den Schutz und die Sicherheit der zivilen Luftfahrt sicherzustellen".

Eine moldauische Zeitung berichtete, eine "ausländische Drohne" sei ohne Erlaubnis in den Luftraum eingedrungen. Der Vorfall ereignete sich einen Tag, nachdem Moldaus Präsidentin Maia Sandu Russland vorgeworfen hatte, einen gewaltsamen Umsturz in ihrem Land zu planen. Der Kreml in Moskau bestreitet die Vorwürfe.

Im Nachbarland Rumänien wurde in etwa 3400 Metern Höhe ebenfalls ein Flugobjekt gesichtet, das äußerlich einem Wetterballon ähnelte. Ob es sich um dasselbe Objekt handelte, blieb unklar. Zwei rumänische Kampfjets unter NATO-Kommando konnten das Objekt bei einem Aufklärungsflug nicht ausfindig machen, wie das Verteidigungsministerium in Bukarest mitteilte.

Russen in Baikonur sollen Entschädigung für Kriegsdienst erhalten

Die Behörden der unter Verwaltung Russlands stehenden Stadt Baikonur in Kasachstan haben russischen Bewohnern eine Entschädigung für den Kriegsdienst in der Ukraine angeboten. Die Zahlungen seien für Bürger bestimmt, die bereits mobilisiert worden seien oder sich freiwillig gemeldet hätten, teilte die Stadtverwaltung mit.

Zuvor hatte die Staatsanwaltschaft in Baikonur erklärt, dass Freiwillige, die sich der russischen Armee anschließen wollen, 260.000 Rubel (rund 3300 Euro) erhalten sollen. In Russland beträgt die von Moskau an freiwillige Kämpfer gezahlte Entschädigung mindestens 195.000 Rubel (knapp 2500 Euro).

Eine russische Sojus-Rakete beim Start in Baikonur (Foto von August 2022)
Eine russische Sojus-Rakete beim Start in Baikonur (Foto von August 2022)Bild: picture alliance / ASSOCIATED PRESS

Baikonur liegt in der kasachischen Steppe und ist bekannt für den Weltraumbahnhof, von dem aus Sojus-Raketen ins All starten. Die Stadt mit ihren 75.000 Einwohnern und der Weltraumbahnhof sind bis 2050 an Russland verpachtet.

Habermas für Verhandlungen

Der bekannte deutsche Philosoph Jürgen Habermas hat sich mit Blick auf den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine für Verhandlungen ausgesprochen. Zwar leiste der Westen aus guten Gründen militärische Hilfe an die Ukraine, schrieb der 93-Jährige in einem Gastbeitrag für die "Süddeutsche Zeitung". Daraus erwachse aber auch Verantwortung. "Aus der Perspektive eines Sieges um jeden Preis hat die Qualitätssteigerung unserer Waffenlieferungen eine Eigendynamik entwickelt, die uns mehr oder weniger unbemerkt über die Schwelle zu einem dritten Weltkrieg hinaustreiben könnte", warnte er.

Inzwischen tauchten kritische Stimmen auf, die auf ein Nachdenken über den schwierigen Weg zu Verhandlungen drängten. "Wenn ich mich diesen Stimmen anschließe, dann gerade weil der Satz richtig ist: Die Ukraine darf den Krieg nicht verlieren", schrieb Habermas, der einräumte, dass es derzeit keine Anzeichen dafür gebe, dass sich der russische Präsident Wladimir Putin auf Verhandlungen einlassen werde.

Soziologe und Philosoph Jürgen Habermas
Der Soziologe und Philosoph Jürgen Habermas (Archivfoto von 2018) Bild: Janine Schmitz/photothek/imago images

Ihm gehe es um den vorbeugenden Charakter rechtzeitiger Verhandlungen, so Habermas. Diese verhinderten, dass ein langer Krieg noch mehr Menschenleben und Zerstörungen fordere - "und uns am Ende vor eine ausweglose Wahl stellt: entweder aktiv in den Krieg einzugreifen oder, um nicht den Ersten Weltkrieg unter nuklear bewaffneten Mächten auszulösen, die Ukraine ihrem Schicksal zu überlassen".

qu/gri/sti/AR/se/ehl (rtr, dpa, afp, ard, sz)

Dieser Artikel wird am Tag seines Erscheinens fortlaufend aktualisiert. Meldungen aus Kampfgebieten lassen sich nicht unabhängig überprüfen.