1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
KonflikteUkraine

Ukraine aktuell: Kiew will Bachmut halten

6. März 2023

Nach Spekulationen um einen ukrainischen Abzug aus Bachmut, gibt es jetzt eine offizielle Stellungnahme. Die SPD-Spitze sagte der Ukraine bei einem Besuch in Kiew ihre "uneingeschränkte" Unterstützung zur. Ein Überblick.

https://p.dw.com/p/4OHbc
Ein ukrainischer Schützenpanzer patrouilliert durch eine Straße der umkämpften Stadt Bachmut
Ein ukrainischer Schützenpanzer patrouilliert durch eine Straße der umkämpften Stadt BachmutBild: Alex Babenko/REUTERS

 

Das Wichtigste in Kürze:

  • Ukraine will umkämpftes Bachmut weiter verteidigen
  • Pistorius besucht Bundeswehrtruppen in Litauen
  • SPD-Spitze verspricht in Kiew "uneingeschränkte" Unterstützung 
  • Milliardenschaden an ukrainischer Infrastruktur
  • Russland droht größeres Haushaltsloch 

 

Die ukrainische Armee will die heftig umkämpfte Stadt Bachmut trotz fast vollständiger Einkreisung nicht aufgeben. Das teilte die ukrainische Regierung nach einer Lagebesprechung mit Präsident Wolodymyr Selenskyj, Oberbefehlshaber Walerij Saluschnyj und dem Chef der Landstreitkräfte Olexander Syrskyj mit. Die beiden Militärs sprachen sich demnach für "die Fortsetzung der Verteidigungsoperation und die weitere Stärkung unserer Positionen in Bachmut aus", hieß es weiter. Zuvor hatte es Spekulationen über einen möglichen Abzug der ukrainischen Truppen aus Bachmut gegeben.

Ukrainischer Teilabzug weiter möglich

Beobachtern zufolge könnte die Mitteilung auch eine Reaktion auf Gerüchte über ein Zerwürfnis zwischen Selenskyj und Saluschnyj über das Vorgehen in Bachmut sein. Trotz der offiziellen Stellungnahme halten Militärbeobachter weiter einen Teilabzug der ukrainischen Streitkräfte für möglich. "Die ukrainischen Kräfte könnten sich, angesichts der durch Bilder mit Geolocation bestätigten Zerstörung der Eisenbahnbrücke über den Fluss im Nordosten von Bachmut am 3. März, von ihren Positionen am Ostufer des Bachmutka-Flusses zurückziehen", schrieb das in den USA ansässige Institut für Kriegsstudien (ISW). 

Um die im Osten des Landes gelegene Stadt, in der vor dem Krieg rund 70.000 Einwohner lebten, wird seit vergangenem Sommer gekämpft. Nach Einschätzung von Experten hat Bachmut nach der Vertreibung der russischen Truppen aus dem Gebiet Charkiw jedoch keine große strategischer Bedeutung mehr. Für die russische Militärführung hätte die Einnahme aber wohl große Symbolkraft, da sie Erfolge vorweisen muss. Die ukrainische Seite hält weiter an Bachmut fest, da die gut ausgebauten Stellungen in der Stadt es ermöglichten, den Angreifern hohe Verluste bei ihrem langsamen Vormarsch zuzufügen.

Pistorius besucht Bundeswehrtruppen in Litauen

Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius ist zu einem Besuch in Litauen eingetroffen. Der SPD-Politiker besuchte am Montagabend zunächst das Bundeswehrkontingent der NATO-Kampfgruppe Enhanced Forward Presence (EFP). Deutschland leitet die multinationale Kampftruppe zur Sicherung der Ostflanke des Bündnisses. „Dieses Engagement an der Ostflanke ist so wichtig, wie es seit Ende des Kalten Krieges nicht war“, sagte Pistorius nach der Begrüßung durch den Kontingentführer Oberst Wolfgang Schmidt in Rukla.

Litauen: Bundeswehr unterstützt NATO-Frontstaat

Die Personalstärke der EFP liegt zwischen 1500 und 1700 Soldaten, etwa 850 davon sind Deutsche. Nach der russischen Invasion in der Ukraine vor einem Jahr hat die Bundeswehr im Rahmen der NATO außerdem eine weitere Kampfbrigade nach Litauen verlegt. Bei seinem Besuch in Litauen wird Pistorius am Dienstag die Übung "Griffin Lightning" auf dem Truppenübungsplatz Pabrade beobachten, bei der die etwa 600 Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr zusammen mit litauischen Soldatinnen und Soldaten die Verteidigung Litauens gegen einen potenziellen Aggressor üben. Im Anschluss sind Gespräche mit der Regierung in der Hauptstadt Vilnius geplant.

SPD-Spitze zu Besuch in Kiew

Der SPD-Vorsitzende Lars Klingbeil und Fraktionschef Rolf Mützenich haben der Ukraine bei einem gemeinsamen Besuch in Kiew anhaltende Unterstützung versprochen – auch militärische. Es gehe nun vor allem um die schnelle Lieferung der versprochenen Leopard-2-Kampfpanzer und eine schnellere Produktion von Munition, sagte Klingbeil nach einem Gespräch mit Außenminister Dmytro Kuleba.

Beide SPD-Politiker trafen später auch Präsident Wolodymyr Selenskyj. Selensky dankte anschließend nochmals für deutsche Unterstützung seit den ersten Kriegstagen und hob hervor, dass es "ist wichtig, die Beziehungen in unserem Bündnis weiter zu stärken". Mützenich betonte: „Wir stehen an der Seite der Ukraine, wenn es um das Selbstverteidigungsrecht geht.“ Der SPD-Fraktionschef dankte zugleich Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) dafür, dass er seit Monaten Kontakt zu den Ländern suche, die gebraucht würden, "um einen diplomatischen Pfad zu gehen".

SPD-Chef Lars Klingbeil und SPD-Bundestagsfraktionschef Rolf Mützenich vor einem Waggon
SPD-Chef Lars Klingbeil (l.) und SPD-Bundestagsfraktionschef Rolf Mützenich (M,) am Bahnhof von Kiew Bild: Fion Große/SPD/picture alliance/dpa

Für die beiden SPD-Politiker, die mit einem Sonderzug nach Kiew gereist waren, war es der erste Besuch in der Ukraine seit der russischen Invasion vor einem Jahr. Neben Kuleba trafen Klingbeil und Mützenich auch Ministerpräsident Denys Schmyhal, Parlamentspräsident Ruslan Stefantschuk sowie den Kiewer Bürgermeister Vitali Klitschko und dessen Bruder Wladimir. Die SPD hat in der Ukraine wegen ihrer Russland-Politik vor der Invasion einen schweren Stand. Ihr wird vorgeworfen, den russischen Präsidenten Wladimir Putin falsch eingeschätzt und zu stark auf Kooperation mit Russland gesetzt zu haben. Sowohl Klingbeil als auch Mützenich haben offen Fehler eingestanden.

Milliardenschaden an ukrainischer Infrastruktur

Ein kürzlich veröffentlichter Bericht der Kyiv School of Economics beziffert den Gesamtschaden an der ukrainischen Infrastruktur auf fast 129 Milliarden Euro. Tymofiy Mylovanov, Präsident der Kyiv School of Economics und Berater der Senlenkyj-Regierung, erklärte im Gespräch mit der Deutschen Welle, die meisten Schäden seien an Wohnhäusern entstanden. Insgesamt seien fünf bis sieben Prozent aller Wohnungen im Land zerstört, eine Städte sogar vollständig. 

Der zweite stark betroffene Bereich sei die Infrastruktur, insbesondere Logistik, Straßen und Elektrizität. "Hier sehen wir die größten Schäden", sagte Mylovanov. "Um die Schäden zu beheben, müssen wir uns auf die Stromversorgung, aber auch auf die Logistik, auf Straßen, Brücken, Verbindungen und Lagerhäuser konzentrieren." Bei der Bewertung der Schäden müsse man zwischen den Gebieten in der Nähe der Frontlinie und den weiter entfernten Gebieten, die besser geschützt zu sein scheinen, unterscheiden, betonte der Wirtschaftswissenschaftler. 

Russland droht größeres Haushaltsloch 

Russland droht ein noch größeres Haushaltsdefizit in diesem Jahr als ohnehin befürchtet. Der russische Staatshaushalt weise nach den Monaten Januar und Februar bereits ein Minus von 2,581 Billionen Rubel (32,3 Milliarden Euro) auf, teilte das Finanzministerium der russischen Nachrichtenagentur Interfax zufolge mit. Das sind schon jetzt fast 90 Prozent des für das Gesamtjahr eingeplanten Defizits von 2,925 Billionen Rubel (36,6 Milliarden Euro). Im Vorjahreszeitraum hatte Russland noch einen Überschuss von 415 Milliarden Rubel (5,2 Milliarden Euro) erzielt.

Problematisch für den russischen Haushalt ist vor allem der Einbruch bei den Öl- und Gaseinnahmen. Die sind den vorläufigen Berechnungen des Ministeriums zufolge um fast die Hälfte gesunken. Dies hänge vor allem mit dem niedrigeren Ölpreis und dem gesunkenen Export von Erdgas zusammen, teilte das Finanzministerium mit.

Streit zwischen Wagner-Truppe und Moskau spitzt sich zu

Der Streit zwischen der russischen Regierung und der Söldnertruppe Wagner verschärft sich offenbar weiter. Wagner-Gründer Jewgeni Prigoschin erklärt auf Telegram, seinem Vertreter sei der Zugang zum russischen Einsatzhauptquartier in der Ukraine verwehrt worden. Von einem Rückzug seiner Einheiten sprach er allerdings nicht. "Wir werden weiterhin die ukrainischen Streitkräfte bei Bachmut vernichten", sagte er.

Zuvor hatte Prigoschin Russland vor einem Frontzusammenbruch bei der schwer umkämpften Stadt Bachmut gewarnt, wenn seine Kräfte dort nicht bald die versprochene Munition bekämen und sich deshalb zurückziehen müssten. "Wenn Wagner sich jetzt aus Bachmut zurückzieht, wird die gesamte Front zusammenbrechen", sagte Prigoschin in einem auf Telegram veröffentlichten Video. Das Video wurde auf einem inoffiziellen Kanal veröffentlicht, der Prigoschin-Nachrichten verbreitet.

Ukraine | Krieg | Videostill Wagner-Chef Jewgeni Prigoschin
Jewgeni Prigoschin im KampfmonturBild: Konkord Company Press Service/ITAR-TASS/IMAGO

Der Streit über die Munition zieht sich bereits seit einiger Zeit hin und bringt Prigoschin vor allem gegen Verteidigungsminister Sergej Schoigu und Generalstabschef Waleri Gerassimow auf. Am Sonntag hatte Prigoschin nach eigenen Angaben schriftlich bei der russischen Militärführung in der Ukraine - Gerassimow selbst - Munitionsnachschub gefordert.

Scholz: Putin hat Einigkeit des Westens unterschätzt 

Der russische Präsident Wladimir Putin habe "die Einigkeit Europas, der Vereinigten Staaten und aller Freunde der Ukraine sowie die ständige Lieferung von Waffen, die wir der Ukraine zur Verfügung stellen, falsch eingeschätzt", sagte Bundeskanzler Olaf Scholz auf Englisch in einem Interview des US-Senders CNN. So seien die Ukrainer in der Lage gewesen, ihr Land zu verteidigen. "Und sie werden auch in Zukunft in der Lage sein, dies zu tun", meinte Scholz. Zugleich bekräftigte er, dass es weitere Waffenlieferungen geben werde.

USA | Bundeskanzler Scholz beim Antrittsbesuch in den Washington (2022)
Das CNN-Interview wurde während des Kurzbesuchs von Olaf Scholz in Washington aufgezeichnetBild: Kay Nietfeld/dpa/picture alliance

"Wir sind jetzt der stärkste Unterstützer der Ukraine in Kontinentaleuropa, und das werden wir auch weiterhin sein", betonte Scholz mit Blick auf Deutschland. Die Bundesrepublik habe im vergangenen Jahr 14 Milliarden Euro auf die eine oder andere Weise zur Unterstützung der Ukraine ausgegeben.

Deutschland habe sich von der Versorgung mit Gas, Kohle und Öl aus Russland unabhängig gemacht, führte der Kanzler weiter aus. "Niemand hat vor einem Jahr wirklich erwartet, dass wir eine Situation, in der es keine Gaslieferungen aus Russland mehr nach Deutschland und in viele Teile Europas gibt, wirtschaftlich leicht überleben würden." Deutschland aber habe die Importe von Flüssigerdgas (LNG) aus den westlichen Teilen Europas erhöht, neue Terminals in Norddeutschland gebaut und die Laufzeiten der Atomkraftwerke verlängert. "Und so haben wir es geschafft - und nichts von dem, was manche Leute erwarten haben, ist passiert. Es gibt keine Wirtschaftskrise in Deutschland, es gibt keine Gasknappheit oder so etwas in der Art."

Deutschland | Schwimmendes LNG-Terminal in Brunsbüttel angekommen
Schwimmendes LNG-Terminal "Höegh Gannet" im Industriehafen Brunsbüttel (Archivfoto)Bild: Marcus Brandt/dpa/picture alliance

Neuer Chef der Anti-Korruptionsbehörde

Nach den Korruptionsaffären der vergangenen Wochen setzt die ukrainische Regierung nun auf einen neuen Chefaufseher. Semen Krywonos, bislang Leiter des Amts für Städteplanung und Architektur, werde neuer Chef der Nationalen Anti-Korruptionsbehörde, gab die Regierung bei einer live übertragenen Kabinettssitzung bekannt.

Präsident Wolodymyr Selenskyj hatte bereits einige Personalwechsel vorgenommen. Die EU hat wiederholt deutlich gemacht, die Ukraine müsse energischer gegen Korruption vorgehen. Das ist auch eine der Bedingungen für einen Beitritt der Ukraine zur Europäischen Union.

Von der Leyen: Keine Beweise für Waffen aus China

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat sich zurückhaltend zur Frage von Sanktionen gegen China geäußert, falls die Volksrepublik Waffen an Russland liefern sollte. "Bisher haben wir keine Beweise dafür. Aber man muss jeden Tag das beobachten", sagte von der Leyen bei einem gemeinsamen Auftritt mit Bundeskanzler Olaf Scholz am Rande der Kabinettsklausur in Meseberg bei Berlin. Scholz betonte: "Wir sind uns alle einig, dass es keine Waffenlieferungen geben darf." Er fügte hinzu: "Die chinesische Regierung hat ja bekundet, auch keine zu liefern. Das fordern wir ein und das beobachten wir."

Selenskyj: Bestrafung der Aggressoren kein Traum

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj ist nach eigenen Worten fest davon überzeugt, dass die Verantwortlichen in Russland für den Ukraine-Krieg ihrer gerechten Strafe entgegensehen. "Alle russischen Mörder, jeder Organisator dieser Aggression, jeder, der in irgendeiner Weise für den Krieg gegen unser Land und den Terror gegen unser Volk sorgt, sie alle müssen bestraft werden", betonte Selenskyj. Der Grundstein dafür sei bereits bei der internationalen Konferenz "United for Justice" (Vereint für Gerechtigkeit) kürzlich in Lwiw gelegt worden. Die Bestrafung der Verantwortlichen sei "nicht nur ein Traum von Gerechtigkeit", unterstrich Selenskyj. "Das ist eine Arbeit, die bereits im Gange ist." Die Welt sei "stark genug", um Russland für den Krieg zu bestrafen. "Und wir werden der Welt den Mut und die Mittel geben, um die Bestrafung zu vollziehen."

Ukraine | Videoansprache von Präsident Selenskyj
Wolodymyr Selenskyj richtet täglich Videobotschaften an sein Volk und die WeltBild: Presidential Office of Ukraine

Bei der Konferenz im westukrainischen Lwiw wurde unter anderem vereinbart, ein neues Internationales Zentrum für die Verfolgung von Kriegsverbrechen einzurichten. Das Zentrum soll Beweise für künftige Gerichtsverfahren sichern. Die Ukraine bemüht sich seit Monaten darum, mit ihren Unterstützern einen internationalen Gerichtshof nach dem Vorbild des Nürnberger Tribunals für Nazi-Kriegsverbrecher zu bilden. An dem Treffen in Lwiw hatte auch US-Justizminister Merrick Garland teilgenommen.

Finnland setzt auf Abschreckungspotenzial der NATO

Mit Blick auf den Ukraine-Krieg erachtet Finnlands Armeechef Timo Kivinen einen Beitritt seines bisher neutralen Landes zur NATO als notwendig. "Wir wollen niemanden bedrohen, aber mit der NATO gebe es mehr Abschreckungspotenzial", sagte der General dem Zweiten Deutschen Fernsehen (ZDF). "In unserer Geschichte hatten wir mehrere Kriege mit Russland, der Sowjetunion. Wir wissen hier alle: Unser Nachbar ist eine starke Macht. Und wir müssen bereit sein, unser Land zu verteidigen", so Kivinen weiter. "In den 90er Jahren hatten wir auch bei uns eine Diskussion, ob wir wie die meisten Staaten in Europa unsere Landesverteidigung abbauen sollten, aber wir waren klug genug, das nicht zu tun - und das zahlt sich jetzt aus."

Finnland | Armeechef Timo Kivinen
Timo Kivinen (Archivfoto) möchte Finnland so schnell wie möglich in der NATO sehenBild: Markku Ulander/Lehtikuva/dpa/picture alliance

Finnland hat eine rund 1300 Kilometer lange Grenze zu Russland. Das nordeuropäische Land bemüht sich seit Monaten - ebenso wie Schweden - um Aufnahme in die NATO. Die endgültige Entscheidung über einen Beitritt steht noch aus, diese wird insbesondere durch die Türkei verzögert.

wa/ack/se/ww/nob (dpa, afp, rtr, Deutsche Welle)

Dieser Artikel wird am Tag seines Erscheinens fortlaufend aktualisiert. Meldungen aus den Kampfgebieten lassen sich nicht unabhängig überprüfen.