Aktuell: Forum Petersburger Dialog löst sich auf
22. November 2022.
Das Wichtigste in Kürze:
- Deutsch-russisches Forum Petersburger Dialog wird eingestellt
- Ukraine: Geheimdienst durchsucht Klöster des Moskauer Patriarchats
- EU schickt weitere 2,5 Milliarden Euro an die Ukraine
- Russischer Gouverneur: Drei Tote bei Explosionen nahe Grenze zur Ukraine
- Ukrainer Stromnetzbetreiber: Alle Wärme- und Wasserkraftwerke weisen Schäden auf
Die Mitgliederversammlung des Petersburger Dialogs habe auf Antrag des Vorstands beschlossen, sich im ersten Quartal 2023 im Rahmen einer außerordentlichen Mitgliederversammlung aufzulösen, teilte das Forum in Berlin mit. Der Vorstand sei gebeten worden, die dazu notwendigen Schritte einzuleiten. "Angesichts des verbrecherischen Angriffskrieges und der Frontstellung gegen die westlichen Demokratien ist ein Dialog in diesem Format nicht mehr möglich", hieß es zur Begründung. Den Petersburger Dialog hatten im Jahr 2001 Russlands Präsident Wladimir Putin und der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder ins Leben gerufen.
Ukraine: Geheimdienst durchsucht Klöster des Moskauer Patriarchats
In der Ukraine hat der Geheimdienst SBU Razzien in mehreren Klöstern der ukrainisch-orthodoxen Kirche des Moskauer Patriarchats vorgenommen und das mit Spionageabwehr begründet. Durchsucht wurde dabei auch das zum UNESCO-Weltkulturerbe gehörende Höhlenkloster in der Hauptstadt Kiew, wie die Behörde mitteilte. Unterstützt wurde der Geheimdienst von Polizei und Nationalgarde. Ziel sei es, eventuell gelagerte Waffen und sich versteckende Spione und Saboteure aufzuspüren, hieß es. Durchsucht wurden auch mehrere Klöster der Kirche im westlichen Gebiet Riwne.
Ukrainische Nationalisten fordern seit langem, der größten orthodoxen Kirche den Komplex des Höhlenklosters zu entziehen. Dieser soll stattdessen der 2018 mit staatlicher Hilfe gegründeten Orthodoxen Kirche der Ukraine übertragen werden. Die im Mittelalter angelegten Höhlen des Klosters sind mit ihren Reliquien ein Wallfahrtsort für orthodoxe Christen weit über die Ukraine hinaus. Die Führung der ukrainisch-orthodoxen Kirche des Moskauer Patriarchats hat sich nach dem russischen Einmarsch vom Februar deutlich von Russland distanziert. Kremlsprecher Dmitri Peskow warf der Ukraine vor, seit langem einen Krieg gegen die russisch-orthodoxe Kirche zu führen. Die Durchsuchung des Höhlenklosters sei "ein weiteres Glied in der Kette der Militäraktionen gegen die russische Orthodoxie", sagte er.
EU schickt weitere 2,5 Milliarden Euro an die Ukraine
Die EU-Kommission hat weitere 2,5 Milliarden Euro Unterstützung für die Ukraine freigegeben. Dies teilte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen auf Twitter mit. Für 2023 seien 18 Milliarden Euro eingeplant, die in regelmäßigen Abständen ausgezahlt werden sollen. Gedacht sei das Geld für "dringende Reparaturen und eine schnelle Erholung, die zu einem erfolgreichen Wiederaufbau führen", schrieb die CDU-Politikerin.
Die Ukraine bestätigte die Zahlung. Damit belaufe sich die Summe der sogenannten Makrofinanzhilfe der EU seit dem 24. Februar auf nunmehr 6,7 Milliarden Euro, teilte Finanzminister Serhij Martschenko ebenfalls auf Twitter mit. Ministerpräsident Denys Schmyhal bezeichnete die Unterstützung als "einen weiteren Schritt der Solidarität" und bedankte sich bei der Europäischen Union.
Russischer Gouverneur: Drei Tote bei Explosionen nahe Grenze zur Ukraine
Bei Explosionen in zwei russischen Orten unweit der Grenze zur Ukraine sind russischen Angaben zufolge drei Menschen getötet worden. In der Stadt Schebekino in der Region Belgorod habe eine Frau durch ukrainischen Beschuss eine Kopfverletzung erlitten und sei in einem Rettungswagen gestorben, erklärte der örtliche Gouverneur Wjatscheslaw Gladkow auf Telegram. Die Stadt liegt rund sieben Kilometer von der ukrainischen Grenze entfernt. Nach Angaben von Gladkow wurde außerdem ein Ehepaar in dem Grenzort Starosselje im Westen der Region durch die Explosion von "nicht identifizierter Munition" getötet. Die russische Region Belgorod war in den vergangenen Monaten immer wieder beschossen worden. Präsident Wladimir Putin hatte die Region im Oktober in eine Zone aufgenommen, in der verstärkte Sicherheitsmaßnahmen gelten.
Patriot-Raketen aus Deutschland für Polen
Deutschland unterstützt Polen nach dem Raketeneinschlag im Grenzgebiet zur Ukraine mit Abwehrsystemen des Typs Patriot. "Polen ist unser Freund, Verbündeter und als Nachbar der Ukraine besonders exponiert", erklärte Bundesverteidigungsministerin Christine Lambrecht in Berlin. "Zusammen mit meinem polnischen Kollegen Mariusz Blaszczak bin ich übereingekommen, Patriot-Flugabwehrsysteme nach Polen zu schicken und bei der Absicherung des polnischen Luftraums mit Eurofightern zu unterstützen." Details würden nun von Fachleuten gemeinsam ausgearbeitet, teilte Lambrecht nach einem Telefonat mit Blaszczak mit.
Der polnische Verteidigungsminister zeigte sich erfreut und schlug vor, das Abwehrsystem an der Grenze zur Ukraine zu stationieren. "Ich begrüße das Angebot der deutschen Verteidigungsministerin", twitterte Blaszczak.
Das Patriot-System dient der Abwehr von Flugzeugen, ballistischen Raketen und Marschflugkörpern. Es basiert auf einem Zusammenspiel mehrerer Radargeräte, die Informationen über herannahende Objekte an Lenkflugkörper weitergeben. Diese sollen es dann in der Luft zerstören.
Durch den Raketeneinschlag im polnischen Grenzdorf Przewodow waren vergangene Woche zwei Zivilisten getötet worden. Die NATO und Polen gehen davon aus, dass es eine fehlgeleitete ukrainische Flugabwehrrakete war, die zur Verteidigung gegen Angriffe des russischen Militärs eingesetzt werden sollte.
Selenskyj sieht Stromnetz weiter in Schwierigkeiten
Das durch russische Angriffe beschädigte Stromnetz der Ukraine ist nach Angaben von Präsident Wolodymyr Selenskyj weiter instabil. Sein Land habe am Montag nicht nur mit geplanten Abschaltungen, sondern auch mit ungeplanten Stromausfällen zu kämpfen gehabt, berichtete Selenskyj in seiner abendlichen Videoansprache. Der Verbrauch übersteige die Stromproduktion.
Der Staatschef rief regionale und kommunale Verwaltungen auf, die Bürger weiter zum Stromsparen anzuhalten. Auch im öffentlichen Raum müsse Strom gespart werden. "Der Systemschaden, der unserem Energiesektor durch die Anschläge der russischen Terroristen entsteht, ist so groß, dass alle unsere Bürger und Unternehmen sehr sparsam sein und den Verbrauch über die Stunden des Tages verteilen sollten", sagte Selenskyj.
Nach Einschätzung des Stromversorgers Yasno müssen sich die Menschen in der Ukraine bis mindestens Ende März auf Stromausfälle einstellen. Die Techniker versuchten ihr Möglichstes, die Schäden am Netz zu reparieren, bevor es noch winterlicher werde, schrieb Yasno-Chef Serhij Kowalenko auf Facebook. Er riet der Bevölkerung, sich vorzubereiten: "Legen Sie einen Vorrat an warmer Kleidung und Decken an und überlegen Sie, wie Sie einen längeren Stromausfall überstehen können."
Ukrainer Stromnetzbetreiber: Alle Wärme- und Wasserkraftwerke weisen Schäden auf
Durch die massiven russischen Raketenangriffe im Oktober und November sind in der Ukraine praktisch alle Wärme- und Wasserkraftwerke beschädigt worden. Dazu seien alle wichtigen Knotenpunkte des Stromnetzes getroffen worden, sagte der Chef des ukrainischen Stromnetzbetreibers Ukrenerho, Wolodymyr Kudryzkyj, in Kiew. "Praktisch jedes wichtige Umspannwerk hat einen Treffer abbekommen", sagte Kudryzkyj. Einige Umspannwerke seien sogar mehrmals getroffen worden. "Das Ausmaß der Zerstörungen ist kolossal", unterstrich der 36-Jährige. Dennoch sei es durch Reparaturen gelungen, das System seit Samstag wieder zu stabilisieren. Es gebe jetzt vor allem planmäßige und kaum noch Notabschaltungen des Stroms.
WHO: Winter in Ukraine gefährdet Millionen Leben
Der bevorstehende Winter wird nach Ansicht der Weltgesundheitsorganisation für Millionen Menschen in der Ukraine "lebensbedrohlich". In der kalten Jahreszeit gehe es in dem von Russland angegriffenen Land ums Überleben, betonte der WHO-Regionaldirektor für Europa, Hans Kluge.
Rund zehn Millionen Menschen seien infolge des Krieges ohne Stromversorgung. In bestimmten Gebieten der Ukraine könnte die Temperatur auf minus 20 Grad fallen. Die Menschen seien bei den eisigen Temperaturen anfällig für Atemwegserkrankungen, Herzinfarkte und Gehirnschläge, führte Kluge bei einem Besuch in Kiew weiter aus. Ohne Heizung seien Einwohner des osteuropäischen Landes zudem gezwungen, mit Kohle oder Holz Wärme zu erzeugen. Die Rauchentwicklung sei eine zusätzliche Belastung für die Gesundheit.
Zwei bis drei Millionen Menschen könnten laut Kluge gezwungen sein, auf der Suche nach Wärme und Sicherheit ihre Häuser und Wohnungen zu verlassen. Sie würden von Grippe, Lungenentzündungen, Diphterie und Masern bedroht. Hunderte Gesundheitseinrichtungen in der Ukraine seien nicht mehr einsatzfähig, ihnen fehle es an Energie, Medikamenten, Geräten und Personal, klagte der WHO-Regionaldirektor.
IAEA: Reaktor-Status im AKW Saporischschja "stabil"
Trotz des intensiven Beschusses am Wochenende ist das ukrainische Atomkraftwerk Saporischschja nach Einschätzung der Internationalen Atomenergie-Behörde (IAEA) weitgehend intakt. Es gebe keine unmittelbaren Bedenken hinsichtlich der nuklearen Sicherheit, sagte IAEA-Generaldirektor Rafael Grossi nach dem Besuch eines Expertenteams vor Ort. Die vier IAEA-Experten hätten das größte europäische Atomkraftwerk ausführlich unter die Lupe genommen. Der Status der sechs Reaktoreinheiten sei stabil und die Unversehrtheit des abgebrannten Brennstoffs, des frischen Brennstoffs und des schwach-, mittel- und hochradioaktiven Abfalls in ihren jeweiligen Lagereinrichtungen sei bestätigt worden.
Dennoch hätten die IAEA-Experten verbreitete Schäden auf dem Gelände festgestellt, berichtete Grossi. "Dies ist ein großer Anlass zur Sorge, da es die schiere Intensität der Angriffe auf eines der größten Atomkraftwerke der Welt deutlich macht."
Das AKW war am Samstag und Sonntag von Dutzenden Granateinschlägen erschüttert worden. Auch in den Monaten davor war die Anlage mehrfach unter Beschuss geraten, wofür sich die Ukraine und Russland gegenseitig die Schuld gaben.
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron brachte seine "tiefe Besorgnis" über die neuen Angriffe auf das AKW zum Ausdruck. Man müsse sich weiter bemühen, rund um die Anlage eine Sicherheitszone einzurichten, in der von Angriffen und Kämpfen abgesehen werde. Darin seien sich Macron und sein ukrainischer Kollege Wolodymyr Selenskyj einig gewesen, teilte der Élysée-Palast nach einem Telefonat der beiden Staatschefs mit.
Generalstab meldet schwere Kämpfe im Donbass
Im Industriegebiet Donbass im Osten der Ukraine liefern sich ukrainische und russische Truppen weiter heftige Gefechte. Russland konzentriere seine Angriffe auf die Städte Awdijiwka und Bachmut im Gebiet Donezk, berichtete der ukrainische Generalstab am Montagabend. An anderen Orten sprach er von einer "aktiven Verteidigung" der russischen Truppen - dort greifen also offenbar die Ukrainer an. Genannt wurden die Orte Kupjansk und Lyman sowie Nowopawliwka und die Front im Gebiet Saporischschja.
Im Süden der Ukraine sollen die russischen Truppen ihre Verteidigungslinien am südlichen Ufer des Stromes Dnipro verstärkt haben. Nach inoffiziellen Angaben nimmt die ukrainische Artillerie dieses Gebiet in Richtung Krim mit ihrer Artillerie unter Feuer.
kle/uh/wa/ust (dpa, afp, epd, rtr)
Dieser Artikel wird am Tag seines Erscheinens fortlaufend aktualisiert. Meldungen aus den Kampfgebieten lassen sich nicht unabhängig überprüfen.