1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Die Türkei schlägt zurück

Daniel Heinrich24. Juli 2015

Jetzt reicht es Ankara: Nach Selbstmordattentaten und Gefechten an der Grenze holt die Türkei zum Gegenschlag aus. Seit Freitagmorgen bombardieren türkische Kampfjets Stellungen des "Islamischen Staates".

https://p.dw.com/p/1G4Jd
Erdogan mit einem General Foto: REUTERS
Bild: REUTERS

Die türkische Regierung macht Nägel mit Köpfen, will Fakten schaffen im Südosten des Landes. "Die Türkei wird gegen jede auch nur kleinste bedrohliche Bewegung aufs Härteste reagieren", so der türkische Ministerpräsident Ahmet Davutoglu am Freitag in Ankara. Seit Freitagmorgen fliegt die türkische Luftwaffe Angriffe gegen Stellungen des "Islamischen Staates" in Syrien. Die Angriffe zum jetzigen Zeitpunkt kommen nicht von ungefähr: Die Türkei und Syrien haben eine 900 Kilometer lange gemeinsame Grenze. Schon länger beobachtet man in Ankara das Treiben des IS mit Argwohn.

Das Fass zum Überlaufen brachte der Anschlag in der Kleinstadt Suruc am vergangenen Montag. Bei dem Selbstmordattentat waren 32 Menschen getötet worden. Hunderte Menschen wurden verletzt. Die türkische Regierung macht den "Islamischen Staat" für die Anschläge verantwortlich. Schon am Donnerstag war es daher zu Grenzgefechten zwischen der türkische Armee und IS-Milizen gekommen. Dabei waren ein türkischer Soldat und mindestens ein IS-Kämpfer getötet worden.

Unsichere politische Lage

Politisch befindet sich die Türkei gerade in einer Übergangsphase. Seit den Parlamentswahlen Anfang Juni ist das Land auf der Suche nach einer Regierung: Die geschäftsführende Regierung unter Premier Davutoglu ist noch immer mit der Bildung einer Koalition beschäftigt. Für Gülay Kizilocak vom Zentrum für Türkeistudien in Essen ist es vor allem die unsichere politische Situation, die jetzt zur Eskalation der Lage führt. "Die Gesellschaft ist sozusagen in zwei Lager geteilt: In ein pro-kurdisches Lager und ein anti-kurdisches Lager". Hinzu komme die konstante Bedrohung durch den IS. Kizilocak im DW-Gespräch: "Man kann fast davon sprechen, dass im Südosten der Türkei eine Art Bürgerkrieg herrscht."

Gülay Kızılocak Foto: privat
Gülay Kızılocak vom Türkei-Zentrum in Essen.Bild: privat

Demonstration der Stärke

Die Angriffe der türkischen Luftwaffe sind eingebettet in eine Reihe von Maßnahmen der türkischen Regierung, Stärke zu demonstrieren. Parallel zu den Luftangriffen fanden am Freitagmorgen in 13 Provinzen Razzien gegen mutmaßliche Extremisten statt. Dabei wurden insgesamt fast 300 Personen festgenommen.

Hauptziel der Sicherheitskräfte waren neben Anhängern des "Islamischen Staates" auch Unterstützer der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei, PKK. Schon an den vorangegangenen Tagen hatte es Razzien gegeben. Dabei waren allein in Istanbul über 5000 Polizeikräfte im Einsatz.

Kurdenpartei jetzt im Fokus

Die Augen vieler Beobachter richten sich jetzt auf die Kurdische Volkspartei, HDP. Knappe 14 Prozent holte die Partei bei den Parlamentswahlen im Juni. Für Gülay Kizilocak wird die jetzige Situation zum Lackmustest für die Partei. "Die HDP ist nicht mehr nur Sprachrohr der Kurden im Südosten, sondern auch ein Sammelbecken für Intellektuelle Linke gegen die regierende konservativ-islamische AKP." Dies spiele vor allem jetzt eine große Rolle, da die größte Oppositionspartei, die kemalistische CHP, schwächelt. Viele Leute hätten der HDP eine Chance gegeben und mit der Hoffnung verbunden, dass sich wirklich etwas ändern wird in diesem Land.

Wiederannäherung zwischen USA und Türkei

Erste Veränderungen des Regierungskurses sind schon jetzt auf außenpoliitscher Ebene zu spüren. Das Klima zwischen den USA und der Türkei, lange angespannt, verbessert sich merklich: Am Donnerstag telefonierten die beiden Präsidenten Tayip Erdogan und Barack Obama miteinander. Ergebnis: Nach monatelangen, schwierigen Verhandlungen hat die Türkei den USA die Nutzung der Luftwaffenbasis Incirlik im Südosten des Landes erlaubt. Die Luftwaffenbasis ist von großer strategischer Bedeutung für die US-geführte Allianz gegen den IS, da sie nur 100 Kilometer von der syrischen Grenze entfernt liegt. Von Incirlik aus könnten die USA nicht nur mit Flugzeugen, sondern auch mit Kampfhubschraubern im Norden Syriens eingreifen.

Grenzanlagen Foto: picture-alliance/dpa/AP Photo/L. Pitarakis
Die Grenze zwischen der Türkei und Syrien soll weiter befestigt werden.Bild: picture-alliance/AP Photo/L. Pitarakis

Bisher hatte die Türkei den USA lediglich humanitäre und Aufklärungsflüge von Incirlik aus erlaubt. Die Partnerschaft zu den USA ist für Gülay Kizilocak die wichtigste außenpolitische Konstante der Türkei: Für die Türkei sei es extrem "wichtig, mit den USA einen starken Verbündeten an seiner Seite zu haben, der im Kampf gegen den IS hinter einem steht." Die US-Regierung unterstützt die Türkei auch bei den Plänen die Grenzanlagen zu Syrien zu verbessern. Neben dem Ausbau von Stacheldrahtzäunen und verstärktem Drohneneinsatz ist auch der Bau einer 150-Kilometer langen Grenzmauer geplant. Bisher sind tausende meist junge Männer über die Türkei nach Syrien gelangt, um sich dort dem Islamischen Staat anzuschließen.