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PolitikEuropa

Aktuell: "Deutschland könnte so viel mehr"

30. Oktober 2022

Der neue ukrainische Botschafter in Berlin nimmt sich Deutschland zur Brust. Kiew schließt Verhandlungen mit Moskau aus. Und Biden empört sich über Russlands Getreide-Blockade. Der Überblick.

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Oleksij Makejew, Botschafter der Ukraine in Berlin
Oleksij Makejew ist der neue Botschafter der Ukraine in BerlinBild: Michele Tantussi/REUTERS


Das Wichtigste in Kürze:

  • Botschafter Oleksij Makejew fordert mehr Tempo von Deutschland

  • Kiewer Berater optimistisch wegen Einigung über Panzerlieferung 

  • Selenskyjs Stabschef schließt Verhandlungen mit Russland aus

  • Slowenien liefert 28 Kampfpanzer an Ukraine

  • Baerbock: Moskau darf Sicherheit der Getreideschiffe nicht gefährden

 

Der neue ukrainische Botschafter in Deutschland, Oleksij Makejew, fordert von der Bundesregierung mehr Tempo bei der Unterstützung seines Landes. "Wenn ich Deutschlands Agieren in diesem Krieg anschaue, denke ich manchmal: Da fährt ein deutscher Sportwagen mit Tempo 30 über die Autobahn", sagt Makejew der Wochenzeitung "Bild am Sonntag" (BamS). Anstatt schnell zu liefern, was im Kampf gegen die Russen helfen würde, werde wochenlang erklärt, warum sich die ukrainischen Forderungen nicht erfüllen ließen. "Ihr könntet so viel mehr, so viel schneller."

Der Diplomat warnt zudem davor, russische Kriegsdienstverweigerer aufzunehmen. "Da fliehen junge Männer, die nichts bereuen, sich trotzdem vor dem Militärdienst drücken wollen und am Ende Russlandfahnen schwenkend in Autokorsos durch deutsche Städte fahren." Makejew sieht vor allem ein "Sicherheitsrisiko" - für Deutschland, aber auch für die Geflüchteten aus der Ukraine. "Es wäre falsch von Deutschland, russische Deserteure aufzunehmen."

Podoljak rechnet mit schneller Einigung über Panzer

Der Berater des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj, Mychailo Podoljak, rechnet mit einer schnellen Einigung mit der deutschen Bundesregierung über die Lieferung von westlichen Kampf- und Schützenpanzern. "Ich denke, dass wir für die Panzer einen Konsens mit unseren deutschen Partnern finden", sagte Podoljak der "Welt am Sonntag". Es gebe Fortschritte bei den Gesprächen zwischen den beiden Ländern. "Wir sind bereit, jeden Preis für die Sicherheit von Europa zu bezahlen. Aber helfen Sie uns mit Waffen!", appellierte er an die Deutschen.

Mychailo Podoljak, der Berater des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj
Mychailo Podoljak: "Ich denke, dass wir für die Panzer einen Konsens mit unseren deutschen Partnern finden"Bild: Kyodo/picture alliance

Die Rückeroberung weiterer Gebiete im Süden und Osten der Ukraine hänge auch wesentlich von weiteren Waffenlieferungen ab, fügte Podoljak hinzu. Gerade die Panzer könnten für eine Beschleunigung auf dem Schlachtfeld und für die Befreiung von Orten in den Regionen Cherson, Saporischschja, Luhansk und Donezk sorgen. "Und Deutschland könnte uns dabei mit den Leopard- und Marder-Panzern optimal helfen." Bislang lehnt die Bundesregierung die Lieferung von Panzern westlicher Bauart an die Ukraine ab. 

Litauen als Reparaturbetrieb für deutsche Panzerhaubitzen  

Litauen hat zwei weitere Panzerhaubitzen 2000 nach ihrer Instandsetzung in dem baltischen Land wieder in die Ukraine zurückgeschickt. Zwei weitere Haubitzen sollen sich laut dem Verteidigungsministerium in Vilnius auf dem Weg zur Reparatur nach Litauen befinden. 

Bundeswehr-Panzerhaubitze vom Typ 2000
Wird unter hoher Belastung offenbar schnell mürbe: eine Bundeswehr-Panzerhaubitze vom Typ 2000 Bild: Michael Kappeler/dpa/picture alliance

Die Panzerhaubitzen waren von Deutschland und den Niederlanden an die Ukraine geliefert worden. Wegen der hohen Schussfolge im Gefecht sollen nach einem Bericht des Nachrichtenmagazins "Der Spiegel" aber gut ein Drittel der deutschen Geschütze bereits reparaturbedürftig sein. Nach Angaben des Ministeriums in Vilnius müssen mindestens zwölf Haubitzen in Litauen repariert werden.

Slowenien liefert 28 Kampfpanzer an Ukraine

Slowenien hat 28 Kampfpanzer des sowjetischen Typs M-55S an die Ukraine abgegeben. Dies berichtet das slowenische Nachrichtenportal "24ur.com" unter Berufung auf das Verteidigungsministerium in der Hauptstadt Ljubljana. Die Panzer wurden mit der Eisenbahn über Polen in die Ukraine gebracht.

Das EU- und NATO-Partnerland Slowenien wird nun von Deutschland im Rahmen eines sogenannten Ringtauschs 43 schwere Militärlastwagen erhalten. Bei solchen Vereinbarungen liefern mittel- und osteuropäische Bündnispartner Waffen sowjetischer Bauart in die Ukraine und erhalten dafür im Gegenzug Militärgerät aus Deutschland. Die Waffen sowjetischer Bauart können von den ukrainischen Soldaten leichter bedient werden als Geräte aus westlicher Produktion, die für sie neu sind. Bereits im Juli hatte Slowenien 35 Schützenpanzer an die Ukraine geliefert.

Beim M-55S handelt es sich um eine grundlegend modernisierte Version des sowjetischen Kampfpanzers T-55. Er ist mit einer neuen, effizienteren Kanone, einem verbesserten Motor und hochmoderner Elektronik zur Zielerfassung ausgestattet. Experten sprechen von einem völlig anderen Kampfgerät als dem ursprünglichen T-55. Slowenien gehörte einst zum früheren Jugoslawien, das sich bei seiner Rüstung stark auf sowjetische Waffensysteme stützte. Slowenien hatte die T-55-Panzer, die es sich aus jenen Beständen gesichert hatte, in den 1990er-Jahren zu modernisieren begonnen.

Selenskyjs Stabschef: Keine Verhandlungen mit Russland

Solange Krieg herrscht, ist die Regierung in Kiew zu keinen weiteren Verhandlungen mit Russland bereit. Andrij Jermak, der Stabschef von Präsident Selenskyj, schreibt auf Twitter: "Für Russland ist dies ein Krieg der Zerstörung, für uns ist dies ein Krieg des Überlebens. Solange sie uns als Staat und Nation beseitigen wollen, sind jegliche Vereinbarungen mit Russland zum Scheitern verurteilt."

Getötete Zivilisten liegen auf den Straßen von Butscha, nachdem russische Soldaten den von ihnen besetzten Vorort von Kiew geräumt haben
Die Gräuel von Butscha, einem zeitweilig von russischen Soldaten besetzten Vorort von Kiew, sorgten weltweit für EntsetzenBild: Diego Herrera Carcedo/AA/picture alliance

Auch Botschafter Makejew sieht im BamS-Interview keine Gesprächsgrundlage. "Unsere Verhandlungen der vergangenen acht Jahre haben dazu geführt, dass nicht mehr sieben, sondern 20 Prozent unseres Territoriums unter russischer Besatzung stehen." Seit Beginn der Verhandlungen seien tausende Ukrainer von Russen getötet, vergewaltigt und gefoltert worden. "Wie viele Butschas müssen wir der Welt noch zeigen, damit allen klar wird, dass man mit den Russen nicht reden kann?"

Empörung über Getreideblockade

Wegen der neuen Blockade von Getreideexporten durch Moskau hat der ukrainische Präsident einen Ausschluss Russlands aus der G20 gefordert. "Warum kann eine Handvoll Personen irgendwo im Kreml entscheiden, ob es Essen auf den Tischen der Menschen in Ägypten oder in Bangladesch geben wird?", fragte Selenskyj in seiner täglichen Videoansprache. Nötig sei eine starke Reaktion der Vereinten Nationen, aber auch der Gruppe wichtiger Industrie- und Schwellenländer (G20). "Russland gehört nicht in die G20", sagte Selenskyj.

Förderbänder im Hafen von Reni an der Donau befüllen ein Lastschiff mit Getreide aus der Ukraine
Ukrainisches Getreide wird im Hafen von Reni an der Donau umgeladen (Archivbild)Bild: Sergii Kharchenko/NurPhoto/picture-alliance

Baerbock: Moskau darf Sicherheit der Getreideschiffe nicht gefährden

Die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock hat Russland aufgerufen, seine Verpflichtungen aus dem Abkommen für ukrainische Getreideexporte über das Schwarze Meer einzuhalten. "Millionen Menschen auf der Welt hungern, und Russland stellt erneut die Sicherheit von Getreideschiffen zur Disposition. Das muss aufhören", sagte die Grünen-Politikerin in Berlin. "Ob Familien in Libanon, Niger oder Bangladesch ihre nächste Mahlzeit bezahlen können, darf nicht von den Kriegsplänen des russischen Präsidenten abhängen."

Berlin | Annalena Baerbock trifft pakistanischen Außenminister Zardari
Die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock Bild: Bernd von Jutrczenka/dpa/picture alliance

Baerbock verwies darauf, dass Dutzende Schiffe aktuell auf dem Weg seien, um Getreide aus der Ukraine in andere Länder zu bringen. "Wir fordern Russland auf, die Sicherheit dieser Schiffe nicht zu gefährden und seine Zusagen an die internationale Gemeinschaft wieder einzuhalten." Seit Inkrafttreten des Abkommens im Sommer seien die Getreidepreise auf dem Weltmarkt endlich wieder auf ein erträgliches Niveau gefallen, betonte Baerbock mit Blick auf die Ukraine.

Russland hatte am Samstag die Aussetzung eines Abkommens verkündet, das im Juli unter Vermittlung der Türkei und der Vereinten Nationen geschlossen worden war. Es hatte die monatelange Blockade der ukrainischen Getreideausfuhren über das Schwarze Meer infolge des russischen Angriffskriegs beendet. Russland begründete die Aussetzung mit ukrainischen Drohnenangriffen auf seine Schwarzmeerflotte auf der Halbinsel Krim, die Moskau seit 2014 völkerrechtswidrig annektiert hat.

EU-Chefdiplomat Borrell kritisiert erneute russische Getreideblockade

Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell hat die abermalige russische Blockade von ukrainischen Getreideexporten über das Schwarze Meer kritisiert. Die Entscheidung gefährde "die wichtigste Exportroute für dringend benötigtes Getreide und Düngemittel zur Bewältigung der durch den Krieg gegen die Ukraine verursachten weltweiten Nahrungsmittelkrise", schrieb der EU-Chefdiplomat auf Twitter. Die EU fordere Moskau dringend dazu auf, die Entscheidung rückgängig zu machen.

Zuvor hatte auch US-Präsident Joe Biden den von Russland erklärten Rückzug aus dem Getreideabkommen verurteilt. Der Schritt sei empörend, sagte Biden zu Journalisten. Außenminister Antony Blinken kritisierte, Russland nutze "Nahrungsmittel erneut als Waffe in dem Krieg, den es begonnen hat". Er rief die russische Regierung dazu auf, wieder die Vereinbarung zur sicheren Passage ukrainischer Getreidetransporte einzuhalten.

kle/hf/sti/AR/rb/fw (AFP, AP, dpa, epd, KNA, Reuters)

Dieser Artikel wird am Tag seines Erscheinens fortlaufend aktualisiert. Meldungen aus den Kampfgebieten lassen sich nicht unabhängig überprüfen.