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UKIPs Spiel mit der Angst im Wahlkampf

Mike Power (London) /pab3. April 2015

Alarmstimmung bei den Konservativen. Sogar in einstigen Tory-Hochburgen wollen konservative Stammwähler zur rechtspopulistischen UKIP wechseln. Aus London berichtet DW-Reporter Mike Power.

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Freddy Vachha (Foto: DW/M. Power)
Bild: DW/M. Power

Karen, eine Sekretärin mittleren Alters, steht vor ihrem Haus im Londoner Bezirk Chingford. Etwas verunsichert schaut sie auf einen Mann, der ihr an diesem stürmischen Nachmittag den Weg versperrt. Freddy Vachha ist der Kandidat der rechtspopulistischen United Kingdom Independence Party (UKIP) für den wohlhabenden Stadtteil im Nordosten Londons.

"Solange wir in der Europäischen Union sind, können wir die unkontrollierte Einwanderung nicht stoppen", erklärt Vachha mit einem leichten indischen Akzent. "Ich bin selber in Indien geboren. Meine Eltern haben ständig im Ausland gelebt. Ich bin, ethnisch gesehen, kein Inder. Zu denken, ich sei gegen Einwanderung, wäre absurd."

Ob sie UKIP wählen würde, fragt der Wahlkämpfer. "Ich habe darüber nachgedacht. Mein Ehemann ist selbstständig", sagt Karen, die ihren Nachnamen lieber nicht nennen möchte. "Er ist Dekorateur und hat mit Preisdumping zu kämpfen. Es gibt zu viele Menschen. Es ist ein sinkendes Schiff", sagt sie. Vachha nickt zustimmend. Die einzige Lösung sei, sagt er, der EU-Austritt. Die Union sei "eine verrückte, halb-kommunistische Trotzkisten-Idee. Es ist ein politisches Experiment, das nur böse ausgehen kann."

Erfolg durch Protestwähler?

Chingford ist in mehrfacher Hinsicht symbolisch für den Wahlkampf der Konservativen. Der konservative Stadtteil gilt als sicherer Wahlbezirk für die Torys - und doch sind viele der traditionellen und älteren Tory-Unterstützer mit der sozialen und kulturellen Entwicklung in Großbritannien unzufrieden. Sie machen die Freizügigkeit in der EU für den wachsenden Druck auf lokale Dienstleister und den Arbeitsmarkt verantwortlich. Viele Wähler in ähnlichen Wahlbezirken und den traditionellen Labour-Hochburgen im industrialisierten Norden haben sich bei den Europawahlen 2014 für die UKIP entschieden. Die Partei eroberte überraschend gleich 24 Sitze im Straßburger Parlament.

Freddy Vachha (Foto: DW/M. Power)
Beim Klinkenputzen für die UKIP im Londoner Bezirk Chingford: Freddy VachhaBild: DW/M. Power

Im vergangenen Jahr kamen 298.000 Menschen nach Großbritannien, dreimal so viele, wie die von den Konservativen versprochene Höchstgrenze von 100.000 Einwanderern. Ein kürzlich veröffentlichter Bericht der Regierung kommt allerdings zu dem Ergebnis, dass der Beitrag der Immigranten zur Wirtschaftsentwicklung positiv ist.

Auf den Straßen von Chingford, wo nur wenige Einwanderer leben, stoßen die Anti-Einwanderungs-Positionen der UKIP bei vielen Wählern trotzdem auf Zustimmung. Für einen Sieg wird es für Vachha aber voraussichtlich nicht reichen. Der Konservative Iain Duncan Smith, der ehemalige Vorsitzende der Torys und aktuelle Minister für Arbeit und Pensionen, hat in Umfragen einen Vorsprung von rund 12.000 Stimmen im Wahlkreis.

Wähler mit Migrationshintergrund

Freddy Vachha verabschiedet sich von Karen, geht durch den Vorgarten des benachbarten Hauses und klingelt an der nächsten Tür. Romen Goswani, ein Mann mit indischen Wurzeln, öffnet die Tür. Und wieder dreht sich das Gespräch schnell um das Thema Einwanderung. "Ich bin selber Immigrant", sagt Goswani. "Großbritannien ist meine Wahlheimat. Aber meiner Meinung nach haben einige Einwanderer die Vorteile des liberalen Systems in diesem Land zu sehr ausgenutzt. Ich will ihnen eins sagen: Wären die Polen nicht so zahlreich zu uns gekommen, dann wären die olympischen Wettkampfstätten [für 2012] nicht gebaut worden. Sie sind es, die [Olympia] zu einem Erfolg gemacht haben."

Vachha glaubt, dass das britische Sozialsystem, das er für viel zu großzügig hält, für viele Einwanderer attraktiv ist. Gleichzeitig klagt er, dass Einwanderer den Briten die Arbeitsplätze wegnähmen. Deshalb schlägt die UKIP ein punktebasiertes System nach australischem Vorbild vor, das nur hochqualifizierte und "erwünschte" Immigranten ins Land lässt.

Professor Matthew Goodwin von der Universität Nottingham hat ein Buch geschrieben über den Aufstieg der UKIP. Den Aufstieg der Partei erklärt er in "Revolte von rechts" vor allem mit der wirtschaftlichen Situation. "UKIP gewinnt in der Arbeiterklasse und bei Briten mit geringem Einkommen, die sich wirtschaftlich benachteiligt fühlen. Sie fühlen sich von der Regierung vernachlässigt und sind besorgt über die Einwanderung und ihre Folgen", sagt er. "Während der Kampagne ist UKIP-Chef Nigel Farage sehr auf das Thema Immigration fokussiert. Entsprechend versucht er ältere, weiße Wähler aus der Arbeiterklasse zu mobilisieren."

Freddy Vachha mit potenzieller Wählerin (Foto: DW/M. Power)
Der UKIP-Kandidat Vachha kann nicht alle überzeugenBild: DW/M. Power

Scharia in Großbritannien

In diesem wohlhabenden Stadtteil ist die schwache wirtschaftliche Entwicklung nicht das einzige Thema, das Wähler anspricht. Auch die aus Vachhas Sicht drohende Einführung der Scharia im Land macht der Rechtspopulist zum Thema. Unter welchen Umständen fürchtet Vachha die Entwicklung zum islamischen Gottesstaat? Durch die überdurchschnittlichen Geburten von Muslimen sei das ein Kinderspiel, erklärt er. "Es besteht die Möglichkeit, die Gesetze der Scharia einzuführen, falls es die Mehrheit im Land will", ergänzt der Politiker. "Wenn die Konservativen weiter die Politik bestimmen, ist die massenhafte und unkontrollierte Einwanderung das mathematische Ergebnis."

Eine statistische Grundlage gibt es für diese Behauptung nicht. Allerdings dürften diese Debatten mit darüber entscheiden, welche Rolle die UKIP nach dem 7. Mai im politischen Leben Großbritanniens spielen wird.