Araber in Argentinien
16. Juli 2009"Menem lo hizo" - "Menem hat es getan". So hieß Ex-Präsident Carlos Menems Propaganda-Sendung während der 1990er Jahre. Damals galt Argentinien noch als wirtschaftlicher Wunderknabe, weil Menem alles privatisierte und verscherbelte, was nicht niet und nagelfest war. 1995 war der Sendung zu entnehmen, dass der syrischstämmige Menem ein 14 Millionen teueres Grundstück inmitten von Buenos Aires’ Nobelviertels Palermo gestiftete habe - zum Bau der größten Moschee Lateinamerikas.
Menem selbst hatte zwar aus politischen Gründen bereits seinen islamischen gegen den katholischen Glauben getauscht - die Moschee passte trotzdem glänzend zu ihm: Minarette als wollten sie am Himmel kratzen, schwülstige Ornamente an der ansonsten pragmatisch in undefinierbarem Grau gehaltenen Fassade. Drumherum ein protziger Sicherheitszaun. Die Stiftung des Moscheegeländes, so hieß es, sei ein Geschenk gewesen, um die durch seine Politik verärgerten Regierungen im Nahen Osten zu besänftigen.
Lieber im Stillen beten
Strahlenförmig schießt das Sonnenlicht durch die verglasten Deckenornamente in den gigantischen Gebetsraum der Moschee Reyh Fahd, der Platz für 1200 männliche und 400 weibliche Gläubige bietet. Verloren wirken hier die zwanzig gen Osten gerichteten Männern. "Mittags kommen meist nur die Angestellten", sagt Pedro, einer von geschätzten 900.000 Muslimen im 30-Millionen-Einwohnerland Argentinien.
Viele Gläubige würden lieber zu Hause beten, oder in der kleineren, aber alteingesessenen Moschee im Araber-Viertel Flores, so Pedro: "Es ist eben auch viel Unsinn über das Kulturzentrum Reyh Fahd, die dazugehörige Schule und die Moschee verbreitet worden, weil die meisten kaum etwas über unsere Religion wissen." 2003 ist der Italienischstämmige zum Islam übergetreten, heute macht er eine Radiosendung zum Islam und gibt Neugierigen Führungen durch Reyh Fahd.
Schlechtes Timing
Den Bau der Moschee finanzierte Saudi-Arabien, die Bauleitung lag bei Zuhair Fayez, einem saudischen Architekten, der weltweit bei rund 200.000 Moscheebauten beteiligt war. Der erste Gottesdienst fand allerdings zum denkbar ungünstigsten Zeitpunkt statt - im Jahr 2001. Nur ein halbes Jahr später, kurz nach dem 11. September, publizierte das Magazin Noticias, der Bau Reyh Fahds sei vermutlich von der Bin Laden Group International verantwortet worden.
Und auch wenn die Familie seit 1991 keinen offiziellen Kontakt mehr zu Osama bin Laden hält - Muslime, und mit ihnen die gesamte arabische Gemeinschaft gerieten auch in Argentinien ins Kreuzfeuer der Medien, erzählt Alejandro Salomon von der argentinisch-arabischen Gesellschaft FEARAB: "Araber standen im Generalverdacht des so genannten islamistischen Terror, und ein paar einflussreiche Wichtigtuer innerhalb der jüdischen und der katholischen Lobby sind mit auf gesprungen.“
Alte Vorurteile ausgegraben
Salomon erinnert an die Zeit nach den Anschlägen: 1992 auf die israelische Botschaft, 1994 auf die AIMA, das wichtigste jüdische Zentrum des Landes. Dabei kamen insgesamt 114 Menschen ums Leben. "Wir alle haben diese furchtbaren Anschläge aufs äußerste verurteilt und dennoch mussten sich Mitglieder der argentinisch-arabischen Gemeinschaften immer wieder, auch vor Gericht, rechtfertigen, obwohl sie nichts damit zu tun hatten.“ Zur Rechenschaft für die Anschläge wurde bisher keiner gezogen. Die Justiz arbeitete schlampig, die damalige Regierung des Präsidenten Menem selbst behinderte Ermittlungen gegen einen Verdächtigen, der seiner Familie - Einwanderer aus Syrien - nahe stand. Erst seit ein paar Jahren ist wieder Bewegung in die Aufarbeitung gekommen.
Zusage - Absage - Anschlag?
"Als Motiv für die Anschläge gilt Menems außenpolitische 180 Grad Wende,“ sagt Daniel Santoro, Journalist der Tageszeitung Clarín.
Denn zu Anfang seiner Regierungszeit suchte Menem den Schulterschluss mit den arabischen Ländern. Lybien, Syrien, dem Irak und dem Iran wurde wirtschaftliche Hilfe zugesagt, vor allem was die zivile, aber auch die militärische Nutzung von Nukleartechnik angeht. Nach einigen Korruptionsskandalen und massivem Druck der USA und Israels habe Menem all diese Versprechen zurückgezogen, sagt Santoro. Außerdem trat Argentinien aus dem Bund der Blockfreien Staaten aus, erkannte erstmals offiziell Jerusalem als israelische Stadt an und unterstützten die USA im ersten Golfkrieg. "Die argentinisch-arabischen Beziehungen lagen auf Eis.“ Dazu brach Menem noch Verträge mit dem Iran über die Lieferung von Technologie zur Urananreicherung. Die Anschläge kamen kurz danach. Für die argentinische Justiz gilt inzwischen als bewiesen, dass die libanesische Hisbollah im Auftrage des Iran verantwortlich dafür ist.
Von Terroristen und türkischen Hausierern
Die zwiespältige Rolle des arabischstämmigen Präsidenten Menems im Zusammenhang mit den Attentaten einerseits; andererseits sein Politikstil - geprägt von Korruption, Vetternwirtschaft und Opportunismus: Das alles habe damals zum negativen Klischee der Araber als "schmierige Hausierer und türkische Ramschverkäufer“ beigetragen, schreibt die Wissenschafterin Karina Keegan in ihrer Arbeit "Südöstlich von Allah“.
In die Schublade "Turcos“, Türken werden Arabischstämmige in Argentinien und ganz Lateinamerika seit je her gesteckt - "Zeichen des Unwissens über unsere Geschichte“, sagt Abdalah Edi vom libanesisch-syrischen Club in Buenos Aires.
Um 1900 flüchteten hunderttausende Araber nach Lateinamerika, da sie in ihren Heimatländern, die damals vom osmanischen Reich besetzt waren, Krieg, Verfolgung und Hunger litten. Am argentinischen Zoll hatten sie so aber nur einen osmanischen Pass - daher der Name. "Keiner von ihnen war, noch wollte Türke sein, im Gegenteil“, so Edi.
Schnelle Integration
Die meisten der Einwanderer waren auch keine Muslime, sondern gehörten verfolgten Minderheiten an - Christen, Juden, Armeniern und Drusen. Sie "machten Amerika", wie es damals hieß, und integrierten sich schnell und reibungslos, sagt Historiker Ricardo D’Elia: "Sie fanden hier viel Bekanntes vor, weil durch die spanische Einwanderung schon vorher viel an arabischer Kultur, Sprache, Küche etc. mitgebracht wurde.“ Andalusien, der Süden Spaniens, von wo aus die Eroberungsfahrten gen Amerika aufbrachen, war bis Anfang des 15. Jahrhunderts unter maurischer Herrschaft.
Es wird sogar vermutet, dass der Seemann, der auf Kolumbus’ Schiff zuerst amerikanische Erde am Horizont ausmachte, arabischer Abstammung war. Denn er stammte Triana, einem Viertel in Sevilla, in dem vornehmlich Araber lebten. "Hier in Argentinien hat sich dann alles durchmischt“, sagt D’Elia. Nicht umsonst hätten die frühen Gauchos Pumphosen wie die Reitervölker Arabiens getragen. Auch das Dulce de Leche, die berühmte Karamelcreme Argentiniens, sei eine Abwandlung der arabischen Zuckersirupe - "nur hat man hier, wo es anfangs kaum Früchte gab, eben Milch für zum Eindicken genommen.“
Religiöse Zugehörigkeit spielt keine Rolle
Im Handel und bald auch in der Politik gewannen Araber einen beträchtlichen Einfluss, in vielen Provinzen - Catamarca, La Rioja, Neuquen, Santiago de Estero oder San Louis - spielen arabischstämmige Familien bis heute eine tragende Rolle. Über 300 arabische Gemeinschaften und Clubs gibt es in Argentinien.
In Buenos Aires haben die zahlenmäßig wichtigsten Glaubensrichtungen - Christen, Muslime, Drusen - jeweils eigene religiöse Zentren. Aber religiöse Zugehörigkeit spiele in der arabischen Gemeinschaft kaum eine Rolle, sagt die Politologin Zulema Suleiman: "Wir fühlen uns alle als Argentinier. Doch es gibt so viel Unwissen über uns, deswegen wollen wir aufklären und ein Bewusstsein dafür schaffen, was die arabische Einwanderung zur Kultur dieses Landes beigetragen hat.“ Gerade bei der jüngeren Generation wachse das Interesse, mehr über ihre Wurzeln zu erfahren.
Mit Shakira in Mode gekommen
Zum zweiten Mal fand in diesem Jahr die arabische Woche in Buenos Aires statt, mit Ausstellungen, Vorträgen und Konzerten. Constanza, syrisch-libanesischer Abstammung, ist mit ihrer Tanzgruppe da: "Arabische Kultur ist in den letzten Jahren auch zum Trend geworden - man merkt das beim Modestil, weite Hosen, Tücher, schwarzer Kayal." Im In-Viertel Palermo gibt es immer mehr arabische Restaurants, und durch Shakira sei ein regelrechter Boom bei Tanzkursen, aber auch in Diskos ausgebrochen.
Auch die Nachfrage nach Arabischkursen sei in den letzten Jahren stark angestiegen, verzeichnet die FEARAB. Nicht zuletzt, weil sich die derzeitige Regierung Kirchner wieder verstärkt bemüht, die wirtschaftlichen Beziehungen zu arabischen Ländern auszubauen. Nach dem Scheitern des neoliberalen Experiments Menems in den 90er Jahren, das im Staatsbankrott endete, gilt das Land westlichen Kreditgebern als Schmuddelkind - Investoren aus den Erdölländern werden daher dringend gesucht.
Autorin: Anne Herrberg
Redaktion: Anna Kuhn-Osius