Erdogan in Berlin
27. September 2018Wenige Hundert Meter vor dem Hotel "Adlon", in dem der türkische Präsident wohnen wird, winkte Recep Tayyip Erdogan aus dem Fenster seiner Staatskarosse - und zeigte nach Ansicht einiger Beobachter eine provokante Geste: Vier ausgestreckte Finger mit eingedrehtem Daumen (Artikelbild). Das gilt als Gruß der in Ägypten verbotenen islamistischen Muslimbruderschaft. Damit beziehen sich die Anhänger der Organisation auf einen blutigen Angriff der ägyptischen Armee auf Demonstranten auf dem Rabiaa-Platz in Kairo im August 2013, bei dem fast Tausend Menschen getötet wurden. Rabiaa bedeutet auf Arabisch auch die Zahl "vier", deshalb die vier gespreizten Finger.
Sicher ist, dass Erdogan dieses Zeichen bei manchen Reden in der Türkei gemacht hat. Ob es sich in der Situation in Berlin bei der Anfahrt zum Hotel tatsächlich um diese Geste handelt, sei nicht klar, sagt der Leiter der DW-Arabisch-Redaktion, Naser Schruf.
Höchste Sicherheitsstufe
Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan war um kurz nach halb eins in Begleitung seiner Ehefrau Emine in Berlin-Tegel gelandet. Nach 21 Salvenschüssen schritten sie über den roten Teppich. Der türkischen Botschafter in Berlin, Ali Kemal Aydin, und der deutschen Botschafter in der Türkei, Martin Erdmann, empfingen Erdogan und seine Delegation auf dem Rollfeld.
Erdogan wollte noch im Laufe des Donnerstags zunächst Berater und Vertreter türkischer Organisationen treffen. Die Gespräche sollten in der Türkischen Botschaft und im weiträumig abgesperrten Hotel Adlon stattfinden. Auch die Entscheidung über die Vergabe der Fußball-Europameisterschaft 2024, um die Deutschland und die Türkei konkurrieren, verfolgte der Präsident von Berlin aus.
Zweimal Merkel
Am Freitagmorgen beginnt das offizielle Programm. Erdogan wird dann von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier mit militärischen Ehren im Schloss Bellevue empfangen. Steinmeier will nach Angaben aus seinem Umfeld bei seinen Gesprächen mit Erdogan insbesondere die anhaltende Inhaftierung von Deutschen, die schwierige Lage der Pressefreiheit und den Druck auf die Zivilgesellschaft ansprechen und auf eine Rückkehr zur Rechtsstaatlichkeit dringen.
Am Mittag ist ein erstes Treffen mit Bundeskanzlerin Angela Merkel geplant. Nach einem Staatsbankett am Freitagabend im Schloss Bellevue, zu dem zahlreiche Oppositionspolitiker ihre Teilnahme aus Protest gegen Erdogan abgesagt haben, wird Erdogan sich am Samstagmorgen zum Frühstück erneut mit Merkel treffen. Anschließend reist er weiter nach Köln, wo er die neue Zentralmoschee des Moscheeverbands Ditib einweihen will. Der Verband steht wegen seiner Nähe zur türkischen Regierung in der Kritik.
Die Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker rief im Vorfeld seines Besuchs Erdogan zur Mäßigung auf. "Ich hoffe, dass er nicht weiter spaltet, sondern dass er sich diplomatisch verhält", sagte Reker in einem Zeitungsinterview. Nach ihrer Wahrnehmung hat sich die Polarisierung bei den Menschen mit türkischen Wurzeln in Köln in den vergangenen Jahren verstärkt. "Diejenigen, die sich nicht integriert und abgekoppelt fühlen, erlebe ich als Unterstützer seiner Politik", so Reker weiter. "Und diejenigen, die zu schätzen wissen, in welch freiheitlichem Staat sie hier leben, erlebe ich eher in einer ablehnenden Haltung gegenüber Herrn Erdogan."
Ditib als "verlängerter Arm" entlarvt
Kritisch äußerte sich die parteilose Politikerin über das Verhalten des Ditib-Moscheeverbandes. "Die Ditib legte immer Wert darauf, auch Vermittler für den Islam zu sein und eine Begegnungsstätte sein zu wollen. Jetzt kommt der türkische Staatspräsident, und damit ist sie erkennbar verlängerter Arm der türkischen Regierung", sagte Reker. Die Oberbürgermeisterin hatte bereits am Mittwoch ihre Teilnahme an der Eröffnung der Ditib-Moschee in Köln-Ehrenfeld mit Erdogan abgesagt, weil nach wie vor nicht klar wat, ob sie ein Grußwort halten darf. Auch NRW-Ministerpräsident Armin Laschet lehnte eine Teilnahme ab.
Im Berliner Regierungsviertel gilt seit Donnerstag Sicherheitsstufe 1. Schwer bewaffnete Polizisten patrouillierten zwischen Bundeskanzleramt, Reichstagsgebäude und dem Hotel Adlon am Brandenburger Tor. Auf dem Dach des Adlon postierten sich vermummte Scharfschützen aus den Spezialeinheiten der Polizei. Insgesamt sollten während des Staatsbesuchs bis zu 4200 Polizisten im Einsatz sein, hieß es.
Die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" veröffentlichte am Tag des Besuchs einen Artikel Erdogans mit "Erwartungen an Deutschland". Darin fordert der Staatspräsident deutsche Unterstützung in seinem "Kampf gegen Terrororganisationen" und monierte, dass "die Türkei-Politik eines so großen und historischen Landes" wie Deutschland von "Randgruppen" geprägt werde. Dies "fügt unseren Beziehungen irreparable Schäden zu", warnt er.
Erdogan warb für einen Neustart der politisch angespannten Beziehungen beider Länder auf Augenhöhe. "Wir sind verpflichtet, unsere Beziehungen auf Basis beiderseitiger Interessen und fern von irrationalen Befürchtungen vernunftorientiert fortzuführen", schrieb er. Wünschenswert wäre eine engere Zusammenarbeit zum Beispiel im Hinblick auf die "einseitige und verantwortungsferne Vorgehensweise" der US-Regierung in der Handelspolitik, so der Präsident.
Von Protesten begleitet
Der Besuch Erdogans wird von Protesten wegen der Verstöße gegen die Menschenrechte in der Türkei begleitet. In Berlin und Köln sind während des Erdogan-Besuchs mehrere Demonstrationen geplant. Die Organisation Reporter ohne Grenzen protestierte schon am Donnerstagmorgen in Tegel gegen die Inhaftierung von Journalisten in der Türkei.
Amnesty International prangerte eine jahrelange systematische Verletzung von Menschenrechten in Türkei an und appellierte an die Bundesregierung, dies zu thematisieren. Erdogans Staatsbesuch müsse genutzt werden, um "mit aller Deutlichkeit für alle willkürlich und unschuldig inhaftierten Menschen einzutreten", sagte Markus Beeko, Generalsekretär von Amnesty International in Deutschland. Wenn die türkische Regierung einen Neuanfang der internationalen Beziehungen wolle, müsse sie ihre internationalen menschenrechtlichen Verpflichtungen erfüllen. Presse-, Meinungs- und Versammlungsfreiheit seien massiv eingeschränkt.
mak/sam/se (DW, afp, dpa, epd)